Michael Braun macht die Sonne fit für die Zukunft (oben links) , in der Linde in Reudern decken Monika und Nico Stieglmeier die Tische ein (oben rechts), Jürgen Wachter leitet den Hirsch (unten links) und Maximilian Ritter hat den Landgasthof Zom Fässle übernommen. Foto: Kathrin Haasis
„Irgendwann übernimmst du das Ding“, hieß es immer bei Michael Braun. Nun ist es so weit für den Stuttgarter Koch. Er muss den Landgasthof Sonne seiner Familie neu erfinden. Trotz Gasthaus-Sterben gibt es auch sehr gut laufende Beispiele.
Ziemlich plötzlich stand Michael Braun in der Küche vom Landgasthof Sonne. Weil der Vater gesundheitlich nicht mehr konnte, kochte er wieder mit seiner Mutter saure Kutteln nach Oma Elsas Art. „Irgendwann musst du das Ding übernehmen“, war dem Koch immer klar. Ihn hatte es in die Ferne und in die Haute Cuisine gezogen, bevor er in Stuttgart ein Cateringunternehmen aufbaute. Mittlerweile ist im 65 Kilometer entfernt liegenden Mainhardter Ortsteil Bubenorbis im Kreis Schwäbisch Hall fast nichts mehr, wie er es als Kind kannte: Reisebusse mit Ausflugsgesellschaften halten nur noch selten an, gefeiert wird auch viel weniger und die Firmen tagen nicht mehr auf dem Land. „Hier in der Region hören fast alle auf“, bestätigt er das Lokal-Sterben. Die Sonne musste der 50-Jährige also neu erfinden. Auch andere Landgasthöfe wie die Linde bei Nürtingen, der Hirsch in Remshalden und der Landgasthof Zom Fässle im darüber gelegenen Buoch laufen gegen den Trend.
Im Landgasthof Sonne ein Raum für Weinproben
Im Keller aus dem 14. Jahrhundert richtet Michael Braun einen Raum für Weinproben ein. Er ist mindestens die fünfte Generation seiner Familie, die den Landgasthof Sonne betreibt. Der Opa hatte Rinder, Schweine und Äcker. Als Kind rührte er das Blut, wenn sein Vater schlachtete. Die Landwirtschaft gaben die Brauns vor langer Zeit auf und mit den strenger werden Vorschriften auch die Metzgerei. Die sechs Gästezimmer werden nach wie vor gut von Monteuren gebucht. Den Saal, der immer öfter leer stand, baute Michael Braun mit der Übernahme in möblierte Wohnungen um. Sie sind an ein Unternehmen vermietet, das damit Mitarbeiter wirbt. Und die Wirtschaft hat nur noch Donnerstag bis Sonntag geöffnet. Für Michael Braun bedeutet Landgasthof „keine Experimente“, sondern ehrliche Küche, dass die Soßen aus Knochen gekocht werden, der Sauerbraten selbst angesetzt wird. Von ihm gejagtes Wild gibt es, selbst geräucherte Fische aus dem See eines Bekannten. Das teuerste Gericht ist der Rostbraten für 25,50 Euro. „Sonst reden die Leute“, sagt er.
Zur Jahrtausendwende war Michael Braun schon einmal nach Bubenorbis zurückgekehrt. Damals wäre er in den Familienbetrieb eingestiegen, doch „Generationenkonflikte“ führten dazu, dass er sich wieder verabschiedete – eigentlich auf immer. „Aber ich will die Tradition und die Immobilie nicht aufgeben“, sagt er. Außerdem kommt der 50-Jährige immer wieder ins Schwärmen über den Ort und die Umgebung. „Man ist hier in einer anderen Welt“, sagt er und freut sich darüber, dass jede Viertelstunde die Glocke im Kirchturm schlägt. Mit seinem 23-jährigen Sohn Joe, der gerade im Münchner Drei-Sterne-Lokal von Jan Hartwig Station macht, „die Gegend aufzumischen“, das würde ihn durchaus jucken, erzählt Michael Braun noch. Doch ein Gourmetlokal braucht seiner Meinung nach eine Metropole. Damit er nicht mehr jeden Tag die weite Strecke fahren muss, hat er jetzt seinen Neffen Louis Braun (25) in der Küche eingearbeitet.
