Die Stiftung Geißstraße bittet um Fahrräder für Asylbewerber – mit unerwartetem Erfolg. 180 Fahrräder wurden innerhalb der ersten drei Wochen gespendet, geschätzte 200 sind es geworden.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Der Urgedanke war nur eine Art Willkommensgruß. „Wir wollten die Flüchtlinge mit einer freundlichen Geste empfangen“, sagt Michael Kienzle. Auf die Idee, dass diese freundliche Geste ein Fahrrad sein könnte, kann wohl nur ein Grüner kommen. Kienzle sitzt für die Grünen im Gemeinderat. Außerdem ist er Vorstand der Stiftung Geißstraße. „Zuerst dachte ich, die Idee ist verrückt.“ Das sagt er selbst. Trotzdem begann die Stiftung, darum zu bitten, ungenutzte Fahrräder für Flüchtlinge zu spenden.

 

Der erste Anrufer „war der Pfarrer, der meine Tochter konfirmiert hat“, sagt Kienzle – aber nicht der letzte. 180 Fahrräder wurden innerhalb der ersten drei Wochen gespendet. Geschätzte 200 sind es geworden. Etwa ebenso viele Helme und Schlösser kommen hinzu. Bisher sind 130 der Räder abgeholt, mit einem Transporter, dessen Benutzung ebenfalls eine Spende ist. Der Erfolg ist unerwartet und „bringt uns an die Grenze“, sagt Kienzle. „Aber alle machen irgendwie mit.“ Nebenbei ergibt sich mit jeder Spende die Gelegenheit, über die Neuzuwanderer zu reden. „Das ist politisch wichtig“, sagt Kienzle.

„Brutkasten für neue Ideen“

Durchaus: Rund 1300 neue Asylbewerber erwartet die Stadt in diesem Jahr. Damit wird sich die Zahl fast verdoppeln – mithin auch die Zahl der Unterkünfte. Gegen sie regt sich mancherorts Unmut. Wegen einer neuen Unterkunft in Feuerbach ließ eine Gemeinschaft von Anwohnern gar eine Anwaltskanzlei einen Brandbrief ins Rathaus schicken. „Gewalttätige Auseinandersetzungen“, der Bewohner untereinander und mit der Nachbarschaft seien ebenso zu erwarten wie die „fortlaufende Begehung von Straftaten“, war in dem Schreiben zu lesen – unter anderem. Tatsächlich fallen die aktuell gut 1600 Flüchtlinge in Stuttgart in ihrer Nachbarschaft nicht mehr oder minder auf als jeder andere.

Die gespendeten Fahrräder sind keineswegs Altmetall. „Es ist richtige Qualitätsware dabei“, sagt Kienzle, „wenn auch nicht auf den neusten Stand der Technik.“ Gleichsam die Schlusspolitur verpassen Mitarbeiter der Neuen Arbeit den Spenden. Die Beschäftigungsgesellschaft betreibt beim Bahnhof in Bad Cannstatt eine Fahrradwerkstatt. Dort werden die ersten rund 50 der Räder am 11. April ihren künftigen Benutzern übergeben, bei einem Begrüßungsempfang. Allerdings will die Stiftung die Aktion nicht dauerhaft fortsetzen. „Wir verstehen uns als Brutkasten für neue Ideen“, sagt Kienzle. Wenn die bisher gesammelten Räder abgegeben sind, soll eine andere Organisation gefunden werden, die sich künftig um die Fahrräder für Flüchtlinge bemüht.