Zum Ende der Fasnet lassen die Herrenberger Narren einen Gnom in Flammen aufgehen – eine mannshohe Strohfigur mit Gesicht. Was auf manche Zugereiste wie eine makabere Sitte wirkt, ist für Einheimische ein alter Brauch. Ist er noch zeitgemäß?

Herrenberg - Der Herrenberger Gnom hat die Statur eines Basketballspielers. Zwei Feuerwehrleute zünden seine Jacke und Hose an, schon brennt die Strohfigur auf dem Herrenberger Marktplatz wie eine Fackel in der Nacht. Ein schmalziger Popsong hallt aus den Musikboxen. Drumherum stehen verkleidete Menschen im Regen, Kinder können ihre weit aufgerissenen Augen nicht von der brennenden Puppe lassen. Dessen aufgenähtes Gesicht steht in Flammen.

 

Was für Neulinge in der Stadt wie eine makabre Prozession wirkt, markiert für die Herrenberger Narren das Ende der Fasnet. Von morgen an wird gefastet, heute aber brennt der Gnom. Wie zeitgemäß ist das?

„Es gibt viele Traditionen der Fasnet, die auf Außenstehende befremdlich wirken“, sagt der Frankfurter Historiker Dominik Giesen, der sich seit Jahren mit den schwäbisch-alemannischen Fastnachtsbräuchen beschäftigt. Gruselige Masken von Tieren, Ogern und Hexen, skurrile Kostüme – nicht wenige Verkleidungen können Fastnachtsbesuchern Angst einjagen. Aber darf man die Verbrennung einer menschenähnlichen Figur mit den Gräueltaten der Geschichte in Verbindung bringen, die Aktion in eine Reihe stellen mit Verbrennungen unschuldiger Frauen im Mittelalter oder der Bücherberge aus der Nazizeit? Für Giesen stellt sich am Ende eine einfache Formel: „Welche Herkunft haben bestimmte Traditionen, und sind die Bedeutungen und Symbole mit unseren Werten vereinbar?“

Woanders werden Figuren begraben, erhängt, ertränkt

Fakt ist, dass der Gnom in Herrenberg nicht als einzige Narrenfigur verbrannt wird. Auch in zahlreichen anderen Teilen Europas, in den Abruzzen, in Katalonien, der Provence oder der Normandie werden am Fastnachtsdienstag oder am Aschermittwoch Figuren aus Stroh oder Pappe angezündet. Im Bayern werden sie vergraben, in Teilen Nordrhein-Westfalens ertränkt, in Tübingen erhängt. Mancherorts veranstalten Karnevalsgänger ein Scheingericht, um die Puppe zur Strecke zu bringen, in Frankreich schossen sie gar eine Zeit lang mit Platzpatronen auf einen jungen Mann. Nach einem tragischen Unfall wurde diese Tradition jedoch abgeschafft.

Das Ergebnis ist in vielen Teilen des christlichen Europas dasselbe: die Figur verschwindet. „Der Tod steht seit jeher für das Abschiednehmen“, sagt der Historiker Giesen. Mit der Personifizierung der Fasnacht im Symbol des Gnoms, des rheinländischen Nubbels oder des luxemburgischen Stréimännchens erzählten die Menschen mit einfachen Mitteln schon vor Jahrhunderten, dass etwas zu Ende geht, in diesem Fall die Fastnacht als Zeit der Freude und Völlerei. Kurz vor Beginn der Fastenzeit wurden in der Strohfigur die übrig gebliebenen Lebensmittel wie Eier und Butter verrieben und verbrannt. Giesen zufolge gehe es bei den Flammen vor allem um die Symbolik. „Kein Narr verbindet mit den Verbrennungen historische Vergleiche.“

Im Laufe der Zeit haben sich die christlichen Wurzeln an regionale Mythen angepasst. Der Herrenberger Narrenzunft zufolge symbolisiert der Gnom die dunkle, kalte Jahreszeit. Angelehnt an einen alten regionalen Mythos irrt ein Waldschütz namens Fole in der Stadt umher und sucht sein Seelenheil. Unterstützt wird er dabei von einer Schar Gnomen.

Zum Winterabschied wird ein Gnom verbrannt. „Unsere Gnome flößen niemandem Angst ein“, sagt die Zunftmeisterin Sandra Bühler. Für sie sehen die Hexenmasken eher so aus als ob jemand lächle. Makaber sei diese Tradition nicht.