Milliarden Menschen in aller Welt haben die Trauerfeierlichkeiten für die britische Königin Elizabeth II. verfolgt. Auch das Leben und Sterben anderer Monarchen wird von Teilen der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt. Woher rührt die Faszination für das, was in den Königshäusern passiert? Ein Psychologe gibt Antworten.
Herr Hellfritsch, wie erklären Sie sich das anhaltende Interesse an der Monarchie – nicht nur in Großbritannien?
Die Teilhabe am Leben in den Königshäusern erlaubt es vielen Menschen, zumindest für eine gewisse Zeit in eine eigene Welt zu flüchten – in eine märchenhafte Traumwelt voller Prunk und Dramen. In Bayern kann man das zum Beispiel an dem Kult um Ludwig II. sehen. Da gibt es Freundeskreise, die den Mythos des Märchenkönigs pflegen und bis heute darüber rätseln, wie er denn nun wirklich ums Leben gekommen ist.
Spielt nicht auch schlichte Neugier eine Rolle?
Auf jeden Fall. Wir Menschen sind von Natur aus neugierig und haben daher ein Interesse an dem, was andere machen. Und was in den Königshäusern geschieht, ist eben noch eine Stufe interessanter. Hinzu kommen manche Medien, die dieses Interesse gezielt ansprechen. Das verstärkt sich dann wechselseitig. Vielen gefällt auch das Spektakel, das mit der Monarchie verbunden ist. Das hat man zum Beispiel bei den aufwendigen Trauerzeremonien für die Queen sehen können.
Befriedigen Monarchen auch das Bedürfnis nach starken Führungspersönlichkeiten?
Repräsentative Monarchen haben ja keine echte politische Macht mehr. Es geht bei ihnen eher um die gefühlte Macht. Die verstorbene Queen ist dafür ein gutes Beispiel. Durch ihre lange Regierungszeit und die Art, wie sie ihre Rolle lebte, hatte sie eine besondere Autorität. So entstand bei manchen der Eindruck, dass sie in Wirklichkeit durchaus einen gewissen politischen Einfluss hatte. Man weiß ja auch nicht, was bei ihren regelmäßigen Treffen mit den Regierungschefs gesprochen wurde.
Wird der neue König Charles III. daran anknüpfen können?
Da habe ich meine Zweifel. Er hat sich ja schon früher deutlich zu politischen und gesellschaftlichen Themen geäußert – zum Beispiel zum Umweltschutz. Von daher besteht die Gefahr, dass er sich nicht mehr so ganz an die Etikette eines repräsentativen Monarchen hält. Er will auch den Buckingham-Palast teilweise für Normalbürger öffnen. Das könnte ein Stück weit zu einer Entzauberung der Monarchie führen. Und mit dem Tod der Queen kommen natürlich auch wieder kritische Fragen zum Sinn der Monarchie an sich auf oder zur Rolle des Königshauses im Kolonialismus.
Bei den Royals gibt es aber nicht nur Prunk und Glanz, sondern auch handfeste Konflikte.
Richtig. Aber das macht das Leben in den Königshäusern für viele Beobachter noch interessanter. Da gibt es Parallelen zu Fernseh- oder Streamingserien wie „Game of Thrones“. Manches könnte sich ein Drehbuchautor nicht besser ausdenken. Nehmen Sie zum Beispiel den Zwist zwischen Prinz Harry und dem Rest des britischen Königshauses. Er hat sich mit seiner Frau Meghan in die Vereinigten Staaten abgesetzt und öffentlich deutliche Kritik an seinem Vater Charles und anderen Mitgliedern der Familie geübt. Vor diesem Hintergrund haben natürlich viele Menschen bei den Trauerfeierlichkeiten für die Queen besonders genau geschaut, wie sich Harry und Meghan verhalten.
Nimmt in schwierigen Zeiten das Interesse an Monarchen zu?
Ich denke schon. Unsicherheit vergrößert bei vielen Menschen das Bedürfnis, dem tristen Alltag zumindest zeitweise zu entfliehen und existenzielle Sorgen zu verdrängen.
Lothar Hellfritsch ist Psychologe und Coach
Tätigkeit
Lothar Hellfritsch ist Psychologe und lebt in München. Er ist unter anderem in den Bereichen Coaching, Weiterbildung und Personalentwicklung tätig.
Amt
Der gebürtige Würzburger (Jahrgang 1947) war von 1990 bis 2001 Präsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP).