Bei einer Fachtagung zur Inklusion haben in Stuttgart über 300 Vertreter aus Schulen, Verwaltung und Verbänden neue Impulse für inklusive Bildung erarbeitet.

Stuttgart - Die Inklusions-Konferenz im Stuttgarter Haus der Wirtschaft sollte das bisher Erreichte bilanzieren und neue Ansätze entwickeln. Dazu hatte Kultusministerin Susanne Eisenmann am Montag mehr als 300 Teilnehmer eingeladen – denn Inklusion, so die Prämisse des Ministeriums, müsse als gesellschaftlicher Prozess von allen beteiligten Akteuren vorangetrieben werden. Schließlich rückt das Thema seit der Schulgesetzänderung vor zwei Jahren, seitdem Eltern erstmals frei über die Schule ihrer Kinder entscheiden dürfen, an vielen Schulen mehr ins Bewusstsein. „Wo steht Baden-Württemberg bei der Inklusion und wo gibt es Verbesserungsbedarf“, so Eisenmann. Deshalb sind bei der Tagung im Haus der Wirtschaft neben Fachleuten aus der Schulverwaltungen auch viele Vertreter aus Fachverbänden, Selbsthilfeorganisationen oder Gewerkschaften dabei: Ihre Expertisen waren gefragt.

 

Tendenz zu sonderpädagogischen Angeboten

Aktuell ist das Thema auch deshalb, weil sich immer mehr Eltern für ein inklusives Bildungsangebot entscheiden. Etwa ein Viertel der Eltern von Kindern mit Behinderung zieht ein inklusives Bildungsangebot vor. Aus diesem Grund nimmt die Anzahl der Schüler mit Anspruch auf sonderpädagogische Bildung in den Regelschulen zu – rund 6500 von ihnen werden an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet und erhalten Unterstützung. Die große Mehrheit der Schüler mit Behinderung indes besucht sonderpädagogische Bildungszentren. Aufgrund der aktuellen Zahlen geht das Ministerium davon aus, über eintausend neue Lehrerstellen für Inklusion schaffen zu müssen. Auch die Zahl der Studienplätze wurde bereits zum laufenden Semester erhöht. Denn je vielfältiger die Wahlmöglichkeiten für Eltern werden, desto mehr Organisation bedarf die Inklusion im Schulsystem. Und dazu braucht es mehr Abstimmung zwischen den Schul- und Kommunalverwaltungen mit den Verbänden. Zudem rückte die Lehrerbildung in den Vordergrund. „Wir wollen eine intensive Weiterentwicklung mit guten Ergebnissen“, betonte die Kultusministerin. Dabei seien Kinder und Jugendlichen sowie Eltern und Lehrkräfte gleichermaßen im Fokus.

Impulse der Fachkonferenzen

Während des Workshops diskutierten die Teilnehmer in fünf Gruppen die drängendsten Themen der Inklusion. Die Arbeitsgruppen befassten sich mit den Steuerungsaufgaben der Schulverwaltung, aktuellen Aufgaben auf kommunaler Ebene, den Erwartungen der Zivilgesellschaft, Aufgaben der Schule oder mit Herausforderungen der Lehrerbildung. Das Ziel der Themengruppen: Es müsse künftig in der Beratung noch besser gelingen, „dass die Wahlmöglichkeit der Eltern im Mittelpunkt steht“ und sie „ihre Entscheidung für ein Bildungsangebot auf einer guten Basis treffen können“, so Eisenmann. Ein wichtiger Schritt zu mehr Beratung sei etwa die jüngst beschlossene Weiterqualifizierung für Lehrer an Haupt- und Werkrealschulen.

Insgesamt haben die Arbeitsgruppen bei der Fachkonferenz 15 praxisnahe Thesen zur Inklusion entwickelt. Im Sommer werden die Thesen dann im Landtag aufgegriffen. Während die Arbeitsgruppe Schulverwaltung zuvorderst Aspekte der Schulentwicklung wie beispielsweise Kommunikationsstrukturen und Ressourcen aufgriff, betonten Vertreter der kommunalen Verwaltung die Bedeutung gemeinsamer Qualitätsstandards. Auch einheitliche, ortsübergreifende Regelungen bei den Ganztagesschulen seien von Bedeutung. „Wir möchten einzelne Schularten nicht überfordern und auch Gymnasien einbeziehen“, unterstrich Schulrätin Claudia Ostertag vom Schulamt Böblingen.

Bei der Inklusion vor Ort seien außerdem gruppenbezogene Lösungen zu bevorzugen. Erwartungen der Zivilgesellschaft sahen die Teilnehmer im Übergang von der inklusiven Beschulung in den Beruf sowie bei räumlichen Gegebenheiten in den Schulen. Für verstärkte Kooperationen zwischen den Schulorten und eine stärkere Rolle der Schulaufsicht plädierte die Gruppe zu Schulaufgaben. Inklusion müsse zur Aufgabe für alle Schularten werden. In der Lehrerausbildung sei es zudem notwendig, passgenauere Fortbildungen zu entwickeln, mehr Hospitationsmöglichkeiten zu etablieren und Strukturen vor Ort zu vereinfachen. „Wichtig ist eine Begleitung der Teams vor Ort, die inklusiv unterrichten“, sagte Dieter Salzgeber, Sprecher der Seminare für Lehrerbildung in Baden-Württemberg.

Die Bedeutung von klaren Strukturen

Für die Kultusministerin stellten die Impulse aus den Arbeitsgruppen ein wichtiges Feedback aus der Praxis für mehr Inklusion dar. „Wir werden die Punkte, die wir verbessern müssen, herausarbeiten“, versprach sie. Die Ergebnisse werden im Sommer als Landtagsbericht ins Parlament eingebracht. Eisenmann hob besonders die pädagogische Bedeutung von Gruppenangeboten, klaren Strukturen im Verwaltungshandeln und verstärkten Netzwerken vor Ort als wichtige Ergebnisse hervor. Das Thema stehe auch künftig „mit hoher Priorität auf der politischen Tagesordnung.“

Weniger optimistisch als die Ministerin zeigte sich Kirsten Erhardt von der Landesarbeitsgemeinschaft „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ (LAG). „Bislang haben wir den Eindruck, dass schulische Inklusion nicht sehr weit vorne auf der Agenda der Landesregierung steht“, kritisierte die LAG-Sprecherin. Dass es unter Grün-Schwarz gar Stimmen gebe, die Inklusions-Deputate für Informatikunterricht umstellen wollen, habe den Verband alarmiert. Neue Impulse zur Inklusion dürften sich nicht darauf beschränken, mehr Sozialpädagogen auszubilden – vielmehr müsse Inklusion als Teil der Schulentwicklung aller Schultypen verstanden werden, so Erhardt. Auch bei der jüngsten Konferenz war für manche Teilnehmer der Schwerpunkt zu sehr im sonderpädagogischen Bereich angesiedelt. „Inklusion verändert Schulen – und das geht nur, wenn alle Beteiligten daran mitwirken“, unterstrich die LAG-Elternbeauftragte. www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.inklusion-sonderschulpflicht-faellt-weg -die-wichtigsten-fragen.c74b7856-ec32-4de0-a5da-496adc4c4dc9.html