An der Universität Stuttgart will man neue Fahrzeugkonzepte testen und baut dafür Europas leistungsfähigsten Fahrsimulator.  

Stuttgart - Der erste "Tanz" ist vorbei und der erste Test bestanden - jetzt werkeln die jungen Männer wieder an einem wundersam erscheinenden Gerät, das von Weitem einer Raumkapsel gleicht. Nur dass die Kapsel mit sechs mächtigen Teleskopbeinen und anderem Gestänge fest in der Betonwanne einer riesigen Halle auf dem Campus der Universität Stuttgart verankert ist. Hier soll Europas leistungsfähigster Fahrsimulator entstehen.

 

Noch hängen allenthalben lose Kabelstränge herum. Eine Leiter führt zur weiß getünchten Kuppel. Unter deren Decke bereiten Nachwuchsforscher die Montage der Videobeamer vor. Diese LED-Projektoren sollen später das Fahrszenario auf die Innenwand werfen - ein Rundumkino für den Testpiloten. Das erste Fahrzeug steht auch schon bereit. Von der pechschwarzen Karosserie her ein Opel, im Innenraum kaum verändert, allerdings ohne Räder und Motor. Das Auto ruht fest verschraubt auf einem Metallträger, der in die Kuppel gezogen werden kann. "Wir brauchen ein extrem versteiftes Fahrwerk", erläutert Projektleiter Philip Rumbolz vom Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren (FKFS) auf dem Campus der Uni Stuttgart. Denn jede Fahrzeugbewegung in der simulierten Fahrt - auch das Wippen der Stoßdämpfer - kommt aus dem Computer.

Dreht der Fahrer den Zündschlüssel herum, brummt promt das Motorengeräusch aus dem Lautsprecher. Fährt er sachte an, geht der Ton hoch, und die Kuppel bewegt sich auf dem Längsschlitten in der Halle. Beschleunigen, Bremsen, in die Kurve gehen - all diese Fahreindrücke simulieren die Forscher mit einer Tanzchoreografie aus Schlittenbewegung und Hexapod - den sechs Beinen der Kuppel. Die Bühne für den Simulatortanz misst dabei zehn mal sieben Meter für Längs- und Querschlitten.

"Fast alle Fahrmanöver sind möglich"

Aufwendige Computerprogramme und Dutzende PCs helfen dabei, die Videoprojektion in der Kuppel mit den realen Bewegungen des Geräts in der Halle zu synchronisieren. "Das muss auf unter 30 Millisekunden genau stimmen", sagt Gerd Baumann, Forscher am FKFS und Ideengeber für den Fahrsimulator. Stimmen nämlich die gefühlte Bewegung im Raum und der Bildeindruck nicht überein, wird der Proband schnell seekrank. "Diese Tests stehen noch aus, doch wir sind auf der sicheren Seite", versichert Baumann.

Vor 15 Jahren hatte der Forscher zum ersten Mal über einen Fahrsimulator dieser Größe nachgedacht. Maschinenbau und Computertechnik waren da längst noch nicht so weit, eine solche Anlage zu realisieren. Doch dies sollte sich bald ändern. "So ein Projekt stemmen Sie nur, wenn Sie ein gutes Team sind und Entscheidungsträger vom Sinn des Ganzen überzeugen können", sagt Baumann. Die Universität Stuttgart und das FKFS zogen an einem Strang mit dem Forschungsprojekt "Validate". Finanziert von Bundesforschungsministerium und dem Land Baden-Württemberg, erhielten sie ein Budget von 3,7 Millionen Euro, "dessen Löwenanteil in den Fahrsimulator und die Software für die Simulation geht", wie Baumann ergänzt.

Obwohl der richtige Testbetrieb mit Kuppel, angeschlossener Karosserie und Testfahrern noch aussteht, kommen die Forscher Baumann und Rumbolz schon jetzt ins Schwärmen. "Fast alle Fahrmanöver sind möglich", antwortet Baumann auf die Frage nach den Grenzen der Simulation. Von null auf Hundert in acht Sekunden? Baumann lächelt: kein Problem. Haarnadelkurven, Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher, Nachtfahrten? Baumann lächelt weiter.


Der Grund für den riesigen Aufwand liegt in der Natur des Menschen selbst. Zu sehr unterscheiden sich die Temperamente der Fahrer, zu unterschiedlich reagieren sie in kritischen Situationen - für die Verkehrsforschung ist der Mensch eine unberechenbare Größe. Daher setzen Wissenschaftler wie Rumbolz und Baumann Testfahrer in reale Messfahrzeuge oder eben in den Simulator.

