Am Freitag den 13. März hat das Land am Nachmittag die Schulschließungen verkündet. Ungefähr zur selben Zeit saß eine Familie beim Geburtstagstisch zusammen – drei Generationen. Was keiner wusste: einer in der Runde war mit dem Coronavirus infiziert.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Stuttgart vor zwei Wochen: Die Läden sind geöffnet, die Spielplätze voll, vor den Eiscafés stehen die Menschen Schlange. Das Wetter ist sonnig und warm. Es ist Freitag, der 13. März. Während bei Familie Schuler (alle Namen geändert) im Wohnzimmer die Geburtstagstorte angeschnitten wird, macht in Baden-Württemberg die Runde, dass von Dienstag an die Schulen geschlossen haben werden, um den exponentiellen Anstieg bei den Infektionen zu bremsen. Drei Generationen haben am Tisch Platz genommen. Unter den zwölf Erwachsenen sind beide Großelternpaare. Keiner im Raum ahnt, dass sie nicht unter sich sind. Auch ein ungebetener Gast ist mit im Raum: SARS-CoV-2, das Coronavirus.

 

Sie sind vorsichtig, haben sich nicht umarmt zur Begrüßung. Nur Mira, das Geburtstagskind, haben alle gedrückt, um ihr alles Gute zu wünschen. Ob sie es war, die das Coronavirus in sich trug? Hat sie sich vielleicht in der Schule angesteckt? Das Stuttgarter Gesundheitsamt glaubt aber, dass ihr Vater der erste Virusträger war. Er zeigte nach der Feier als erster Symptome. „Ich hätte nie gedacht, dass das derart ansteckend ist“, sagt Melanie Richter, Miras Tante. Von den zwölf Erwachsenen sind nur drei nach der Feier symptomfrei geblieben. Einer Tante gehe es seltsamerweise gut, obwohl ihr Mann krank geworden sei, erzählt die 40-Jährige. Ein Großelternpaar (über 80 Jahre alt) ist wie durch ein Wunder verschont geblieben, das andere jedoch hat es voll erwischt. Sie mache sich Sorgen um ihre Mutter, sagt Melanie Richter. Sie könnten nicht mehr am Telefon miteinander kommunizieren. Der Hustenreiz ist zu groß. Sobald ihre Mutter ein paar Schritte gegangen sei, müsse sie sich hinlegen und ausruhen. Ihrem Vater ging es noch vor ein paar Tagen ähnlich schlecht – er sei „zum Glück“ auf dem Weg der Besserung. Sie hofft, dass ihre Mutter, sie ist Mitte 70, nicht ins Krankenhaus muss. Bisher hat die Ärztin gesagt, dass sie zuhause bleiben könne.

Geruchssinn ist nicht zurückgekehrt

Auch Melanie Richter selbst hat das Virus erwischt. Das Testergebnis liegt zwar noch nicht vor, aber die Symptome sind eindeutig – und alle Gäste der Feier, die getestet wurden, waren positiv. Sie hustet immer noch, das Telefonieren strengt an, sie hat Gliederschmerzen und schmeckt kaum etwas. Der Geruchssinn ist auch noch nicht zurückgekehrt. Lavendelseife oder Leerdamer – geruchstechnisch macht das für sie keinen Unterschied. Und dann dieses pelzige Gefühl im Mund. „Ich trinke literweise“, sagt die 40-Jährige. Das Gespräch für diesen Artikel hätte sie beinahe verschlafen. Sie ist nach dem Vorlesen bei den Kindern eingenickt – mal wieder. Die Erschöpfung komme in Wellen. Aber es geht ihr inzwischen besser. In der ersten Woche der Erkrankung habe sie es kaum vom Sofa hoch geschafft, erzählt sie und weiß entsprechend aus eigener Erfahrung, dass auch jüngere Personen das Virus nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten.

„Vielleicht dient unsere Geschichte als Abschreckung“, sagt Melanie Richter. Das ist der Grund, warum sie sie erzählt hat unter der Bedingung, dass sie anonymisiert wird. Denn die Familie ist Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Einige hätten ihnen Vorwürfe gemacht. Aber wie groß die Ansteckungsgefahr ist, das sei ihnen nicht bewusst gewesen – auch in ihrer Nachbarschaft seien an dem Wochenende noch Kindergeburtstage gefeiert worden. Zumal niemand aus ihrer Familie zuvor im Risikogebiet war.

Nachbarn haben die Versorgung übernommen

Gewundert habe sie, wie es mit den Tests gelaufen sei. Nur eine Person von der Feier sei noch am Tag der Meldung bei sich zu Hause aufgesucht worden. Bei ihr wurde ein Schnelltest gemacht. Sie arbeitet im Gesundheitswesen und hat mit Schwerkranken zu tun. Während Melanie Richters Eltern im Reitstadion getestet wurden, sei ihr Bruder – auch er sei aufgrund einer Vorerkrankung Risikopatient – von dort wieder nach Hause geschickt worden. Nach fünf Stunden des Wartens. Am Donnerstag dieser Woche hingegen sei jemand vom Gesundheitsamt zum Testen zu ihm nach Hause gekommen.

Alle Teilnehmer der Geburtstagsfeier sind seit dem 17. März unter Quarantäne. Versorgungsprobleme hätten sie aber keine gehabt, obwohl sie sich nicht innerhalb der Familie helfen konnten. Ihren Eltern habe die allein erziehende Nachbarin geholfen, die diesen die Einkäufe vor die Tür stellte – und jeden Morgen um 10 Uhr anrufe, ob sie etwas bräuchten. „Bei uns hing heute eine Tüte mit frischem Obst und Gemüse draußen“, freut sie sich – am Sonntag wurden ihnen Brötchen vorbei gebracht. „Meiner Schwester hat jemand einen Kuchen gebacken, sie weiß bis heute nicht, wer das war“, erzählt sie. Das sind Momente, die aufbauen.

Sie selbst werde sich revanchieren, wenn sie gesund sei. Nach Ablauf der vierzehntägigen Quarantänephase muss sie 48 Stunden symptomfrei sein, dann darf sie wieder raus. „Wenn Ihr krank sein solltet, werden wir Euch versorgen“, hat sie ihren Nachbarn schon fest versprochen.