Josephine Ellwein ist die Vorzeigemeisterschülerin einer Stuttgarter Fachschule. Sie war schon international erfolgreich. Ihre Meisterprüfung fällt in eine für Fachschulen schwierige Zeit: Viele Klassen sollen „akut gefährdet“ sein. Warum ist das ein Problem?

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Die Farbe Javagrün hat es Josephine Ellwein angetan. Diese Farbe soll ihr künftiges Auto haben. Ihr Jetziges ist überraschend unauffällig: ein silberfarbener VW Polo. Darin ist die 21-Jährige auch kürzlich aus Vaihingen/Enz, ihrem Wohnort, zu ihrer praktischen Meisterprüfung zur Schule für Farbe und Gestaltung nach Stuttgart gefahren.

 

Was nur Eingeweihte aus der Branche wissen: Josephine Ellwein zählt im Lackieren zur Weltelite: Im vorigen Sommer vertrat sie Deutschland bei einem internationalen Wettbewerb der Fahrzeuglackierer, nachdem sie sich zuvor beim entsprechenden Bundesentscheid durchgesetzt hatte. Sie war die einzige Frau unter den acht Finalisten – und ließ auch bei der „Lackierer-WM“ in Frankreich fast alle hinter sich, nur ein Mann aus Italien war besser. Ellwein wurde „Vizeweltmeisterin“.

Beste Auszubildende ihres Jahrgangs

Dabei ist ihr Beruf bisher eine Männerdomäne. „Ich musste mich schon beweisen“, sagt die junge Frau. So mancher frühere Kollege hatte das Lackieren einer Frau nicht zugetraut – und habe das auch offen ausgesprochen. Nach drei Jahren war sie dann beste Auszubildende ihres Jahrgangs. So viel dazu.

Doch wie kam sie ausgerechnet aufs Lackieren? Über ein Praktikum, erklärt Ellwein, die in ihrer Freizeit zum Thaiboxen geht. Sie habe als Realschülerin in verschiedene Berufe reingeschnuppert. Auch Landschaftsgartenbau und die Verwaltung hat sie sich angesehen. In der Lackierwerkstatt hat es Klick gemacht. Ihr gefällt, dass der Beruf „so vielseitig“ sei: Mal kommt ein Liebhaberauftrag rein, dann geht es um einen Unfallwagen. „Es gibt viele Weiterbildungsmöglichkeiten, das war mir wichtig“, sagt Josephine Ellwein. Für das Jahr an der Meisterschule hat sie sich freistellen lassen.

Verwandte rieten ihr, doch ein Studium anzustreben

Eine gewisse Vorprägung kam bei der Berufswahl hinzu. Ihr Vater, ein KfZ-Mechaniker, hat die beiden Töchter früh mit Werkzeugen aller Art vertraut gemacht – und Tochter Josephine zu Motorrad- und Autotreffen mitgenommen. Als sie ihm damals ihren Berufswunsch mitteilte, war er zunächst wenig begeistert. Heute steigt er mit Stolz auf das von der Tochter einzigartig lackierte Motorrad. Doch damals habe er sich um ihre Gesundheit gesorgt – unnötigerweise, wie Josephine Ellwein anmerkt. Schließlich trage sie beim Lackieren Schutzkleidung. Andere Verwandte wiederum rieten ihr zu Abitur und Studium. Sie findet das schade. Als ob die Ausbildung eine schlechtere Option wäre.

Josephine Ellwein will dazu beitragen, dass hier ein Umdenken einsetzt: „Es gibt so viele spannende Ausbildungsberufe“, das wüssten viele Jugendliche gar nicht. Dass das Handwerk so sehr vom Fachkräftemangel betroffen ist, schmerzt sie.

