An den Wagenhallen hat Clemens Rudolf vom Verein „Technik und Solidarität – Fahrräder für Afrika“ seine Fahrradwerkstatt. Dort hat er nun gemeinsam mit den Flüchtlingen von der Tunzhofer Straße Drahtesel repariert und auf Vordermann gebracht.

S-Nord - Etwa ein Dutzend Fahrräder steht an einen Tisch gelehnt hinter Tor 12 in den Wagenhallen. Die Besucher des Workshops kommen aus Serbien, Eritrea und Gambia und beäugen die Vehikel. Es sind Kinderfahrräder, Damenräder und Mountainbikes darunter, einige sehen aus, als hätten sie viele Jahre in Garagen und Stuttgarter Hinterhöfen vor sich hin gerostet. Rammadan kommt aus Serbien und er ist skeptisch, als ihm Clemens Rudolf ein Fahrrad vorschlägt, das er reparieren und später behalten darf. Das Rad hat keine Pedale, kein Licht, nicht einmal Räder – genau genommen besteht es nur noch aus dem Gestell. „Das ist ein super Rad“, versucht ihn Rudolf zu überzeugen. „Das ist typisch!“, sagt er dann lachend. „Keiner kann sich darunter etwas vorstellen, keiner weiß, was man daraus wieder machen kann.“

 

Clemens Rudolf ist Vorsitzender des Vereins „Technik und Solidarität – Fahrräder für Afrika“, der sein Lager und seine Werkstatt in den Wagenhallen hat. Dort machen er und die anderen Mitglieder des Vereins gespendete Fahrräder wieder fit. In regelmäßigen Abständen werden Container mit den Rädern, mit Ersatzteilen und Werkzeug zu Partnerorganisationen in verschiedene Länder Afrikas geschickt. Vor Ort sollen die Menschen nicht nur mit den Spenden versorgt werden, sondern auch lernen, die Räder selbst zu reparieren und umzubauen, etwa zu Lastenfahrrädern für den Warentransport.

Selber schrauben steigert die Wertschätzung

Auch im Stuttgarter Norden setzt sich der Verein für die Idee der Wiederverwertung ein und gegen die „Ersetze alt durch neu-Mentalität“, wie Rudolf es nennt. Im Rahmen des Projekts „Nachhaltigkeit lernen – beispielhafte Projekte für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung“ veranstaltet der Verein deshalb Kurse, zum Beispiel mit Schulklassen. „Wenn man selbst an etwas geschraubt und Zeit investiert hat, steigt die Wertschätzung für diesen Gegenstand“, sagt Rudolf.

An diesem Donnerstagmorgen ist Rammadan zusammen mit anderen Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft an der Tunzhofer Straße zu Gast. Es ist nicht das erste Mal, dass der Verein mit der Caritas kooperiert und mit Flüchtlingen Räder repariert. In Schichten werden sie von Mitarbeitern der Caritas in die Wagenhallen gebracht, immer vier für zwei Mitglieder des Vereins. „So können wir uns gut um jeden einzelnen kümmern“, sagt Rudolf. Um die Fahrradspenden hat sich die Caritas gekümmert, auch Helme und Schlösser bekommen die Flüchtlinge gestellt.

Rammadan hat sich überzeugen lassen und beginnt, zusammen mit Rudolf passende Ersatzteile zu suchen. Dann muss das Fahrrad geputzt werden. Es dauert keine halbe Stunde und der Drahtesel sieht aus wie neu. „Das ist toll“, freut sich der Serbe. Jetzt könne er alle Besorgungen mit dem Rad erledigen, müsse nicht auf die Bahn warten und kein Ticket kaufen.

Die Kommunikation funktioniert mit Händen und Füßen

Rammadan spricht gut deutsch. Das ist nicht bei allen Flüchtlingen an diesem Tag so. Zwei Jungs aus Eritrea können weder Deutsch noch Englisch. „Wir unterhalten uns mit Händen und Füßen“, sagt Tilman Keding vom Verein, der mit den beiden die Räder repariert. Wenn Familien da sind, müssen oft die Kinder übersetzen. Sie lernen schneller als ihre Eltern. Zu Missverständnissen kommt es dennoch.

Meistens wird beim Reparieren aber gar nicht viel gesprochen, sondern konzentriert gearbeitet. „Da geht es eher um das Gemeinschaftliche. Nicht jeder möchte ständig über sein Schicksal sprechen“, sagt Rudolf. Und wenn doch, dann meistens nach getaner Arbeit bei einer Tasse Tee. Da erzählt zum Beispiel Momodou aus Gambia ein bisschen von seiner Geschichte: wie er vor einem Jahr nach Deutschland gekommen ist, dass er froh ist, jetzt in einem friedlichen Land zu leben und von seiner Mutter, die er zurücklassen musste. „Sie hat Angst vor der Kälte“, sagt er und lacht.