Der Erfolg der Geländewagen füllt die Kassen der Hersteller. Die Kehrseite der Medaille: Die Öko-Vorgaben für die Fahrzeuge sind kaum mehr erfüllbar.

Stuttgart - Die Geländewagen fahren durch dick und dünn. Sie können das zumindest, und manchmal werden sie dafür genutzt. Auch im Autogeschäft setzen sie sich immer mehr durch. Im ersten Halbjahr 2013 waren sie das Marktsegment mit den höchsten Zuwachsraten und das bei einem schrumpfenden Westeuropamarkt. Mercedes-Vertriebschef Joachim Schmidt freut sich über den Erfolg der Geländewagen: „Weltweit waren die Sports Utility Vehicles der Marke erneut wichtige Wachstumstreiber.“ Sports Utility Vehicles, also sportliche Mehrzweckfahrzeuge, gefällt der Branche als Bezeichnung besser als die Alltagsbezeichnung Geländewagen. Die entsprechenden Fahrzeuge mit dem Stern legten im ersten Halbjahr 2013 um über 20 Prozent zu. Selbst Papst Franziskus lässt sich in einer speziellen M-Klasse chauffieren.

 

Sogar der VW Up soll geländetauglich werden

Inzwischen haben sich die früher derb gestylten Geländewagen gewandelt. Sie sind inzwischen nicht nur eine Fahrzeugkategorie, sondern tummeln sich als Ergänzung in allen Modellreihen vom Kleinwagen bis zur Oberklasse. So plant VW die Up-Kleinwagenfamilie mit einer potenziell geländegängigen Version zu erweitern. Die Studie Taigun wurde schon vorgestellt, und vieles spricht dafür, dass daraus ein Serienmodell wird, das dann ab 2016 in Brasilien vom Band rollen könnte. VW treibt damit die Schrumpfkur auf die Spitze.

Auch bei den Premiummarken spielen geländetaugliche Mobile eine immer größere Rolle. Bei Porsche geraten durch den Cayenne und dessen kleineren Bruder Macan, der demnächst auf den Markt kommt, die Sportwagen endgültig in die Minderheitsposition. Maserati, die Fiat-Edelmarke, die bisher Sportwagen und Sportlimousinen baute, will das Offroad-Mobil Levante ins Programm nehmen, das dann 2014 das meistverkaufte Modell der Marke mit dem Dreizack werden soll. Die englische Luxus-Sportwagenschmiede Aston Martin präsentierte schon eine Studie, die auf dem Mercedes-GL-Geländewagen basierte. Jetzt wollen die Engländer statt der bisherigen in Köln produzierten Ford-Triebwerke Motoren und Elektronikkomponenten von Mercedes-AMG einbauen. Im Gegenzug erhält Daimler eine Fünf-Prozent-Beteiligung an Aston Martin. Damit hat die Studie der Briten Realisierungschancen. Die VW-Tochter Bentley will ab 2016 mit einem superluxuriösen 600-PS-Geländewagen den bisherigen Jahresumsatz um mehr als 50 Prozent steigern. Auch die zum VW-Konzern gehörende Sportwagenschmiede Lamborghini plant einen sportlichen Geländewagen, der als Urus ab 2017 die Produktionszahlen mehr als verdoppeln soll. Technikspender für diese beiden Supermodelle des Konzerns wird der Audi Q8 sein, ein Premium-Geländemobil, das mit der Oberklassenlimousine A8 in einer Liga fährt. Diese Edelfahrzeuge werden den Wettbewerb in der Oberklasse massiv beeinflussen. Die neue S-Klasse – wie die gesamte Oberklassenlimousinen-Konkurrenz – wird sich in den wachstumsträchtigen Automärkten Russland und China auch gegenüber diesen geländegängigen Luxus- Großraumautos behaupten müssen.

Audi-Prognose: 40 Prozent Marktanteil für Geländewagen

Die Geländewagen fahren mit hohem Tempo aus der Nische. Inzwischen ist jeder vierte verkaufte Audi ein Geländewagen, und Audi-Chef Rupert Stadler erwartet, dass 2020 rund 40 Prozent der verkauften Autos dieser Kategorie zuzuordnen sein werden. Bei BMW ist es fast jeder dritte Neuwagen – Tendenz ebenfalls steigend. VW plant sein Angebot um Tiguan-Varianten und zwei kleinere Modelle zu erweitern. Der Opel-Hoffnungsträger ist der Mokka. Dieses kompakte Auto wird zusammen mit dem Parallelmodell Chevrolet Trax in Südkorea gebaut. Aufgrund der hohen Nachfrage startet die Produktion des Mokka in der zweiten Jahreshälfte 2014 im spanischen Opel-Werk Saragossa. Aus der Ferne kommen auch andere Geländewagen. Audi produziert den Q3 in Spanien, den Q7 in der Slowakei, zusammen mit dem VW Touareg und der Karosserie des Porsche Cayenne. Der mittelgroße Q5 rollt noch in Ingolstadt vom Band, doch ab 2016 wird die nächste Q5-Generation in Mexiko für die Welt gebaut. BMW produziert nur den X1 in Deutschland. Alle größeren Modelle kommen aus dem US-Werk Spartanburg/South Carolina. So hält es auch Mercedes. Der GLK ist made in Germany, die M-Klasse und der große GL werden in Tuscaloosa/Alabama hergestellt.

