Unser Kolumnist Peter Stolterfoht ist dankbar dafür, dass seine Kinder ein ungestörtes Verhältnis zu ihren Pausenbroten haben. Bei ihm setzte das Vesper und dessen Entsorgung kriminelle Energie frei.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Eine lustige wie nette Kollegin hat mich auf diese spektakuläre Meldung hingewiesen, die von der Nachrichtenagentur dpa 2021 unter der Überschrift „Ungewöhnlicher Einsatz für Tierschützer in Polen“ verbreitet worden ist: „In Krakau hatte die Bewohnerin eines Mehrfamilienhauses die örtliche Tierschutz-Organisation gerufen, weil in einem Fliederbusch vor dem Plattenbau wohl ein gefährliches Tier sitze. Möglicherweise sei die Kreatur ein Leguan, meinte die Anruferin. Vor Ort habe sich das vermeintliche Tier jedoch als ein altes Croissant erwiesen, wie ein Mitarbeiter der Organisation nach dem Einsatz mitteilte.“

 

Eine Nachricht und ihre Geschichte

Die Kollegin hatte mich nicht ohne Grund auf diese Nachricht aufmerksam gemacht. Zuvor hatte ich ihr nämlich eine Geschichte aus meiner Kindheit erzählt, und die geht so: Meine Mutter hatte uns immer Käsebrote als Vesper mit in die Schule gegeben. Während mein Bruder den Emmentaler-Doppeldecker samt Gewürzgurken-Garnitur jeden Tag verschlang, brachte mich das Angebot im Kioskverkauf des Hausmeisters regelmäßig vom rechten Weg ab. So entwickelte sich bei mir geradezu eine Sucht nach Helgoländer Schaumwaffelstangen (nur echt mit Schoko an den beiden Enden), die jede große Pause befriedigt werden wollte. Die Käsebrote wurden links liegen gelassen. Im Lauf der Zeit wurde mein Schulranzen so ein Pausenbrot-Nest, dessen Einzelteile irgendwann dem Schimmel anheimfielen. Eine Zeit lang konnte ich mich noch damit beruhigen, dass in meiner Schultasche auch nichts anderes passieren würde als in einer bayerischen Blauschimmelkäsefabrik. Im Unterschied allerdings, dass es bei mir im Bereich Vertrieb haperte, was zum Produktstau und in der Folge zu der Entscheidung führte: alles muss raus. Raus aus dem Ranzen.

Seltene Sauerei direkt vor dem Fenster

So traf es sich gut, dass vor meinem Kinderzimmer im ersten Stock eine mächtige Blautanne stand. In der Annahme, dass die verschimmelten Pausenbrote im Blau der Tanne praktisch nicht zu erkennen sein würden, warf ich sie eines Nachts gezielt ins Gezweig. Das Ergebnis sah bei Licht betrachtet alles andere als unauffällig aus, sondern in etwa so Besorgnis erregend, wie das für einen Leguan gehaltene Croissant im polnischen Fliederbusch.

Meine Mutter sprach bei näherer Betrachtung von einer „seltenen Sauerei“ und fragte sich, warum ich die Pausenbrote im essbaren Zustand nicht einfach meinen Bruder vermacht hätte. Keine Ahnung. Das ist übrigens auch eine Lieblingsantwort meiner beiden Söhne, womit die Pausenbrot-Thematik in der Gegenwart angekommen wäre. In dieser Angelegenheit ist den Kindern im krassen Gegensatz zu ihrem Vater rein gar nichts vorzuwerfen. Soweit ich das beurteilen kann. Ihre Vesperboxen kommen jedenfalls Schultag für Schultag leer nach Hause. Ich kann mir auch überhaupt nicht vorstellen, dass ihr Proviant in der Botanik landet. Dazu braucht es schon kriminelle Energie, die ich nicht erkennen kann.

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Die beiden Söhne von Peter Stolterfoht (15 und 11) hören einen Satz täglich von ihm: „Also, wenn ich mir das bei meinem Vater erlaubt hätte…, nicht auszudenken.“