Grundsätzlich ist ein Stadionbesuch in Stuttgart sicher. Dennoch kommt es hin und wieder zu Auseinandersetzungen. Jeder einzelne müsse dazu beitragen, dass der Besuch für alle ein schönes Erlebnis ist, sagt Can Mustafa vom Fanprojekt Stuttgart.
Es gibt ihn nicht, den einen Stadionbesucher. Denn unter den 60 000 Menschen, die sich an Spieltagen in der MHP-Arena in Stuttgart tummeln, sind die unterschiedlichsten Charaktere vertreten. Während der eine seit mehr als 20 Jahren in der Cannstatter Kurve steht, freut sich die andere über ihr allererstes Spiel live im Stadion. Vom jüngsten Fritzle-Clubmitglied bis zum erfahrensten alteingesessenen Superfan hat jeder die Möglichkeit, seinen Lieblingsverein VfB Stuttgart im Stadion anzufeuern.
Eine besondere Fankultur mit Fahnen, Gesängen und eigenen Traditionen findet sich zudem in der aktiven Fanszene: bei den Ultras. Auch in Stuttgart verorten sich unzählige Fangruppierungen in diese Kategorie. Nicht immer liegen deren Unterstützungsaktionen im Bereich des Legalen. Auch deshalb besteht zwischen ihnen und der Polizei ein eher angespanntes Verhältnis. Vermitteln will unter anderem Can Mustafa vom Fanprojekt Stuttgart. Als Teil eines Teams von geschulten Sozialarbeitern steht er für Fußballfans bei jeglichen Problemen innerhalb und außerhalb des Stadions bereit.
Vorurteile abbauen
„Im Rahmen der Stadion-Allianzen BW treffen wir uns in regelmäßigen Abständen mit verschiedenen Institutionen, die allesamt an der Organisation von Spieltagen beteiligt sind”, erzählt er. „Dabei bemühen wir uns, die Ressentiments gegenüber Fußballfans, Zuschreibungen und Stigmata ihnen gegenüber, die den Alltag der organisierenden Sicherheitskräfte prägen, um menschlichere und weniger von Dominanz und Macht geprägte Sichtweisen zu ergänzen.“
Denn oft hat er den Eindruck, als wäre die Polizei gegen die Bewegung der Ultras vor Ort. Jeglicher Kritik haben man sich erhaben gefühlt. „Ich war ob des geringen professionellen und konstruktiven Standards in der Vergangenheit immer wieder überrascht, wie sehr Subjektives, Persönliches und individuelle Prägungen fachliche Debatten maskierten“, sagt der Sozialpädagoge. Ultras besuchten lediglich ein Fußballspiel und lebten ihre individuelle Fanidentität aus – in den meisten Fällen unproblematisch.
Dafür wolle man mehr Verständnis und Bewusstheit der jeweiligen dienstlichen Rolle und Aufgaben am Spieltag schaffen. Aufklärung und Austausch sollen präventiv wirken, in Krisenzeiten entlasten und neue Strukturen sowie Rahmenbedingungen für ein professionelles Miteinander schaffen. „Dabei sind wir beim Fanprojekt immer für alle Seiten und Parteien offen und können jederzeit kontaktiert werden.“
Jeder erlebt den Stadionbesuch anders
Wichtig sei für Stadionbesucher auch, sich darüber im Klaren zu sein, dass im Ernstfall nicht nur Ordner oder Rettungskräfte gefragt sind. „Für Menschen, denen es bei einem Spiel aus welchen Gründen auch immer nicht gut geht, sollten in Notsituationen zunächst einmal alle Menschen im Stadion ansprechbar sein“, erinnert der Sozialpädagoge. Mustafa appelliert an alle Fußballfans. Jeder einzelne Stadionbesucher habe seine individuellen Bedürfnisse und Wahrnehmungen, die dementsprechend in einem unterschiedlichen Sicherheitsempfinden resultierten.
Aus den vergangenen Wochen fallen ihm gleich mehrere Beispiele ein. „Eine ältere Dame, die eigentlich nur eine halbe Stunde sicher stehen kann, musste beim Heimspiel gegen Sparta Prag 90 Minuten stehen, wenn sie das Spiel sehen wollte”, erzählt er. „Nicht zum ersten Mal haben wir auch die Rückmeldung der Rollifahrer bekommen, dass sie bei schlechtem Wetter pitschnass nach Hause kommen, weil sie dem Regen ausgesetzt sind“, fährt er fort. „Und ein alteingesessener Stadiongänger hat uns berichtet, dass er seit der Pyroshow Angst vor Rauchbildungen hat, weil er Atemnot bekommen hat.”
Besonders bezeichnend findet er außerdem: „Eine Fahnenschwenkerin hat kürzlich erleben müssen, wie sie an den Rändern des Stehplatzbereichs angespuckt, beleidigt und mit Bechern beworfen worden ist, weil sie eine Fahne schwenkte, die anderen Menschen ab und an die Sicht aufs Spielfeld blockierte”, berichtet er. Wohlgemerkt in der Cannstatter Kurve. „Meiner Meinung nach ist unser aller Sicherheit durch solch einen normal gewordenen Umgang und Reaktionsstil miteinander wesentlich mehr gefährdet, als durch einzelne und äußerst seltene Pyroaktionen.“ Beim Stadionbesuch sei auch das Zurückstellen eigener Bedürfnisse und der respektvolle Umgang miteinander wichtig. Das komme aber zunehmend zu kurz.
Was tun im Ernstfall?
Sicherheit
In Notsituationen sind Ordnungskräfte, Feuerwehr und DRK, außerhalb zudem die Polizei, mögliche Ansprechpartner. Zusätzlich gibt es in der MHP-Arena ein Hilfetelefon für sexualisierte Gewalt und Rassismus, das durch ein mobiles Awareness-Team in dunkelblau gekennzeichneten Jacken unterstützt wird.
Hilfe
Zudem sind die Fanbeauftragten des VfB bei jedem Spieltag vor Ort und auch die Sozialarbeiter des Fanprojekts sind am Spieltag sowie unter der Woche für alle Belange via Diensthandy erreichbar.