Eltern richten oft alles auf die Kinder aus. Für Zweisamkeit bleibt da kein Platz. Foto: Sebastian Ruckaberle
Elternsein verändert alles – auch die Liebe. Eine Stuttgarter Paarberaterin verrät, wie Paare wieder zueinanderfinden und was das Familienbett damit zu tun hat.
Kind in die Kita bringen, Haushalt machen, bei der Arbeit abliefern – Eltern haben so viel zu tun, dass wenig Zeit für sie selbst bleibt. An Zeit für die Beziehung oder gar für Sex ist für viele gar nicht zu denken. Die Stuttgarter Paartherapeutin Birgit Kohlhase gibt Tipps, wie Eltern damit umgehen können.
Sind Eltern weniger intim miteinander, weil sie Eltern sind?
Ja. Die Geburt des ersten Kindes ist ein gravierender Einschnitt in das Leben das Paares. Es kommt ja nicht nur ein weiterer Mensch dazu, sondern es entsteht ein vollkommen neues System. Die Umstellung zum Elternsein fällt für die Frau weit größer aus als für den Mann, auch wenn die heutigen Väter sehr engagiert sind. Die Sexualität tritt in den Wochen nach der Geburt der Frau auch erst mal in den Hintergrund. Eltern klagen, durch Schlafmangel kaum noch Zeit und Kraft für die Beziehung zu haben. Vorher hatten beide Autonomie, Leichtigkeit, andere Themen. Sie konnten selbstbestimmt weggehen oder intim werden, wann sie wollten. Alles war anders.
Gibt es typische Muster, die Sie beobachten?
In den ersten Wochen und Monaten wird verständlicherweise alle Aufmerksamkeit dem Kind geschenkt. Individuelle Bedürfnisse werden zurückgestellt. Bezüglich des Paar-Lebens findet oft keine Kommunikation mehr statt, keine Erotik und Sexualität. Deshalb ist es wichtig, über eigene Sehnsüchte zu sprechen. Wenn nach einem halben Jahr oder Jahr nicht wieder ein Einstieg in die körperliche Verbundenheit gelingt, entsteht Enttäuschung oder auch Entfremdung.
Welche Rolle spielt es, dass der Körper sich durch Schwangerschaft und Geburt verändert?
Nun, der Perfektionsanspruch der modernen Frauen ist sehr hoch, gerade auch bezüglich des Aussehens. Oft tritt Verunsicherung mit der eigenen Figur ein –und wenn man sich selbst nicht mehr attraktiv findet, mag man sich nicht zeigen. Den Partner stört das eventuell veränderte Aussehen oft gar nicht. Doch gravierender ist meistens, dass das Verlangen nach Sexualität durch den intensiven Körperkontakt der Mutter mit dem Säugling durch das Stillen und Herumtragen über Monate in den Hintergrund gedrängt ist. Erschöpfung und Schlafmangel kommen dazu.
Laut Klischee ist nur spontaner Sex guter Sex. Spontanität können Eltern sich eigentlich abschminken. Ist es schlimm, wenn man Sex planen muss?
Wenn man Kinder hat, ist es fast nicht anders machbar. Das ist überhaupt nicht unerotisch. Wenn jeder auf ein Signal des anderen wartet, warten oft beide vergeblich.
Was können Eltern tun, wenn sie merken, dass sie nicht mehr intim miteinander sind?
Das tiefe Interesse aneinander ist das wichtigste für eine gelungene Partnerschaft. Durch Zeit- und Energiemangel geht das oft unter. Paare kommen zu mir und sagen, sie funktionieren und bekommen logistisch alles hin. Aber ihre Liebesbeziehung ist fast nicht mehr spürbar. Manchmal fragen sie sich, wie sie zum zweiten Kind gekommen sind. Ich ermutige sie in der Paarberatung, gute, neue Gewohnheiten und Rituale zu schaffen. Zum Beispiel, dass Eltern sich als Paar verabreden, das Handy ausschalten, sich ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Was nicht heißen muss, dass sie im Bett landen.
Eltern pflegen ihre Beziehung also zu wenig – aber für ihre Kinder opfern sie sich auf?