Bisher ließ Rumbolz seine Probanden eine rund 60 Kilometer lange Teststrecke rund um Stuttgart fahren. Fragestellungen waren etwa, ob sich mit dem automatischen Folgefahren (ACC) tatsächlich Kraftstoff einsparen lässt (ja, das tut es) oder wie stark der Benzinverbrauch von der Fahrweise abhängt (er streut beträchtlich). Um repräsentative Aussagen zu bekommen, müssen die Forscher 50 bis 100 Testfahrer - Männer, Frauen, Alte, Junge - um Stuttgart kurven lassen. Das ist nicht nur aufwendig, wichtige Einflussfaktoren wie Wetter, Fahrzeugdichte, Staus und Ampelschaltungen variieren von Fahrt zu Fahrt und machen die Ergebnisse nicht so präzis, wie die Forscher sich das wünschen.

Trend zum Hybrid- und Elektroauto gibt weitere Impulse

Im Simulator sind die Szenarien indes für jeden Fahrer identisch. Das Softwareteam von Baumann hat inzwischen den 60-Kilometer-Rundkurs in Bits und Bytes auf der Festplatte. "Wir wollen simulieren, wie Fahrer mit neuen Assistenzsystemen umgehen", erläutert Rumbolz. Da Fahrzeugfunktionen immer weiter automatisiert werden, ist für die Wissenschaftler wichtig herauszufinden, wie Fahrer diese annehmen, wie sie optimiert werden können und ob sie überhaupt nützen. Die Testfahrer können in der Kuppel weitaus kritischeren Fahrsituationen ausgesetzt werden, die man auf der realen Straße nicht proben kann - etwa einer automatische Notbremsung oder einem doppelter Spurwechsel, um Hindernissen auszuweichen.

Der Trend zum Hybrid- und Elektroauto gibt weitere Impulse. In einem Forschungsprojekt plant das Team um Baumann und Rumbolz ein System, das die Reichweiten abschätzt. Viele Fahrer befürchten nämlich, dass sie wegen des begrenzten Aktionsradius des Elektroautos irgendwo stehen bleiben und nicht mehr nach Hause zurückkommen. Der Fahrzeugassistent berechnet, wie weit die Akkukapazität in Abhängigkeit vom Fahrstil und dem Verbrauch anderer Komponenten wie Licht oder Heizung noch reicht.

"Wir wollen aber auch etwas für die Sicherheit der Menschen außerhalb des Fahrzeugs tun", sagt Baumann und wird an dieser Stelle zum ersten Mal ernst. Fahrzeughersteller haben die Sicherheit der Insassen immer weiter verbessert: Gurt, Airbag, elektronische Fahrstabilisierung, Notbremsung. "Jetzt sind auch die Fußgänger bei der Sicherheit dran", so Baumann. Durch leistungsfähige und billige Kamerachips, wie sie in jedem Handy vorkommen, lässt sich das Autoumfeld beobachten. Quer schießende Radfahrer oder zwischen parkenden Autos hervorpreschende Passanten lassen sich unter Umständen von der Fahrzeugelektronik rascher erkennen als vom Fahrer. "Wir müssen uns Gedanken machen, wie das Fahrzeug auf solche Informationen reagiert", erklärt Baumann. Und dies geschieht am besten im Simulator.


Idee Viele Fahrzeugtests sind für reale Umgebungen zu aufwendig, gefährlich oder nicht reproduzierbar. Daher wird das Auto in ein Rundumkino auf sechs Stelzen geschoben.

Konzept Sämtliche Fahrbewegung vollführt ein Schlitten mit sechs Teleskopbeinen, die eine Simulatorkuppel tragen. Dort spielen Videoprojektoren das simulierte Fahrszenario ein. Film und Kuppelbewegungen verlaufen bis auf wenige Millisekunden genau synchron.

Forschungsziele Untersucht werden das Verhalten des Fahrers in verschiedenen Situationen, die Funktionalität von Assistenzsystemen, ferner Verbrauchs- und Emissionsreduzierung in neuen Fahrzeugkonzepten wie Hybrid- und Elektroautos sowie Fußgängerschutz.

Projekt Der Fahrsimulator an der Uni Stuttgart entsteht innerhalb des 3,7 Millionen Euro teuren Projekts „Validate“, das vom Bundesforschungsministerium und dem Land Baden-Württemberg finanziert wird. Die Inbetriebnahme ist für das Frühjahr 2012 geplant.