Die Öko-Ziele sind kaum erreichbar

Ende der 90er Jahre hatte es angefangen. Seither wächst die Nachfrage nach Geländewagen ungebremst. 2012 wurden in Deutschland fast eine halbe Million verkauft – doppelt so viele wie noch vor vier Jahren. Die Geländewagen haben damit einen Marktanteil von knapp 16 Prozent erreicht. Im Klartext: jeder sechste in Deutschland verkaufte Neuwagen war ein sportlicher Geländewagen, und vieles spricht dafür, dass es so weitergehen wird. Experten rechnen damit, dass bis 2020 jeder dritte Neuwagen im Geländetrimm daherkommt. Die Autoindustrie kann sich die Hände reiben. Geländewagen können teurer verkauft werden und bringen eine höhere Gewinnspanne.

Doch das Geländewagen-Fieber hat Nebenwirkungen. Vergleicht man VW Golf und den Geländetyp Tiguan, beide mit einem 2,0-Liter-Dieselmotor, dann schluckt der Geländewagen über einen Liter mehr Sprit und pustet über 30 Gramm CO2 pro 100 Kilometer zusätzlich in die Landschaft. Der Tiguan bringt 200 Kilogramm mehr auf die Straße, ist 25 Zentimeter höher und knapp 3000 Euro teurer. Die Folge: ein deutlich höherer Treibstoffverbrauch als vergleichbare Limousinen oder Kombis. Wenn diese Spritschlucker einen immer größeren Marktanteil schaffen, dann wird es für die Hersteller immer schwerer, die von der EU vorgegebenen Klimaschutzziele zu erreichen. Bis 2020 sollen Neuwagen in Europa statt heute sechs Liter im Durchschnitt vier Liter je 100 Kilometer schlucken und damit statt 130 Gramm noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Experten schätzen, dass das bei einem Marktanteil von 15 Prozent gerade noch erreicht werden kann. Bei dem angepeilten Anteil von 30 Prozent bis 2020 gilt das mit der aktuellen Technik als nicht realistisch. Die Autos müssen also schrumpfen, damit der Erfolg anhalten kann.

Verzicht auf den Allradantrieb

Die Autoindustrie reagiert mit einer Dreifachstrategie. Schritt eins ist schon sichtbar: der kompakte Geländewagen. Nicht nur der Motor schrumpft, sondern gleich das ganze Auto. Audi bietet mit dem Q3 und BMW mit dem X 1 kleinere, sparsamere Modelle an, die teilweise auf den Allradantrieb verzichten und so Sprit sparen. Bei den Kompaktmodellen werden inzwischen mehr als ein Drittel mit nur zwei Antriebsrädern verkauft, während die Dickschiffe fast ausschließlich mit Vierradantrieb geordert werden. In diesen Markt steigt nun auch Mercedes ein. Auf der IAA im September zeigen die Stuttgarter einen kleineren Geländewagen auf Basis der A-Klasse, der als GLA im Frühjahr 2014 auf den Markt kommt. Damit schließt der Konzern eine Lücke im Angebot, wie der Vorstand einst selbst eingeräumt hat: Daimler habe kein Auto wie den BMW X1 lautete einer der Erklärungen für den größer gewordene Abstand zu dem bayerischen Rivalen.

Der zweite Schritt: den eckigen und hochbauenden Geländewagen werden schlanke tiefergelegte Coupés zur Seite gestellt. BMW war mit dem X6 Vorreiter dieses Trends und hatte damit überraschend Erfolg und legt deshalb 2014 mit dem X4 im Coupé-Look nach. Audi kontert gleich mit drei Geländewagen-Coupé-Modellreihen: Q4, Q6 und Q8. Daimler-Chef Dieter Zetsche hat jetzt eine weitere Mercedes-Neuheit angekündigt: einen besonders dynamischen Geländewagen, also eine coupéartig verschlankte M-Klasse, die auch im US-Werk Tuscaloosa gebaut wird.

Hybridtechnik gilt als die Lösung

Schritt 3 ist die teure, aber Sprit sparende Hybridtechnik, die den großen Geländewagen das Spritschlucken mit Hilfe zusätzlicher Elektromotoren abgewöhnen soll. So will Volkswagen noch dieses Jahr entscheiden, ob in den USA solch ein geländegängiges Fahrzeug mit Hybridantrieb für den nordamerikanischen Markt gefertigt wird. Der Konzern hatte im Januar eine Studie des Geländewagens Crossblue mit Diesel-Elektroantrieb bei der Automesse in Detroit gezeigt, eine Serienfertigung aber noch offengelassen. Als Standorte kommen das US-Werk Chattanooga/Tennessee oder Mexiko infrage.

Damit die Allradler auch künftig auf der Erfolgsspur fahren, wollen die Marketingexperten das Image ändern. Aus Geländewagen werden SUVs, also Sports Utility Vehicles; manche Hersteller reden auch von SAVs – Sports Activity Vehicles. Und dann kommen die SUCs, die Sports Utility Coupés. So sollen die rustikalen Geländewagen immer mehr zu stadttauglichen Straßenfegern werden.