32 Prozent der Klassen an den Fachschulen seien „akut gefährdet“

Auch Felix Winkler, dem geschäftsführenden Schulleiter der beruflichen Schulen, macht die Entwicklung Sorgen, dass sich immer weniger junge Leute für eine Ausbildung entscheiden. Das habe Auswirkungen, die oft nicht mitbedacht würden. Wie die Gefährdung von Fachschulen. Die Rechnung ist einleuchtend: Beginnen weniger eine Ausbildung, streben später noch weniger eine Weiterbildung an: Den Meister (ein Jahr) oder den Techniker (zwei Jahre) sattelt immer nur ein Teil eines Ausbildungsjahrgangs drauf. Doch wer beruflich aufsteigen wolle, sagt Winkler, der schaue natürlich genau, ob es Weiterbildungsmöglichkeiten gibt. Wenn Fachschulklassen nicht zustande kommen, gar Fachschulen geschlossen werden, mache das die entsprechenden Ausbildungsberufe selbst unattraktiver, warnt Winkler.

Der Schulleiter ist dankbar, dass seit September 2020 keine Gebühren mehr an den Stuttgarter Fachschulen erhoben werden (ermöglichst durch den Gemeinderat). Das habe den Niedergang bei den Schülerzahlen immerhin etwas gebremst. Doch er sieht keinen Grund zur Entspannung – im Gegenteil: In Stuttgart seien aktuell 32 Prozent der Klassen an den Fachschulen „akut gefährdet“, hat der geschäftsführende Schulleiter ermittelt, 36 Prozent erfüllten gerade so die Mindestschülerzahl. Nur 32 Prozent der Fachschulklassen seien seiner Statistik zufolge stabil – im Schuljahr 2019/20 seien es noch mehr als die Hälfte (53 Prozent) gewesen.

Schulleiter sieht den Klassenteiler als problematisch an

„Ein Juwel droht, verloren zu gehen“, sagt der Leiter der Schule für Farbe und Gestaltung. Er appelliert ans Land, Ausnahmen zu ermöglichen, den Klassenteiler von 16 unterschreiten zu dürfen. Ansonsten sei zu befürchten, dass immer mehr Fachschulklassen nicht mehr zustande kommen. Zusammenlegungen mithilfe sogenannter Klappklassen praktiziere man schon, zum Beispiel in den Lackierberufen. Doch das sei nicht immer möglich, zum anderen könnten Klappklassen abschreckend wirken und dann ebenfalls zu sinkenden Schülerzahlen führen, warnt Winkler.

Er findet, dass mehr für die duale Ausbildung getrommelt werden müsste. Josephine Ellwein ist für den Schulleiter das beste Beispiel, dass nach dem Schulabschluss nicht automatisch ein Studium die beste Wahl ist – gerade auf lange Sicht. Mit einer Ausbildung plus einer Weiterbildung, ist er überzeugt, würden viele junge Menschen glücklicher. Winkler glaubt auch nicht, dass seine Vorzeige-Meisterschülerin sich im Studium hätte derart entfalten können. Dort wäre sie nur eine unter vielen und nicht einzigartig gewesen. In wenigen Tagen, nach einer letzten theoretischen Prüfung, wird die Meisterschülerin zur Fahrzeuglackiermeisterin. Und dann? Josephine Ellwein lächelt. Nein, um ihre weitere berufliche Zukunft mache sie sich keine Sorgen.

Die praktische Meisterprüfung geschafft: Josephine Ellwein vor dem voll lackierten Auto – nun ohne Schutzkleidung. Foto: Felix

Ausbildung und Weiterbildung

Dual
In Deutschland ist man eigentlich stolz auf die duale Ausbildung. Diese heißt deshalb so, weil die Ausbildung an zwei Lernorten stattfindet: nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Berufsschule. Es gibt rund 330 anerkannte Ausbildungsberufe. Die Ausbildungsdauer variiert, beträgt aber in der Regel zwischen zwei und drei Jahren.

Fachschule
Eine Fachschule richtet sich an Berufstätige mit abgeschlossener Berufsausbildung, es gibt ein- und zweijährige Fachschulen. Laut dem Kultusministerium bieten Fachschulen die „Möglichkeit, sich auf eine Tätigkeit im mittleren Management vorzubereiten oder sich für die berufliche Selbstständigkeit zu qualifizieren“. vv