In diesen Tagen jährt sich zum dreißigsten Mal der Tod von Rainer Werner Fassbinder. Am Stuttgarter Schauspiel – in der Spielstätte Nord – hatte nun sein frühes Stück „Tropfen auf heiße Steine“ Premiere.
Stuttgart - Ein Phänomen: in diesen Tagen jährt sich zum dreißigsten Mal der Todestag von Rainer Werner Fassbinder und die interessierte Kunst- und Kulturwelt stimmt weitgehend überein, dass aus diesem Anlass an einen großen Künstler zu erinnern sei. Ein Phänomen ist das deshalb, weil wirklich gar nichts an Fassbinders Leben oder Werk irgendwie angenehm, gefällig, erhaben oder mild-weise-wissend-lächelnd ausfällt. Nicht, dass dies notwendige Attribute für große Kunst seien. Aber für Künstlerheldenverehrung in großer Form sind sie eigentlich unabdingbar.
Der Mensch, der da am 10. Juni 1982 im Alter von 37 Jahren höchst armselig an den Folgen seiner diversen Süchte zugrunde ging, war zeit seines Lebens in seinem Auftreten nie sympathisch oder berückend, sondern besitzergreifend und stets auch anmaßend, ewig lautstark nuschelnd, sowohl die eigenen Ressourcen als auch die seiner Umgebung hemmungslos ausbeutend. In den Lexikonartikeln über ihn steht zumeist, er sei bisexuell gewesen. Aber das ist ein viel zu harmloser, weil irgendwie verspielt klingender Ausdruck für den Umstand, dass er in seinen Liebesbeziehungen zu Frauen hemmungslos den Hetero-Macker zelebrierte, während er gleichzeitig wie selbstverständlich einer der wenigen öffentlich agierenden Schwulen war, die es zu seiner Zeit überhaupt in der Bundesrepublik gab. „Bürgerschreck“ nannte man in den siebziger Jahren solche Typen wie ihn. Nach herrschender Meinung waren sie ein Fall für den Arzt oder für die Polizei.
Anstrengend, radikal, überspitzt und überdreht
Wie das Leben, so Fassbinders Werke – anstrengend, radikal, überspitzt, überdreht: der Mensch bei seiner ewigen Suche nach Nähe und Aufgehobensein und in seiner ewigen Angst vor Trennung und Tod. Und wenn das Staatstheater Stuttgart in diesen Tagen Fassbinders sehr frühes Theaterstück „Tropfen auf heiße Steine“ auf die kleine Bühne namens Nord bringt, dann kann man nur staunen, wie kompromisslos hier schon der Neunzehnjährige genau in dem Tonfall all jene Themen zur Sprache bringt, die ihn sein ganzes weiteres Leben lang beschäftigen sollten.
Das Manuskript zu „Tropfen auf heiße Steine“ ist erst in Fassbinders Nachlass gefunden worden. Aber es hätte Mitte der sechziger Jahre auch von keinem Staats- oder Stadttheater dieses Landes gespielt werden können. Wir sehen zwei Männer, einen jungen und einen älteren, beim exakt zelebrierten Kennenlernen, beim ritualisierten Einanderumgarnen, schließlich beim Miteinander-im-Bett-Landen. Wir sehen hernach, denn man bleibt beieinander, ihren Beziehungsalltag, ihre kleinen Sticheleien, die kalkulierten Missverständnisse, die lustvollen Kränkungen. Der Jüngere will sich trennen, schafft es aber nicht. Wir sehen schließlich, wie die Auflösung von außen kommen muss – im Auftritt der zwei Frauen aus dem Vorleben des Männerpaares, die das gesamte Beziehungsdrama zum grotesk-bizarren Ende führen.
Es gibt nichts wirklich Utopisches an allen Utopien
Summa summarum sehen wir in diesem kleinen Werk schon fast den ganzen Fassbinder: den Utopisten, der zu einer Zeit, da für männliche Homosexualität in Deutschland noch Polizei und Ärzte zuständig waren, eine Männerbeziehung beschreibt, als sei es das Alltäglichste der Welt. Mehr noch: der Menschen zeigt, die ihre Geschlechterbeziehungen ganz ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Definitionen ausleben. Das Stück zeigt aber auch schon Fassbinder, den bitteren Realisten: Glaubt ja nicht, sagt er, dass eine Beziehung zwischen Männern anders abläuft als zwischen Mann und Frau. Sie stürzen bei ihrer Suche nach Nähe und Aufgehobensein und in ihrer Angst vor Trennung und Tod just in die gleichen Fallgruben. So gesehen gibt es nichts wirklich Utopisches an allen Utopien: Hysterie hier wie dort und überall.
Bliebe noch der dritte Fassbinder, den wir ebenfalls erstaunlich scharf bereits im Werk des Neunzehnjährigen erkennen: der Analytiker. Anders als wir in unserem Alltag glaubt er keine Sekunde lang, der Mensch mit all seinen Gefühlen sei irgendwie autonom. Er sieht ganz genau das enge Beziehungsgeflecht aus Gesellschaft und Geschichte, das die Menschen gerade so und nicht anders fühlen lässt. Eben für dieses Geflecht interessiert er sich: Da ist er von Anfang an, um mal ein Schlagwort zu benutzen, ein Linker. Anders als die meisten Linken seiner Zeit zieht er allerdings aus dem Umstand, dass Gefühle nicht autonom sind, keineswegs den Schluss, Gefühle seien deswegen unbedeutend. Fassbinder weiß genau: Was soll der moderne Mensch denn machen – er hat ja nichts anderes!
Eine coole Designatmosphäre aus besseren Wohnlagen
Wie stark das alles noch funktioniert, wie lebendig es uns bis heute anspricht, all das ist schnell erkennbar, beispielsweise an der Energie, mit der das junge (!) Stuttgarter Team rund um den Regisseur Janek Liebtruth sein Ziel angeht, das Stück eines Neunzehnjährigen von 1965 ins Hier und Jetzt zu übertragen. Solch ein Zeittransfer ist für das Theater völlig legitim, wenn auch im Falle Fassbinders besonders riskant: Seine Sprache und seine Bilder sind sehr exakt sozial verortet; wenn man „Tropfen auf heiße Steine“ liest, hat man sofort ein bestimmtes kleinbürgerliches Vorstadtmilieu aus früher BRD-Zeit vor Augen.
Doch dank des intensiven und genauen Spiels von Jens Winterstein als älterer Leopold und Jan Krauter als junger Felix gelingt es erstaunlich gut, das Sichumspielen der beiden Männer bis hin zum langen ersten Kuss in eine coole Designatmosphäre besserer Wohnlagen zu transferieren. Und wenn Leopold und Felix beim alten Fassbinder sich erst trauen müssen, das eigentlich Verbotene doch einfach zu tun, dann ist es für den heutigen Stuttgarter Felix eben ein Spiel mit einer Option: Warum bei all den vielen Möglichkeiten nicht auch einmal diese Art der Liebe ausprobieren?
Liebtruth trifft etwas, was uns allen wohl nur zu bekannt ist
Fassbinder nannte sein Stück eine „Komödie“ – allerdings auch dies sehr viel mehr eine analytische Bemerkung als die Zuschreibung zu einer bestimmten Bühnenform. Die Stuttgarter Inszenierung schafft es lange Zeit, den Ernst der Lage zu halten. Dass dann just mit dem Auftritt der beiden Frauen (Eléna Weiß und Katharina Ortmayr) die Inszenierung kippt und allzu plakativ, weil letztlich hilflos ins Theatralisch-Überdrehte rutscht, mag vielleicht einem Irrtum geschuldet sein. Wenn der Autor einst geschrieben hat, sein Stück sei „eine Komödie mit pseudotragischem Ende“, so soll dieser Untertitel eben auch im zweiten Teil keineswegs die Theatermittel vorgeben, sondern ist auch hier schlicht die analytische Beschreibung des Geschehens.
In seinen Filmen lässt Fassbinder seine Figuren die schönsten, die schrecklichsten, die aberwitzigsten, die unvernünftigsten Dinge tun, die man sich nur vorstellen kann. Und zu keiner Sekunde kommt man als Zuschauer auf die Idee, sie seien darum verrückt. Diese ganz große Kunst gelingt der Stuttgarter Inszenierung von Janek Liebtruth zum Schluss nicht. Trotzdem markiert sie die Kraft und Wahrhaftigkeit von Fassbinders Werk und trifft etwas, was uns allen wohl nur zu bekannt ist.
Einmal sagt Felix: „Ich weiß nur, dass es keinen Sinn hat, sich nachträglich Vorwürfe für etwas zu machen, für das man sich selbst entschieden hat.“ Die ganze Botschaft von RWF in einem Satz. Ihn zu hören lohnt allein schon das Unternehmen.