Wolf und Pamela Biermann und das Zentral-Quartett geben im Stuttgarter Theaterhaus locker ein paar schöne Lehrstunden in Sachen Demokratie und Lied.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Als es noch ein halbe Stunde hin ist bis zum Auftritt von Wolf Biermann im Stuttgarter Theaterhaus, legt der Schlagzeuger Günter Baby Sommer ihm kurz die Hand auf den Arm sagt: „Bisschen vom Gas gehen, Wolf…“ Aber da gerät er natürlich an den Falschen.

 

Biermann und Sommer sitzen im T 4, der kleinsten Spielstätte hier, später wird man in einen größeren Saal umziehen, wo das Publikum am Ende vor Begeisterung andauernd steht. Im T 4 hingegen haben sich um 18. 30 Uhr ein paar Schulklassen artig in die Schalensitze gedrückt. Die Schüler stehen kurz vor dem Abitur, Wolf Biermann ist ein bisschen über Achtzig. Andererseits ist der vielfache Vater immer noch vergleichsweise nah dran am Nachwuchs: „Meine jüngste Tochter ist Sechzehn“, sagt er. „Zu jung für Euch!“, adressiert er die Kerle vor sich. Dass das mal klar ist.

Kampagne, komisches Wort

Alte männliche Sänger mit viel Historie und einer Gitarre um den Hals sind gerne unterwegs. Gerade war wieder Kris Kristofferson da, und demnächst kommen schon wieder Bob Dylan und Reinhard Mey um die Ecke. Meistens wollen die alten Sänger die alten Lieder singen und dann in Ruhe gelassen werden, und die alten Zuhörer wollen die Erinnerungen sacken lassen. Das ist nun aber eher nicht Wolf Biermanns Plan für eine Tournee kurz vor der Bundestagswahl. Wolf Biermann hat, ganz im Gegenteil, eine Kampagne gestartet, die heißt: „Demokratie feiern – demokratisch wählen!“. Kampagne, komisches Wort. Aber so hieß das mal, als Gelehrte und Künstler für Politiker trommelten, von Jürgen Habermas bis Günter Grass, der 1969 öffentlich und in preisenden Reden über hundert Mal „Es-Pe-De“ für Willy Brandt rief. Steht alles im sehr eitlen „Tagebuch einer Schnecke“. Später wurden die Künstler weniger und waren auch weniger berühmt, aber es gab sie noch, Restengagierte. Heute aber: Stille im Dom. Gleichgültigkeit. Wird es nicht eh Merkel?

Kulturelle Selbstzufriedenheit dieser Art fiel und fällt einem Menschen wie Wolf Biermann auf die Nerven, aber vor einen Parteikarren spannen lässt er sich natürlich auch nicht. Es geht ihm ums Ganze, und da die Demokratie momentan manchmal einen leicht angeschlagenen, mutlosen Eindruck macht, kann sie Biermann gut brauchen, der schon vor Jahrzehnten von der Bühne aus Zuhörer freundlich-ironisch mit der Wendung: „Brauchst du’n bisschen Mumm in die Knochen?“ adressierte. Also erzählt er den jungen Leuten intensiv von Zeiten, die sie als Europas Kinder gar nicht kennen können, nämlich vom Leben hinter Stacheldraht und Mauer: mit Wahlzwang, Gehirnwäsche, Gesinnungsterror und Indoktrination. Und warum man trotzdem mal dachte, der Kommunismus könne die Welt befreien, bis sich dann die Welt vom Kommunismus befreite, also nicht die ganze Welt, aber zumindest die DDR, in der Biermann seit 1976 und seiner Ausbürgerung nicht mehr leben durfte. Biermann redet nicht mehr mit Marx-, aber schon noch mit Engelszungen, und wenn Baby Sommer ihn nicht manchmal am Ärmel zupfen würde, hörte er so schnell nicht mehr auf. „Das kriegst du so nicht im Netz“, sagt einer der Jungen beim Rausgehen. Nein, kriegst du nicht. Und auch nicht auf CD.

Und Biermann bleibt sich treu

Zwar ist, begleitend zur Demokratiefeiertournee ein Tonträger mit Programminhalten auf den Markt gekommen („paar eckige Runden drehn“; Liederproduktion Altona), aber im Grunde genommen braucht man ihn dann schon vor sich im Konzert, diesen kompakten, kleinen Mann, der es mit einem Schlag aufs Gitarrenholz, den kreiselnden Akkordwechseln im Intro und im Prinzip mit einem Satz von Bert Brecht zu Hanns Eislers Musik schafft, in einem Moment alles auf den Prüf- und Prophetiestand zu stellen: „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.“ Und er muss den Satz noch nicht mal selber singen. Biermann teilt sich die Interpretation der Lieder mit seiner Frau Pamela (die, mit eigenem Ton, mehr als eine Ergänzung ist) und hat überhaupt eine ganze Menge abgegeben von dem, was früher allein sein Terrain war. Die Musik ist, umgedreht, deswegen aber auch für Biermann wieder ganz neu, und das so genannte ZentralQuartett (mit Henrik Walsdorff, Tenorsaxofon; Christof Thewes, Posaune; Ulrich Gumpert am Klavier und eben Baby Sommer) schlägt aus dieser Arrangementskonstellation ein paar Free-, aber auch ein paar Mainstreamfunken, wenn der Vierviertel-Biermann auf einmal das Walzern anfängt und gekonnt die Synkopen sucht: alles sehr tief und leicht zugleich. Nicht light.

Inhaltlich nämlich haben die ganzen Sachen, zu denen einem früher wie heute die Knie wackeln können, nichts verloren und funktionieren zum großen Teil auch ohne ihren ursprünglichen Kontext. Man muss also nicht wissen, wer der Dichter und Biermann-Freund Reiner Kunze war, um den dialektischen Appell „Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um…“ zu verstehen (und wer’s, qua Alter, kann, hat mindestens zwei Ebenen zum Denken). Und man muss selbstverständlich nicht von der Stasi verfolgt worden sein, um etwas „Ermutigung“ in Anspruch nehmen zu wollen: „Du lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit…“, einst für Peter Huchel geschrieben. Gerade weil es ein besseres, freieres Deutschland“ in diesem Landstrich noch nie gegeben habe, wie Biermann sagt, ist „Ermutigung“ nicht wohlfeil geworden. Denn wer saß direkt vor Biermanns Nase – den Schülern hatte der Sänger diese Geschichte erzählt - als er unter der Regie von Norbert Lammert im Deutschen Bundestag auftrat: Dr. Dieter Dehm, Biermann-Manager und Stasi-Informant in den Siebzigern, nunmehr inmitten der Linken daheim.

Weil sich nur ändert, wer sich treu bleibt, auch so ein Biermann-Satz von Dauer, langt er über „Soldat, Soldat“, „Um Deutschland ist mir gar nicht bang“ an diesem frisch zusammenkomponierten Abends (war Biermann einmal reifer und jünger zugleich?) als Vokalartist, Gitarrist, Pianist und Kapellmeister bei der Ballade an, die zum Heulen und zum Lachen gleichzeitig ist, und so sangen sie’s denn auch, Pamela und Wolf Biermann, das Lied vom donnernden Leben: „Das kann doch nicht alles gewesen sein?“ Da müssen doch noch, mindestens, ein paar eckige Runden gedreht… Und gewählt werden: genau.