Das Weinjahr taugt für viele Superlativen: Die früheste Weinlese bringt teilweise unglaubliche Mengen und ein von Fäulnis kaum getrübtes Lesevergnügen. Hans-Peter Wöhrwag ist dennoch froh, eine sehr genau arbeitende Lesemannschaft zu haben.

Stuttgart - Die Tassen und Thermoskannen stehen wild verteilt auf dem Tisch, Brotscheiben liegen im Korb, der Appetit ist groß, jeder bedient sich munter. So ähnlich geht’s bei jeder Weinlese zu, meist steht allerdings auch noch eine Flasche Wein dabei. Die fehlt. Denn die Lesetruppe von Hans-Peter Wöhrwag entstammt einem Kulturkreis, in dem kein Alkohol getrunken wird. Eine türkische Familie kann man sie allerdings auch nicht wirklich nennen, denn mittlerweile ist die dritte Generation, natürlich in Deutschland geboren, am Start. Spitzenwinzer Hans-Peter Wöhrwag formuliert deshalb ganz salomonisch: „Sagen wir halt einfach, ich habe die beste Lesemannschaft, die es gibt!“

 

Früheste Lese aller Zeiten

Dies zeige sich in einem Jahr wie diesem erneut eindrucksvoll. Auch bei der frühesten Lese aller Zeiten war seine Truppe pünktlich im Weinberg, die Großfamilie organisierte genügend Helfer. Und die verstehen ihr Handwerk. „Das ist einfach ein eingespieltes Team“, sagt Außenbetriebs-Chef Carsten Kämpf, „und anders als zu Hause: Die hören auf mich!“ Was auch in diesem Jahr notwendig ist, denn die Trauben am Herzogenberg, der Alleinlage der Wöhrwags, haben im Gegensatz zu anderen Gebieten gelitten. Nicht nur unter dem fehlenden Regen, sondern unter Hagel. Die Lesemannschaft muss bei jedem einzelnen Trauben die beschädigten Beeren entfernen. Das ist aufwendig. „Aber unser Team hat Erfahrung“, sagt Carsten Kämpf, „die machen das perfekt.“

Großmutter Nazire zum Beispiel ist seit 25 Jahren dabei, sie hat schon alles erlebt. In dieser Lese die sommerlichen Temperaturen, „aber wir waren auch schon angezogen wie die Schneemänner“, sagt sie. In jedem Fall freut sie sich über die Arbeit, die ganze Truppe habe viel Spaß. „Wir freuen uns dabei zu sein.“ Ibrahim, das Familienoberhaupt in den Anfängen der Zusammenarbeit hat das mal ganz einfach zusammengefasst: „Ihr seid gute Leut’, wir sind gute Leut’ – das ergibt eine gute Weinlese.“

Enkelin Ela studiert Mechatronik

Probleme gab’s in all den Jahren keine, selbst im Ramadan, als die Helfer den ganzen Tag lang nichts essen durften, lief die Lese ihren gewohnten Gang. „Mir fiel das gar nicht so schwer“, sagt Emine, die ebenfalls schon viele Jahre dabei ist.

Oma Nazire freut sich zudem, dass sie in diesem Jahr gemeinsam mit Enkelin Ela im Weinberg arbeiten kann. Die junge Frau ist allerdings nicht bis zum Schluss dabei, sie muss für ihr Studium der Mechatronik ein Praktikum absolvieren. Ihre Cousine Betül studiert übrigens Bauingenieurswesen, da fängt die Uni wohl erst nach der Lese an.

Bisher ist Weinguts-Chef Wöhrwag mit den abgelieferten Trauben auf jeden Fall sehr zufrieden. Auch wenn er nicht gleich in den allgemeinen Jubel einstimmen mag. Wenn andernorts im Jahr 2018 der 16. Jahrhundertjahrgang ausgerufen wird, bleibt der Untertürkheimer lieber gelassen: „Uns hat der Hagel natürlich besonders getroffen, dadurch haben wir sehr niedrige Erträge, aber dadurch gab’s auch keine Wasserprobleme.“ Im Umkehrschluss heißt das: In vielen Weingärten hängen zu viele Trauben, die aber eigentlich unter Trockenstress leiden mussten. Das alles kann die Qualität doch stark beeinflussen. Fakt ist: Das Jahr war eines der Extreme. „Und extreme Jahre“, sagt Hans-Peter Wöhrwag, „ergeben gute und eigenständige Weine.“