Ideenwerk-BW Schwerpunkt Bauen in der Zukunft (3): Das Startup Fibr aus Stuttgart perfektioniert die Kunst des Wickelns mit Kollege Roboter. Dank der innovativen Technologie lassen sich sehr individuelle Komponenten erstellen.

Stuttgart - Einer, der die spektakuläre neue Konstruktionswelt mit Faserverbundstoffen als Sprungbrett in die Selbständigkeit genutzt hat, ist Moritz Dörstelmann. Ein Sprung ins Ungewisse war es jedoch nicht. Der studierte Architekt arbeitete davor sieben Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Stuttgart eng mit den Leichtbauinnovatoren Knippers und Menges zusammen und sind inzwischen ein eingespieltes Team.

 

Fast zeitgleich mit seiner Gastprofessur Lehrauftrag an der TU München über die neuen Technologien gründete Dörstelmann zusammen mit dem Betriebswirt und Textilspezialisten Philipp Essers vor knapp zwei Jahren die Fibr GmbH in Stuttgart. Der Kontakt zur Universität Stuttgart bleibt eng, zumal Menges und Knippers als Berater bei Fibr fungieren.

„So sieht ein Bauplan aus, wenn er von der Uni zu uns kommt“, erzählt Dörstelmann und zeigt auf zwei typische Ausdrucke aus dem Computer, von denen einer so aussieht wie eine abstrakte Partitur neuer Musik von György Ligeti. Auf dem andern sind eine für den Laien endlose Reihe unverständlicher Codes in einer Art Excel Tabelle. Die verschiedenen Tabellen nimmt Fibr als Input, um sodann für die eigene industrielle Produktion das finale Softwareprogramm zu schreiben, aufgrund dessen der Roboter mit flinken Bewegungen Faser um Faser schnappt und wickelt. Davor hat das Institut von Jan Knippers im Forschungslabor der Uni in Stuttgart-Wangen mit entsprechenden Probestücken extreme Belastungstests durchgeführt.

Die Konstruktion eines 200 Quadratmeter messenden Leichtbaudaches im Vorhof des renommierten Victoria & Albert Museums in London vor drei Jahren war das erste öffentlichkeitswirksame fasergetragene Prestigeprojekt und gleichzeitig das letzte, an dem Dörstelmann als wissenschaftlicher Mitarbeiter mitwirkte. Dem folgte nahtlos der für alle Beteiligte weitere Glücksfall auf der Bundesgartenschau Heilbronn: „Der Faserpavillon ist ein wichtiger Meilenstein für unser junges Unternehmen“, weiß der Jungunternehmer, der sein Können seit zwei Jahren als Dienstleister rund um innovatives Bauen unter Beweis stellt und auf der Bundesgartenschau in großem Stil vorstellen kann.

Fibr profitiert vom Trend zu Fasermaterialien beim Bau

„Wir können uns vor Arbeit kaum retten“, sagt der 33-jährige Rheinländer. Die neuen Materialien haben ihn nachhaltig umgarnt. „Die Strukturen sind filigran und gleichzeitig sehr robust sowie korrosionsbeständig. Weil mit unserem kernlosen Wickelverfahren kein Abfall anfällt, können wir ressourceneffizient arbeiten. Es sind leichte, modulare Systeme, sehr gut geeignet für Auf- und Abbau und für den Transport“, fasst Dörstelmann die vielen Vorteile zusammen. Der Prozess des Wickelns läuft recht zügig ab: „Für eine der Röhren des Faserpavillons brauchen wir derzeit etwa fünf Stunden. Sobald mehr als ein Roboter gleichzeitig an einem Teil arbeitet, wird es noch schneller gehen.“

Vom Großprojekt bis zum kleinen Möbelstück – Fibr wickelt und wickelt. Hier ein Auftrag zur Produktentwicklung für leichte Trennwände in Serie, dort einer für ein teures Designereinzelstück. Der Phantasie mit den Fasern sind fast keine Grenzen gesetzt, zumal sich fast alle Fasermaterialien für die neue Bauweise eignen. Die digitale Fertigung erlaubt es, das Erscheinungsbild von Fassaden graduell zu variieren. Basaltfasern seien beispielsweise sehr temperaturbeständig und gleichzeitig auch aufgrund ihrer verschiedenen Goldbrauntöne gestalterisch sehr interessant.

Fibr kann jedes Bauteil individuell erstellen

„Wir können jedes Bauteil individuell ausgestalten“, sagt Dörstelmann: „Beim additiven Bauen lassen sich viele Funktionen gleich integrieren, etwa Kühl- und Heizsysteme.“

Auch mit Naturfasern habe man Erfahrungen. Diese setzt die derzeit achtköpfige Fibr-Mannschaft eher im Innenraum ein und nutzt die Gestaltungsmöglichkeiten mit verschiedenen Farbsystemen.

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter konnte Dörstelmann die Leichtbaustrukturen über viele Jahre aus Sicht der Grundlagenforschung untersuchen. Die Produktionsweise von Fibr basiert vollständig auf dem Knowhow, das Dörstelmann sich an der Universität aneignete. „Mit unserer Firma können wir unsere Kenntnisse auch im größeren Maßstabumsetzen. Ich bin mir sicher, dass diese Art des Konstruierens einen Einfluss auf die Bauindustrie ausüben wird.“

Steckbrief zum Startup Fibr

Moritz Dörstelmann, sieben Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter am ICD, hat sich zusammen mit dem Betriebswirt und Textilspezialisten Philipp Essers vor zwei Jahren mit der Fibr GmbH und derzeit acht Mitarbeitern in Stuttgart selbstständig gemacht. Produktionsort ist Kernen bei Waiblingen. Dort stehen die Fertigungsanlagen. Seine langjährigen Erfahrungen mit den Fasern haben den Architekten zum industriellen Hersteller werden lassen. Er weiß, wie wichtig es für die industrielle Anwendung ist, den gleichen Prozess für eine breite Materialpalette und für viele Ausdrucksformen einsetzen zu können.

Die Suche nach weiteren Mitarbeitern dürfte für die florierende Fibr im Dunstkreis der Universität Stuttgart nicht allzu schwierig werden, zumal im universitären Exzellenzcluster der Pool der Studierenden weiter anwachsen wird.