Ja, Eltern richten alles aufs Kind aus und stellen sich selbst zurück, mit sehr viel Einsatz. Dabei brauchen Kinder auch die Liebe der Eltern untereinander. Die nehmen sie wahr. Ich habe mal ein Paarseminar für Eltern ausgeschrieben. Es musste ausfallen. Zu Erziehungsseminaren kommen viele, aber zu Paarseminaren kaum welche. Eltern stehen aber auch unglaublich unter Druck. Sie wollen alles gut und richtig machen, dabei wären die Kinder oft mit weniger zufrieden.
Kinder profitieren also davon, dass ihre Eltern eine gute Beziehung führen?
Ja, selbstverständlich. Je mehr die Kinder erleben, dass Mama und Papa sich lieb haben, sich berühren und umarmen, desto mehr entsteht ein schützender Raum, Geborgenheit und Freude um das Kind herum. Eine Kindergärtnerin hat mir erzählt, dass die Kinder in ihrer Einrichtung nicht mehr Mutter, Vater, Kind spielen – sondern Trennung. Man muss dazu sagen: Eine erfüllte Beziehung wäre natürlich ein Ideal, aber die Lebensrealität zeigt, dass etliche Trennungen auch ihre Berechtigung haben.
Das Familienbett erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Welche Auswirkungen hat das auf die Beziehung der Eltern?
Wichtig ist, dass beide Elternteile das wollen. Oft höre ich, dass es leichter ist, nachts nicht aufstehen zu müssen, um nach dem wach gewordenen Kind zu schauen. Außerdem intensiviert sich die Bindung zu den Kindern. Das sollten Eltern für sich ausprobieren. Was vorkommt, ist, dass das Kind in der Mitte liegt und die Eltern deshalb nicht mehr abends kurz kuscheln, wie früher. Und dass es manchmal auch als Abstandhalter fungiert, sozusagen als Ausrede für Vermeidung von Zärtlichkeiten.
Ist das Familienbett also ein Beziehungskiller?
Nein. Es ist kein Grund, sein sexuelles Leben nicht ausleben zu können. Es gibt viele andere Orte und Möglichkeiten, intime Zweisamkeit zu genießen. Viele Paare nehmen sich morgens Zeit, um zu mir in die Paarberatung zu kommen, wenn die Kinder in der Schule oder der Kita sind. So könnten sie ja auch das Liebesleben auf den Morgen verlegen.
Sind Kinder manchmal eine Ausrede, um keinen Sex haben zu müssen?
Ja, das kommt vor. Ich merke manchmal, dass Paare ganz froh sind, oder einer von beiden, wenn das Kind mit im Bett liegt, weil sie körperliche Nähe dadurch umgehen können. Wie vorhin schon ausgeführt, sind Eltern mit all ihren vielen Aufgaben zuhause, im Beruf und durch alle möglichen Verpflichtungen einfach erschöpft und müde.
Ist es denn schlimm, wenn Eltern keinen Sex mehr haben?
Nein, das ist überhaupt nicht schlimm, wenn beide keinen Sex mehr wollen! Ein Problem entsteht, wenn einer will und der andere nicht. Sexualität ist ja auch Kommunikation, die auf körperliche Weise zum Ausdruck bringt: „Ja, wir wollen und spüren uns noch!“. Also eine Form der Bestätigung. Deshalb sollten sich Eltern immer wieder Paar-Zeiten erobern, in denen sie ihre Empfindungen und Gedanken austauschen können. Und um Enttäuschungen, Missverständnissen und Verletzungen vorzubeugen.
Viele Eltern trennen sich, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Kennen Sie das auch?
Ja, in der Familienzeit drehte sich sehr viel um die Kinder, und wenn das Paar endlich wieder Zeit und Raum füreinander hat, stellt sich manchmal heraus, dass man sich nicht mehr viel zu sagen hat. Doch ich erlebe auch Paare, die nicht genau wissen, ob sie zusammen bleiben oder sich trennen wollen. Sie haben große Chancen, wenn sie ungelebtes, unbefriedigendes Leben neu zu erobern wissen und sich gemeinsam neu ausrichten wollen. Denn die lange gemeinsame Geschichte ist kostbar.
Zur Person
Beruf Birgit Kohlhase ist 72 Jahre alt, Sozialpädagogin und macht seit 24 Jahren Paartherapie.
Privat Sie hat selbst vier Kinder und ist seit 46 Jahren mit ihrem Mann verheiratet.
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