Familienleben in Stuttgart „Das Kind sollte jetzt besser still sein“

Das Verhalten von Kindern wird von Fremden oft genug ungefragt kommentiert. Foto: /IMAGO / Pond5 Images

Ein Wutanfall vor dem Süßigkeitenregal, lautes Singen in der vollen Stadtbahn: Kleinkinder verhalten sich nicht immer angepasst – weil sie eben Kinder sind. Unsere Autor:innen berichten von negativen Reaktionen Fremder im öffentlichen Raum – und wie sie darauf reagieren.

Ein feuerroter Wutzwerg, der sich die Seele aus dem Leib schreit, weil er keinen Schokoriegel an der Kasse bekommt. Die Zweijährige, die zur Rushhour in der vollen Bahn zu schreien beginnt, das plärrende Baby beim Bäcker. Diese Situationen kennt jede:r, sie bedeuten Stress für alle Beteiligten: Für die Mütter und Väter, die sich gleichzeitig um ihre Kinder kümmern müssen und dafür sorgen wollen, dass wieder Ruhe einkehrt – und auch für fremde, unbeteiligte Personen. Kinder im öffentlichen Raum können anstrengend sein, vor allem, wenn sie noch klein sind.

 

Unsere Autor:innen berichten von ihren negativen Erfahrungen mit Fremden, wenn Sie mit Kleinkindern in der Öffentlichkeit unterwegs sind und erzählen von ihren Wünschen an eine Gesellschaft, in der sich Familien wohler fühlen können.

Carina Kriebernig (36), Mutter eines zweijährigen Sohnes

„Mir war nie klar, dass man als Mensch zu einer öffentlichen Person wird, sobald man mit einem kleinen Kind unterwegs ist. Jede:r hat plötzlich eine Meinung und in Deutschland scheut man sich anscheinend auch nicht davor, diese lauthals Kund zu tun. Und das machen vor allem ältere Semester. Selbstvergessen stand ich an einem heißen Sommertag auf der Wiese des Freibads, vor mir umgeschnallt mein friedlich schlafendes Baby. Es vergingen keine zwei Minuten bis sich eine ältere Frau aufmachte, mir ihre Meinung zu Babytragen erklären. ‚Die gewöhnen sich daran und wollen dann nur noch getragen werden’, versicherte mir die ältere Frau als wäre sie Kinderärztin oder zumindest Entwicklungspsychologin. Sie textete mich gefühlt eine Stunde zu und verfolgte mich mit ihren gut gemeinten Ratschlägen, bis mein Baby zu schreiben begann. Das war noch eine der netteren Kontaktaufnahmen. Ein älterer Herr hat im vollen Bus zuerst mein weinendes Baby im Kinderwagen angemault und danach mich angeschrien, ich sollte das Schreien jetzt sofort unterbinden. Ja, Moment – ich finde den Aus-Knopf gerade nicht.

Ich versuche oft rücksichtsvoll zu sein. Aber auch meine Toleranz hat gegen intolerante Zeitgenossen ihre Grenzen. Besonders schlimm fand ich ein älteres Paar in einem Restaurant, an dem man Gemeinschaftstischen sitzt. Wir haben sie nett gefragt, ob sie die Seiten wechseln würden, damit wir den Kinderwagen neben uns parken können. Sie wollten partout nicht, die Situation eskalierte völlig und wir wurden sogar beschimpft. Schlussendlich hat uns der Wirt einen anderen Tisch angeboten. Plot Twist: Der neue Tisch war viel schöner und es gab Getränke aufs Haus.“

Erdem Gökalp (35), Vater eines Kleinkindes

„Ich kann wohl sicher sagen, dass ich als Vater in der Öffentlichkeit in den Augen einiger Menschen eine andere Position genieße, als es Mütter tun. Meistens kämpfe ich gegen das Gefühl an, mit Siegerpose den Kinderwagen zu schieben, frei nach dem Motto: ‚Schaut her, hier ist ein Vater, der sich um das Kind kümmert, wir können das auch!’ Fährt mir etwa ein anderer Vater mit einem Kinderwagen entgegen, dann nicken wir uns auch mal in stiller Kameradschaft zu.

