Uli Hoeneß ist ein alter Fahrensmann im Fußball und schließt aus der Tabelle der Bundesliga, dass sein FC Bayern im Spiel gegen Dortmund nur der Außenseiter sei. Das erinnert an das Märchen vom bösen Wolf und den sieben Geißlein.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Der böse Wolf hatte Kreide gefressen, damit die sieben Geißlein seine Stimme nicht erkennen sollten, wenn er an der Tür darum bat, hereingelassen zu werden. Eine List, um die sieben jungen Ziegen in einem opulenten Festmahl alle auf einmal verspeisen zu können. Uli Hoeneß dürfte das Märchen der Gebrüder Grimm kennen, in seinen Kindertagen in den 1950ern wusste niemand etwas von Online-Games und Mobiltelefonen, so dass die Erzählgeschichten der Großmutter bei Kindern noch hoch im Kurs standen. Gut möglich also, dass Herr Hoeneß sich an die List erinnerte und ein Stückchen Kreide zwischen seinen Backentaschen hin- und her spielte, bevor er nach dem 2:0-Erfolg des FC Bayern über AEK Athen vor die Medienschar trat.

 

Denn vor laufenden Kameras und gezückten digitalen Aufzeichnungsgeräten (sowie einigen Old-School-Schreibblöcken) gab der Clubchef des deutschen Fußball-Rekordmeisters dann reichlich erstaunliche Statements ab. Über das bevorstehenden Bundesliga-Spitzenduell bei Borussia Dortmund etwa. „ Wir fahren nicht als Favorit nach Dortmund, sondern zum ersten Mal seit langer Zeit als Außenseiter. … Im Moment sind wir Außenseiter, meines Wissens sind sie vier Punkte vor uns.“ Natürlich, Herr Hoeneß. Hat eigentlich bloß noch das Attribut „krass“ gefehlt, das von Granden des Sports häufig in Verbindung mit dem Substantiv „Außenseiter“ gebraucht wird, um die Hilflosigkeit des bevorstehenden Unterfangens zu verdeutlichen. Aber das war Uli Hoeneß dann wahrscheinlich doch zu krass.

Und weil der Präsident aus der Münchner Säbener Straße bei seiner Analyse der aktuellen Lage diesen deutlichen devoten Unterton in seiner Kreide-Stimme entdeckt hatte, legte er noch einen Satz nach und meinte: „Die Meisterschaft würden wir gerne immer haben, aber wenn es mal nicht so ist, wird der FC Bayern nicht untergehen.“ Diese Aussage ist zweifellos zutreffend, sonst wäre der Verein spätestens im Mai 2012 aus dem Vereinsregister gelöscht worden, nachdem Borussia Dortmund zum zweiten Mal in Folge deutscher Meister geworden war. Man hatte den FC Bayern München e.V. so gesehen auch schon ein Jahr zuvor auflösen müssen, was bekanntlich nicht geschehen ist – womit Uli Hoeneß zwar lediglich eine allseits bekannte Tatsache ausgesprochen hat, die er aber in einem raffiniert demütigen Unterton garniert hatte, so dass der Eindruck entstehen sollte, beim Branchenkrösus habe sich eine neue Bescheidenheit breit gemacht. Um diese Intention zu verstärken, schleuderte der 66 Jahre alte Selfmade-Millionär den Reportern noch in die Ohren: „Wir sind nicht so arrogant, wie ihr alle glaubt.“ Offenbar hatte keiner der Menschen, die sich in Hoeneß‘ Aura befanden, den Mut zu entgegnen: „Stimmt, sondern noch viel arroganter!“

Nun also trifft der Außenseiter FC Bayern in Dortmund auf den BVB, und wenn er dort eines auf die Mütze bekommt, ist das alles halb so wild, weil es ja ganz und gar nicht tragisch ist, wenn eine Truppe aus internationalen Stars in der Liga bloß um den Einzug in die Champions League kämpft. Die Sponsoren und Fans würden das sicher verstehen. Das hat Uli Hoeneß zwar nicht gesagt, könnte er aber haben mit einem Stückchen Kreide im Mund. Aber wir lassen uns nicht täuschen, wir wissen: Wenn es in der Bundesliga um die Wurst geht, kennt der Sohn eines Metzgermeisters aus Ulm sämtliche Tricks. Und wenn der zuvor brav-biedere FC Bayern plötzlich mit gefletschten Zähnen bei uns auftaucht, um uns drei Punkte zu rauben und uns mit Haut und Haar aufzufressen, wissen wir wenigstens, wo wir uns vor ihm verstecken müssen.