Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sieht den Umbau des Sozialstaats eingeleitet – auch hin zu einer Kindergrundsicherung. Die dürfe aber nicht so hoch sein, dass Väter und Mütter lieber zuhause blieben.

Berlin - Die Mittel für den Kita-Ausbau will Bundesfamilienministerin Franziska Giffey über 2022 hinaus bereitstellen. Davon soll auch Baden-Württemberg profitieren, wo die Kinderbetreuung nicht überall „super“ sei.

 

Frau Giffey, nach fast einem Jahr als beliebte Bundesministerin wird Ihnen jetzt vorgeworfen, Teile Ihrer Doktorarbeit abgeschrieben zu haben. Was sagen Sie dazu?

Ich habe diese Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Wenn jetzt Vorwürfe von einer Internetplattform erhoben werden, will ich klare Verhältnisse und habe daher von mir aus die Freie Universität Berlin um Prüfung meiner Arbeit gebeten.

Und wie erklären Sie sich die Vorwürfe?

Nur die Universität kann die Vorwürfe bewerten und klären. Das Ergebnis des Verfahrens ist jetzt abzuwarten.

Bis dahin ist politisch genug zu tun. Ihre SPD will jetzt eine Kindergrundsicherung, bei der die Fachwelt seit Jahren diskutiert, wie es gelingen könnte, die etwa 150 verschiedenen Leistungen für Familien zu bündeln. Wie wollen Sie das Vorhaben angehen?

Das geht nicht von heute auf morgen. Aber wir gehen einen Schritt nach dem anderen. Das Gute-Kita-Gesetz ist in Kraft, das Starke-Familien-Gesetz ist auf dem Weg.

Inwiefern zielt das schon in Richtung Kindergrundsicherung?

Nehmen wir den Kinderzuschlag, der durch das Starke-Familien-Gesetz reformiert wird. Er ist ja ein Zuschlag auf das Kindergeld, der verhindert , dass Familien mit kleinen Einkommen wegen der Ausgaben für ihre Kinder in den Hartz IV-Bezug fallen. Diese Leistung ist zu wenig bekannt und wird längst nicht von allen abgerufen, denen sie zusteht. Deshalb erhöhen wir den Zuschlag nicht nur. Wir machen ihn auch einfacher und sorgen dafür, dass alle, die ihn bekommen, von den Kita-Gebühren befreit werden und kostenloses Mittagessen, kostenlose Schülerfahrkarte, das Schulstarterpaket und bei Bedarf eine Lernförderung erhalten. Ab dem Sommer kann das für diese Familien durchaus mehrere hundert Euro mehr im Monat ausmachen. Mit dem Starke-Familien-Gesetz sichern wir das Existenzminium eines jeden Kindes. Das kann man wirklich als großen Schritt hin zur Kindergrundsicherung beschreiben.

Wie soll sie am Ende aussehen?

Jedes Kind soll die Unterstützung bekommen, die es braucht. Ein gutes Modell für eine Kindergrundsicherung muss aus zwei Teilen bestehen: Die individuelle Geldleistung für die Familien und die institutionelle Förderung in Kita, Schule, Hort und Sportverein.

Wie hoch soll die Geldleistung ausfallen?

Es gibt manche, die sagen, wir geben jeder Familie pro Kind pauschal 600 Euro im Monat, und das sei dann schon gerecht. Ich glaube, so einfach ist es nicht. Wir müssen Kinder als Teil ihrer Familie betrachten und sollten eine Kindergrundsicherung nicht unabhängig vom Einkommen der Eltern gewähren. Das steuerliche Existenzminimum für Kinder liegt derzeit bei 408 Euro im Monat. Diesen Betrag sichern wir mit dem Starke-Familien-Gesetz für jedes einzelne Kind nun erstmals ab. Die Kindergrundsicherung entwickeln wir auf dieser Basis. Eines ist mir ganz wichtig: Für Eltern muss es sich immer lohnen, arbeiten zu gehen.

Was davon wollen und können Sie mit dem Koalitionspartner bis 2021 noch erreichen?

Erstmal arbeiten wir daran, dass möglichst viele Familien mit kleinen Einkommen den Zuschlag zum Kindergeld bekommen, den wir mit dem Starke-Familien-Gesetz gerade nochmal erhöhen. Dafür werden Antrag und Leistung vereinfacht und entbürokratisiert und wir machen den Kinderzuschlag digital, um den Antrag per Smartphone zu ermöglichen. Beim Elterngeld sind wir mit Elterngeld Digital schon dabei. 13 von 16 Bundesländern machen da bereits mit.

Ist Baden-Württemberg dabei?

Nein, noch nicht. In Stuttgart will man erst sehen, wie das in der Praxis funktioniert. Aber ich bin zuversichtlich, dass unser Angebot überzeugen wird. Elterngeld Digital bedeutet, dass künftig mit einem Online-Guide, elektronischer Datenübermittlung und elektronischer Signatur die ganze Bürokratie geschafft ist.

