Im Mai 2016 schockiert der Tod des 17-Jährigen nicht nur Menschen in Bonn. Der Schüler wird nachts auf der Straße so heftig verprügelt, dass er stirbt. Jetzt beginnt der Prozess.

Bonn - Der Ort, an dem Niklas das Leben genommen wurde, ist bis heute zu erkennen. Ein Holzkreuz markiert das Rondell im Bonner Stadtteil Bad Godesberg, das zum Tat- und kurz darauf zum Gedenkort wurde. Schul- und Kinderfotos stehen dort, zudem Kerzen, auf die jemand mit Filzstift „Niklas R.I.P. unvergessen“ geschrieben hat. Das Wachs ist an einigen Stellen hinuntergelaufen. Ein per Hand abgeschriebenes Gebet steht in einem Rahmen. „Laß nicht zu, daß wir mitmachen, wenn Haß und Feindschaft Menschen gegeneinander treiben.“

 

In der Nacht auf den 7. Mai 2016 hat sich an diesem Ort nach Lage der Dinge Dramatisches abgespielt. Der 17 Jahre alte Niklas starb wenige Tage später im Krankenhaus. Mehr als acht Monate sind seitdem vergangen, vergessen ist es längst nicht. Am Freitag (20. Januar) kommt es am Landgericht Bonn nun zum Prozess in dem Fall. Viele hoffen, dass er Gewissheit bringt, was damals genau geschah.

In der Anklage wird ein heute 21-Jähriger für den Tod des Schülers verantwortlich gemacht. Niklas, der in Bad Breisig (Rheinland-Pfalz) wohnte, war damals nach Angaben der Ermittler mit Freunden auf dem Heimweg von einem Konzert. An dem Rondell am Bahnhof soll die Gruppe auf eine andere Gruppe getroffen sein, Teil davon der nun Hauptangeklagte. Zunächst sei es zu einem verbalen Streit gekommen, dann habe der 21-Jährige mit der Faust Niklas gegen die Schläfe geschlagen. Als der Schüler am Boden lag, soll er ihm gegen den Kopf getreten haben. Er bestreitet diese Vorwürfe.

Tragödie macht bundesweit Schlagzeilen

Der Fall machte weit über die Grenzen Bonns hinaus Schlagzeilen, nicht nur wegen der menschlichen Tragödie. Auch schien an ihm eine diffuse Gefühlslage vieler Menschen konkret zu werden: dass man manche Ecken in einer Stadt meidet, dass die Aggressivität zuzunehmen scheint. Auch die Abstiegsangst eigentlich geordneter Viertel.

Denn Tatort war Bad Godesberg. In der alten Bundesrepublik - bevor Berlin Bonn als Hauptstadt ablöste - galt der Stadtteil als piekfeine Adresse, unter der die Diplomatie residierte. Wer vom Tatort Richtung Rhein geht, steht immer noch inmitten imposanter Villen-Architektur. Wer in die andere Richtung geht, bemerkt hingegen, dass der Stadtteil Veränderungen unterworfen war und ist. Glanz versprüht die Innenstadt nur noch spärlich. Und über Straßen-Gewalt wurde nicht erst seit Niklas diskutiert. Sein Tod löste aber eine neue Debatte aus.

Das Kreuz am Rondell hat der Bad Godesberger Pfarrer Wolfgang Picken aufstellen lassen. Er wurde danach nicht müde, öffentlich auf die aus seiner Sicht bestehenden Probleme hinzuweisen. Heute sagt er, dass sich wirklich etwas getan habe: mehr Polizei, mehr Sicherheit, ein Anpacken bei der Politik. Ein Schlusspunkt ist das gleichwohl nicht. „Es ist tief im Bewusstsein, es ist ein Markierungspunkt in der sozialen Geschichte des Stadtbezirks“, sagt Picken über Niklas’ Tod. „Es ist noch eine offene Wunde in der Stadt.“

Die Frage ist, ob der Prozess geeignet ist, die Wunden zu schließen, vor allem die der Familie. Für die Angehörigen sei es jedenfalls wichtig, dass die Verhandlung nun beginnen könne, sagt Picken. Er steht im engen Kontakt mit Niklas’ Mutter, die als Nebenklägerin auftreten wird. „Sie hat ein großes Interesse an der Wahrheit und an Gerechtigkeit“, sagt er. Sie wolle einfach wissen, was in der Nacht passiert sei. „Die Fantasie ist immer schlimmer als die Wirklichkeit“, zitiert er dazu einen Satz aus der Trauerbegleitung.

Angeklagter bestreitet die Tat

Einfach wird die Wahrheitsfindung gleichwohl nicht. Der Hauptangeklagte bestreitet die Tat und auch, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein, wie sein Anwalt sagt. Bei seiner Festnahme hatten sich die Ermittler vor allem auf eine Zeugenaussage gestützt. Später entdeckten sie nach eigenen Angaben bei ihm eine Jacke mit Blutspuren von Niklas. Ob das ein Beweis sein kann, muss das Gericht klären.

Mitangeklagt ist ein weiterer 21-Jähriger, unter anderem wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Er soll laut Anklage eine Begleiterin von Niklas geschlagen haben. Zudem habe er versucht, den am Boden liegenden Schüler zu treten. Daran sei er aber gehindert worden.

Im Prozess dürfte auch das rechtsmedizinische Gutachten eine Rolle spielen. Es hatte ergeben, dass Niklas’ Blutgefäße im Gehirn vorgeschädigt waren. Ausschlaggebend für den Tod sei demnach ein im Normalfall nicht tödlicher Schlag gewesen. Der Hauptangeklagte ist daher wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt, nicht etwa wegen Totschlags. Und das Gericht muss klären, ob bei ihm im Falle einer Verurteilung das Jugendgerichtsgesetz anzuwenden wäre. In der fraglichen Nacht war er 20 Jahre alt - und damit Heranwachsender.