Beim Automobilzulieferer Faurecia sind 250 Arbeitsplätze gefährdet. Die IG Metall glaubt an ihren Erhalt – wegen der Macht der Belegschaft.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Wenn mein starker Arm es will, stehen alle Räder still. Für die Mitarbeiter von Faurecia gilt die im Jahr 1863 verfasste Zeile aus dem Bundeslied des Arbeitervereins unverändert. Weshalb nach drei Stunden die Belegschaft des Böblinger Faurecia-Werkes ihre Betriebsversammlung unterbrach, weil das Telefon klingelte – wie erwartet.

 

Michael Kocken nahm den Anruf an. Kirsten Schütz, Personalchefin des Automobilzulieferers, wollte von dem IG-Metall-Funktionär wissen, ob die Versammlung bald beendet werden könne. Kocken forderte die schriftliche Zusage, dass der Konzern über die Zukunft der Belegschaft ernsthaft verhandeln werde. In Böblingen sind 250 Arbeitsplätze gefährdet. Faurecia will von 2020 an im slowakischen Kosice fertigen lassen. Nach der Mittagspause war die Zusage da, unterschrieben von der Geschäftsleitung in Frankreich.

Faurecia spielt in einer Liga mit Bosch oder ZF

Nicht die Räder standen still, sondern die Produktion der S-Klasse im Daimler-Werk gleich nebenan. Faurecia fertigt nur wenige Teile für den Innenraum der Limousine, aber ohne Mittelkonsole wird nun einmal kein Auto ausgeliefert. Der Vorrat reicht für eben drei Stunden. Branchenfremden dürfte der Firmenname nur im Ausnahmefall geläufig sein. Tatsächlich spielt der französische Konzern in einer Liga mit Bosch oder ZF. Im Februar hatte der Konzernchef Patrik Koller verkündet, dass der Umsatz im Jahr 2017 auf knapp 17 Milliarden Euro gestiegen war. Dies entspricht einem Plus von zehn Prozent. Der Gewinn kletterte gar um gut 20 Prozent auf 1,17 Milliarden Euro.

Ohne Faurecia-Teile stehen tatsächlich die Räder so gut wie aller Neuwagen still. Alle deutschen Automobilhersteller verbauen sie. Demgemäß genießt Kocken den Druck, den Arbeitsniederlegungen aufbauen. Am Tag der Betriebsversammlung „gab es bei der S-Klasse zweimal einen Bandabriss“, sagt er. Trotz der Zusicherung ernsthafter Verhandlungen dauerte das Treffen sieben Stunden. „Die Stimmung ist extrem hochgekocht“, sagt Kocken. Die Mehrzahl der Versammelten wertete das Verhandlungsangebot als Hinhaltetaktik.

Fünf Verhandlungsrunden verliefen ohne nennenswertes Ergebnis

Was daran liegen mag, dass bisherige Begegnungen der Gewerkschafter mit der Gegenseite zäh verliefen. Im Sommer hatte der Konzern das Ende des Standorts Böblingen angekündigt. Seither blieben fünf Verhandlungsrunden ohne nennenswertes Ergebnis. Bei den ersten Treffen „konnte der Arbeitgeber unsere Fragen nicht beantworten“, sagt Kocken. Den Erhalt des Standorts hatte die Konzernspitze zwar angeboten, aber unter der Bedingung, dass die Belegschaft auf 30 Prozent ihres Einkommens verzichtet.

Inzwischen ist immerhin gelungen, widersprüchliche Zahlen anzunähern – wenn auch mäßig. Gemäß der ersten Faurecia-Rechnung sollte die Verlagerung in die Slowakei innerhalb von sieben Jahren 19 Millionen Euro Kosten sparen. Inzwischen ist diese Prognose auf 14 Millionen gesunken. Die Gewerkschaft rechnet hingegen mit 4,5 Millionen. Dabei „sind die Transportkosten noch nicht vernünftig berechnet, Kosice liegt 1200 Kilometer weit weg“, sagt Kocken. Hinzu kämen die Ausgaben für einen Sozialplan in Böblingen und politische Risiken. In Osteuropa „könnte eine neue Regierung auf die Idee kommen, wieder Grenzkontrollen einzuführen“, meint der Gewerkschafter.

Womöglich werden derlei Spekulationen unnötig. Seit die Verhandlungszusage auf dem Tisch liegt, ist Kocken zuversichtlich. Am 14. Dezember folgt das nächste Treffen. Ende Januar dürfte ein Ergebnis vorliegen – gleich ob für oder gegen Böblingen. Denn zum Jahresbeginn haben beide Seiten eine zweitägige Verhandlungsrunde vereinbart. Davor wird die Belegschaft erneut an die Folgen von Arbeitsniederlegungen erinnern. Der Termin für die nächste Betriebsversammlung ist der 17. Dezember.