Warum taufen Sie den Zuschlag nicht auch um? Sie haben schon mit der Wortwahl für das Gute-Kita- und das Starke-Familien-Gesetz viel Aufmerksamkeit erzielt.

Ja, und da lese ich jetzt, das sei kindisch. Wie kann man sich so über Menschen erheben, die vielleicht keine Experten im Sozialrecht sind und nicht sofort mit Gesetzesnamen, die 22 Wörter umfassen, etwas anfangen können? Wichtig ist, dass Menschen verstehen und behalten. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sie ihr Recht in Anspruch nehmen. Man muss es Menschen nicht unnötig schwer machen. Das heißt nicht, dass nicht alle auch ihren eigenen Beitrag leisten müssen.

Weil Sie Eigeninitiative fordern: Ist es dann nicht ein Widerspruch, wenn die SPD jetzt das Hartz-IV-Sanktionssystem lockern will?

Wir wollen die Mitwirkungspflicht nicht abschaffen. Dass jemand aufsteht und pünktlich zu einem Termin kommt, ist das Mindeste, was man erwarten kann. Es geht um ein respektvolleres Maß bei den Sanktionen: Wenn Sozialleistungen so stark gekürzt werden, dass Menschen in die Obdachlosigkeit abrutschen, ist niemandem geholfen. Hier sind Änderungen nötig.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass potenzielle SPD-Wähler Ihr Konzept vielleicht gut finden, aber nicht daran glauben, dass Sie es mit CDU und CSU verwirklichen können?

Es geht einerseits darum, eine Idee von der Zukunft zu entwickeln und andererseits konkret zu sagen, was jetzt möglich ist. Das Konzept für den Sozialstaat 2025 ist „SPD pur“. Teile davon werden wir in dieser Koalition umsetzen können. Anderes wird mehr Zeit brauchen. Dabei vertrösten wir unsere Wähler keinesfalls nur auf morgen: Mit dem Gute-Kita-Gesetz und dem Starke-Familien-Gesetz haben wir den Anfang gemacht. Und mit dem sozialen Arbeitsmarkt, dem Qualifizierungschancengesetz und dem Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit hat Arbeitsminister Hubertus Heil den Umbau des Sozialstaates längst begonnen. Das ist das Fundament für alles Weitere.

Das Fundament wofür genau?

Menschen, die die Unterstützung der Gesellschaft brauchen, müssen sie auch bekommen. Es gibt eine breite Erwartungshaltung in der Bevölkerung, dass Kinderarmut, Altersarmut und Wohnungsnot drängende Fragen sind, die angegangen werden müssen. Es geht mir aber vor allem auch darum, ein Land zu gestalten, in dem möglichst wenige die Hilfe des Staates brauchen. Glück, Zufriedenheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehen dadurch, dass der einzelne Mensch etwas tun kann für sich, seine Familie und die Gesellschaft – selbstbestimmt und frei. Wenn wir zu viele haben, die das nicht können, haben wir ein Problem.

Wer Sie reden hört, bekommt nicht den Eindruck, dass die SPD raus aus der Regierung will und nur deshalb so viele Forderungen aufstellt, die der Union nicht gefallen?

Das ist ja auch Quatsch: Wenn die SPD keine Zukunftspläne hat, gilt sie als profillos. Wenn wir welche haben, unterstellt man uns ein taktisches Manöver. Es ist doch eine gute Sache, wenn sich eine Partei überlegt, wie Deutschland 2030 aussehen soll und wie man da hinkommt. Genau das tun wir. Wir sagen, wofür wir stehen.

Zu den schönen Zukunftsaussichten gehören gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land. Warum ist es um die gleichnamige Regierungskommission so still geworden?

Weil wir mitten in der Arbeit sind. Wir sprechen über eine Förderung, die die strukturschwachen Regionen sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland im Blick hat, die Infrastruktur in Stadt und Land verbessert und sich für die Stärkung und den Erhalt der Demokratie einsetzt.

Würde auch Geld in das vergleichsweise reiche Baden-Württemberg fließen?

Auch in Baden-Württemberg gibt es Orte, wo nicht alles super ist. Nicht umsonst berichten mir viele Eltern aus dem Südwesten von der ausbaufähigen Kita-Infrastruktur. Baden-Württemberg hat zwar einen tollen Betreuungsschlüssel, aber die Öffnungszeiten lassen zu wünschen übrig. Wenn ein Kind um 12 Uhr oder am frühen Nachmittag abgeholt werden muss, ist keine normale Berufstätigkeit möglich. Oft bleiben Frauen auch unfreiwillig daheim, weil sie nicht nur für die Kita-Gebühren arbeiten wollen, die zum Teil sehr hoch sind. Eine gute Kinderbetreuung hat auch etwas mit gleichwertigen Lebensverhältnissen zu tun. Baden-Württemberg erhält bis 2022 aus dem Gute-Kita-Gesetz mehr als 700 Millionen Euro. Mein Ziel ist, dass die Bundesmittel für gute Kitas auch über 2022 hinaus fließen. Das ist auch ein Thema in der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse: Gute Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Chancengerechtigkeit für jedes Kind.