EIne Spezialität im Landgasthof Line: die Hirnsuppe mit Backerbsen hat viele Fans. Foto: Kathrin Haasis
Für die Hirnsuppe von Klaus Stieglmeier kommen die Gäste von weither. Maultschen und Rauchwurst macht er ebenfalls selbst. „Mit unserer deutschen Küche sind wir auf der richtigen Seite“, ist der 67-Jährige überzeugt. Der Landgasthof Linde in Reudern bietet, was es kaum mehr gibt: Raum für Feiern und Ausflüge. Er „liegt optimal“ bei Nürtingen an der Autobahn. Niederländer auf dem Weg in den Süden machen bei ihnen Station – in den Hotelzimmern auf Drei-Sterne-Niveau. Ein Anbau ist geplant, weil die Nähe zur Messe und zum Flughafen ebenfalls Gäste anzieht. „Wir bleiben immer am Ball“, sagt der Seniorchef, der nach zehn Jahren als Pächter den Landgasthof 2018 mit seiner Frau für einen Millionenbetrag gekauft hat.
Monika Stieglmeier deckt mit ihrem Sohn Nico gerade für einen Leichenschmaus ein. Wenn die Leute aus dem Urlaub zurückkommen, kehren sie ebenfalls in der Linde ein, erzählt sie: „Dann hatten sie genug Pizza und wollen Schnitzel, Spätzle und Soße und unseren Kartoffelsalat, den lieben sie auch.“ Ihr 27 Jahre alter Sohn ist eigentlich Zimmermann von Beruf, hat allerdings so viel Spaß daran, „die netten Gäste glücklich zu machen“, dass er im Januar den Betrieb übernimmt. Als Kompagnon steigt Michael Mönch (36) ein, der seit Jahren mit Klaus Stieglmeier in der Küche steht, womit arantiert ist, dass alles nach dem Geschmack der Gäste bleibt.
Eigentum verpflichtet im Landgasthof Hirsch
Jürgen Wachter zählt seine Stunden nicht. Er nennt sich „das Mädchen für alles“ im Landgasthof Hirsch in Remshalden, der seit 1803 in Familienbesitz ist. Immer gibt es irgendwo eine Baustelle im Fachwerkhaus von 1610 oder im Gästehaus, das sein Vater mit Schwimmbad baute. Für die FDP saß der fünfte Hirsch-Wirt im Gemeinderat, deshalb gibt es eine Reinhold-Maier-Stube und ein Gästebuch mit allen großen Namen der Partei von Theodor Heuss bis Guido Westerwelle. Sein Sohn sieht sich als Verwalter der Geschichte, das Eigentum verpflichtet ihn. Morgens macht er oft Frühstück für die Gäste aus den 39 Zimmern, er kocht, sitzt an der Rezeption, schaut am Abend ins Lokal. Ohne die Hilfe der Frau und den Sohn wäre der Betrieb nicht zu schaffen. „Wer macht so etwas noch?“, fragt er und verweist auf das Lamm oder den Ochsen im Ort, die längst aufgegeben wurden. Gepunktet wird im Hirschen seiner Meinung nach mit der Küche, mit zuverlässiger Qualität, Kontinuität und nur einem Ruhetag in der Woche. Carpaccio vom Rinderfilet, Kalbsleberscheiben Berliner Art und den Zwiebelrostbraten hat er auf der Karte. „Gemütlichkeit und Gastfreundschaft, mehr braucht es nicht“, ist sich Jürgen Wachter sicher.
Maximilian Ritter ist der Sohn, den sich jeder Gastronom wünscht. Diesen August hat der 27-Jährige den Landgasthof Zom Fässle übernommen. Seit vier Jahren stand er schon mit der Oma in der Küche, die den Betrieb in Buoch mit ihrem Mann 1981 als Besenwirtschaft eröffnete. Der Andrang war so groß, dass nach 15 Jahren die Landwirtschaft aufgegeben und ein Gasthof daraus wurde. Den Zusatz Landgasthof hat er sic hallein dadurch verdient, dass es ringsherum nur Wiesen und Felder gibt. Seine Mutter bedient die Gäste und hat immer Zeit für einen Plausch. Von mittwochs bis sonntags ist von Mittag durchgehend bis in den frühen Abend geöffnet. Von der Oma gebackene Kuchen gibt es am Nachmittag und Vesper.
Moderne Wirtshauskultur im Landgasthof Zom Fässle
Maximilian Ritter lernte im Lamm in Hebsack und in der Sterne-Küche von Michael Oettinger in Fellbach. „Ich wusste als Kind schon, dass ich Koch werden will“, betont er, während er das Gemüse für die Krustentiersuppe schneidet. Rehragout mit Brezelserviettenknödel und Portweinfeigen oder Perlgraupen-Risotto mit gelber Bete und Kürbis stehen auf seiner Karte. Mit Maultaschen, Rostbraten und dem Kartoffelsalat nach dem Rezept seiner Großmutter macht er die Stammgäste weiterhin glücklich. Sein Anspruch ist „brutale Qualität“. Und sein Plan, den Landgasthof zu modernisieren, ist aufgegangen: Das Publikum wurde jünger, die alten sind geblieben und der Andrang ist immer noch groß. „Moderne Wirtshauskultur zieht die Leute an“, sagt er.