Es gibt jedoch Menschen, auf die scheint ein Vater, der mit seinem Kleinkind unterwegs ist, die selbe Wirkung zu haben, wie ein Schimpanse, den man einen Bus fahren lässt. Überwiegend waren es bisher ältere Frauen, die es offensichtlich gewohnt sind, den Bärenanteil der Kindererziehung zu übernehmen, die mich an meine Unfähigkeit erinnern wollten, das Kind in der Öffentlichkeit vor Gefahren schützen zu können. Eine Frau hat einmal im Museum meine Existenz völlig ignoriert, ist meinem Kind hinterhergerannt und hat es gewaltsam am Arm gepackt, damit es nicht zur Treppe rennt. Andere halten sich mehr an modische Ratschläge. Das Kind sei zu warm oder zu kalt oder einfach völlig unangebracht angezogen.

Ich habe inzwischen eine gute Strategie entwickelt, nämlich Trotz. Neulich hat mein Kind im Supermarkt Äpfel und Birnen nacheinander mit den dreckigen Kinderhänden betatscht. Ein Dame sagte daraufhin zu ihr: ‚Das macht man aber nicht.’ Ich daraufhin: ‚Keine Sorge, fass ruhig alles an.’ Mann, war ich stolz in dem Moment. Leider macht man das wirklich nicht. Nur kann ich das meinem Kind nicht mehr so richtig abtrainieren. Es ist eben so trotzig wie der Vater.“

Tanja Simoncev (43), Butler... äh, Mama eines Dreijährigen

„Es ist schon länger her, da bekam mein Kleiner den absoluten Schreikrampf mitten im Supermarkt. Er war noch ein Baby. Mein Partner und ich versuchten so schnell wie möglich die Check-Liste abzuhaken: Ist die Windel voll? Ist ihm zu warm? Hat er vielleicht Hunger und/oder Durst? Bei Letzterem waren wir gerade dabei ihm sein Fläschlein anzubieten, als eine ältere Dame meinte unser Kind verteidigen zu müssen: ‚Sehen Sie nicht?! Er will nicht!’, platzte es aus ihr heraus. Und als wäre das nicht schon genug, kommentierte sie weiter: ‚Wissen sie mein Neffe hat als Kind auch viel geschrien und aus dem ist auch was geworden.’ Ah okay, das ist ja beruhigend. Und jetzt: Ciao Kakao.

Bei einem anderen Supermarkt-Besuch kaufte ich mir eine Cola. Und ja, ich weiß: nicht gerade ein gesunder Drink, aber manchmal hat man eben Bock drauf. Als ich also mit Kinderwagen und Cola in der Hand aus dem Laden spazieren will, kommt mir wieder eine ältere Dame entgegen, die mich völlig entsetzt anschaut und meint: ‚Sie geben ihrem Kind ja hoffentlich keine Cola zu trinken?!’ Ich sehe sie jetzt noch schnaufen und prusten. Als ich darauf erwidere, dass die Cola natürlich für mich sei, erwiderte sie abwertend: ‚Sie sollten besser auch keine Cola trinken!’ Ich war so schockiert, dass ich ganz schnell den Laden verlassen und es später wirklich sehr bereut habe, nichts gekontert zu haben.

Eine andere Szene, die mir einfällt, spielte sich auf einem Flug in den Urlaub ab. Schon beim Betreten des Flugzeuges mit Kleinkind ist die Panik in den Augen der anderen Passagiere zu sehen. Ich habe mal von einer Mutter gelesen, die auf einem Langstreckenflug mit ihrem Baby allen Passagieren vorab eine kleine Goodie-Bag hingestellt hat – mit Süßigkeiten und ‚Sorry’ auf einer Postkarte. Aber ganz ehrlich: Wir verlassen unsere Häuser – ja, auch mit Baby und dafür müssen wir uns nicht entschuldigen. Natürlich hat unser Sohn auf besagtem Flug geschrien. Das Schlimme waren aber die Reaktionen darauf. Von der einen Seite rief uns eine Frau zu, er solle was trinken, von der anderen Seite wollte ein Mann unserem Kleinen ein Video zeigen, von vorne wedelte ein Kind mit Kuscheltieren. Und wir mittendrin – mit einem reizüberfluteten Kind. Und ja, jetzt kommt wieder das alte Totschlagargument: Wir haben es nur gut gemeint. Kann ja sein, vielleicht aber auch nicht. Also lasst Eltern einfach mal machen, denn die kennen ihre Kids am Besten. Klingt nach Urban Myth, ist aber so.“

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