Im einstigen Altenheim Marienheim in Waiblingen wohnen inzwischen geflüchtete Familien. Die Familienbildungsstätte bietet dort einen wöchentlichen Babytreff an. Bei Reimen und Bewegungsspielen lernen die Kinder nebenbei Deutsch, die Eltern können sich beraten lassen.

Waiblingen - Die kleine Sevda schließt die Augen und genießt. Sie liegt in der Mitte eines bunten Tuchs, das die Kursleiterinnen Susanne Schwer und Katharina Schönemann mit einigen Mamas über den Boden halten und sanft hin und her schwingen. Die kleine Schaukelpartie im großen Tuch ist eines von vielen Ritualen, die jeden Mittwochvormittag beim Babytreff im Waiblinger Marienheim auf dem Programm stehen und den Allerkleinsten Sicherheit und Halt geben sollen.

 

Das brauchen Babys generell, die Kinder, die im Marienheim wohnen, aber ganz besonders. Denn das einstige Altenheim wird mittlerweile als Anschlussunterbringung für geflüchtete Familien genutzt: wer hier wohnt, ob Erwachsener oder Kind, muss sich in einer ganz neuen Welt und Sprache zurechtfinden. Seit gut zwei Jahren kommen Susanne Schwer und Katharina Schönemann Woche für Woche hierher, um ihren Eltern-Kind-Kurs abzuhalten, der frischgebackene Eltern unterstützen soll. Unter dem Namen „Lefino“ wird er an vielen Familienbildungsstätten im Land angeboten. Dass Schwer und Schönemann zu ihren Teilnehmern ins Haus kommen und das in Begleitung von ein oder zwei Dolmetscherinnen, unterscheidet jedoch den Kurs im Marienheim von den anderen.

Keine Hebamme und viele Fragen

Auch sonst weicht hier manches vom Normalprogramm ab. „Am Anfang war es mühselig“, erinnert sich Susanne Schwer an die ersten Besuche vor gut zwei Jahren: „Jeder war unsicher und wusste nicht, was auf ihn zukommt.“ Auch die beiden Kursleiterinnen wussten nie, was sie im Marienheim erwartet, ob sie jemand erwartet oder ob sie vergeblich auf Teilnehmer warten.

„Am Anfang hatten die Mütter einen großen Bedarf an Beratung, zum Teil waren die jungen Frauen überfordert“, erzählt Susanne Schwer und erklärt, warum: „Deutsche Mamas haben in der Regel eine Hebamme, die viele Fragen beantwortet, diese Mütter nicht.“ Auch die eigene Mutter können geflüchtete Frauen meist nicht um Rat fragen. Die Kursleiterinnen springen ein, machen aber keine Vorschriften. „Wir erzählen, wie man es bei uns macht, aber die Frauen sollen selbst entscheiden, wie sie es machen möchten“, sagt Susanne Schwer.

Gegen 10 Uhr trudeln die Kinder und ihre Mamas, die aus Syrien und Afghanistan, aus dem Irak, Äthiopien, Kamerun und Somalia hergekommen sind, im kleinen Spielzimmer des Marienheims ein. Dann kann es losgehen. „Bei schönem Wetter gehen wir meistens raus auf den Spielplatz, damit die Kinder toben können“, erklärt Katharina Schönemann und packt Schaufeln, Bagger und Förmchen für den Sandkasten in eine Tasche.

Offen sein für fremde Rituale

Draußen angekommen, würde Yousef am liebsten sofort losbuddeln, doch Susanne Schwer breitet erst eine bunte Decke auf dem Boden aus, auf der sich Mütter und Kinder im Kreis versammeln. Beim Willkommenslied wird reihum jedes Kind und jede Mama mit Namen begrüßt, danach folgt ein Klassiker – das Kinderlied „Aramsamsam“ – zu dessen Melodie alle die entsprechenden Bewegungen machen. Ganz nebenbei Deutsch lernen Kinder und Mütter beim Lied über ein Karussell, und danach ist Klettern und Sandeln angesagt.

Beim Babytreff erzählen Susanne Schwer und Katharina Schönemann auch von deutschen Festen und Feiertagen, sie zeigen, wie man spielerisch mit Reimen – und dadurch meist ohne Geschrei – Kinderzähne putzt. Aber sie haben auch selbst so manches gelernt: dass andernorts längst nicht so viel Gedöns um Babybrei gemacht wird wie hierzulande, sondern Kinder früh mit am und vom Tisch essen. Dass in anderen Kulturen die Mutter-Kind-Bindung im Säuglingsalter meist deutlich enger ist als in Deutschland. Und dass andererseits diese Mütter bei etwas älteren Kindern sehr entspannt und selten überbesorgt sind.

„Man muss offen sein für andere Rituale, die für uns vielleicht manchmal befremdlich sind“, sagt Susanne Schwer. Sie wiederum freut sich, dass die Babytreff-Kinder gut heranwachsen, dass sie die Rituale leben, sich darauf freuen und dass sie das Teilen lernen. „Es ist schön zu sehen,, wie sie groß werden und dass sie es später im Kindergarten wohl einmal leichter haben werden.“

Guter Start für Eltern und Kinder

Konzept: Die Kurse mit dem „Lefino“-Markenzeichen sind als Unterstützung für Eltern mit ihren Babys gedacht. Sie sollen ein Basiswissen über die körperliche, geistige und seelische Entwicklung eines Säuglings vermitteln und die Bindung zu diesem vertiefen. Für die Babys gibt es altersgerechte Spiel-, Erfahrungs- und Entwicklungsangebote, wobei bewusst Alltagsgegenstände und Naturmaterialien verwendet werden.

Kurse: Viele Familien-Bildungsstätten bieten die „Lefino“-Kurse an. Sie werden von speziell geschulten und zertifizierten Kursleitungen begleitet und basieren auf einem Konzept der Evangelischen Landesarbeitsgemeinschaft der Familien-Bildungsstätten in Württemberg.

Waiblingen: Der Babytreff im Marienheim wird seit Mai 2017 im Rahmen des Bundesmodellprogramms „Starke Netzwerke – Elternbegleitung für geflüchtete Familien“ des Bundesfamilienministeriums gefördert. Das Programm soll die Eltern- und Bildungsbegleitung neu zugewanderter Familien durch die Stärkung kommunaler Netzwerkstrukturen etablieren und nachhaltig im Sozialraum verankern. Dazu kooperiert die Familien-Bildungsstätte Waiblingen unter anderem mit der Caritas als Trägerin der Flüchtlingsunterkünfte.