Beim FCB hat nach der 0:1-Pleite in Augsburg niemand Lust aufs Oktoberfest. Vor allem Trainer Julian Nagelsmann ist genervt – und treibt ein gefährliches Spiel.

Wer nicht in der Lage ist, auf dem Oktoberfest seine Durststrecke zu beenden, sollte daheim bleiben. Umso blöder, wenn man hin muss. Wie der FC Bayern am Sonntag, schließlich hatte der vereinseigene Brauerei-Sponsor alles längst geplant. Es wurde ein Besuch der besonderen Art: Willkommen auf der Krisen-Wiesn!

 

Am deutlichsten hatte Julian Nagelsmann seine Unlust geäußert. Sinnvoll, erklärte der FCB-Trainer nach der 0:1-Pleite beim FC Augsburg, sei das Treffen im Bierzelt nicht. „Das werde ich dem Club auch mitteilen“, sagte Nagelsmann. Und dann fügte er noch hinzu: „Grundsätzlich habe ich keine Lust.“ Nur Frust. Weil das Maß voll ist.

Erstmals seit 87 Spielen ohne eigenes Tor

Der FC Bayern startete zwar mit zwei 2:0-Siegen bei Inter Mailand und gegen den FC Barcelona glänzend in die Champions League. Doch in der Bundesliga ist der Lack ab. Vier Spiele ohne Sieg gab es zuletzt vor mehr als 20 Jahren, zudem blieb der FCB erstmals nach 87 Bundesliga-Duellen wieder ohne eigenes Tor. Kein Wunder, dass auch Sportchef Hasan Salihamidzic verkatert auf der Wiesn erschien: „Die Stimmung ist am Boden. Drei Punkte aus vier Spielen – ich weiß nicht, ob mir die Maß schmeckt.“ Zumal die Art des Trainers, Probleme anzupacken, nicht wenigen sauer aufstößt.

Julian Nagelsmann könnte sich bedingungslos vor seine Mannschaft stellen, die Stars aufpäppeln, das Umfeld beruhigen. Doch der Trainer tut das Gegenteil. Nach der Partie in Augsburg, der drei Unentschieden gegen Borussia Mönchengladbach (1:1), Union Berlin (1:1) und den VfB Stuttgart (2:2) vorausgegangen waren, kritisierte er seine Abteilung Attacke unmissverständlich. „Es fließen viele Chancen einfach so aus dem Stadion. Wir hatten bestimmt 20 Situationen in Überzahl, in denen wir den Ball schlampig spielen“, sagte Nagelsmann und erklärte seinen Profis auch noch das kleine Fußball-Einmaleins: „Wir müssen unsere Eins-gegen-eins-Situationen vor dem Torwart nutzen, um Spiele zu gewinnen. Eigentlich recht simpel.“

Kein Hang zur Selbstkritik

Widerspruch? Gab es angesichts der Statistik (zuletzt nur vier Treffer bei 34 Torschüssen) nicht. Und trotzdem wird es den Herren Mané, Sané, Gnabry oder Müller nicht gefallen, abgekanzelt zu werden wie Schülerbuben, denen der Trainer bescheinigt, in vielen Situationen die falsche Schusstechnik gewählt zu haben. Erst recht, weil es im Team Stimmen geben soll, die sich bei Nagelsmann einen etwas ausgeprägteren Hang zur Selbstkritik wünschen. In Augsburg sagte der Coach nur, das Geschehene umfassend reflektieren zu wollen: „Ich werde nachdenken. Über mich, die Situation, über alles. Dann schauen wir, wie es weitergeht.“ Das tat es schon am nächsten Morgen.

Bereits um 8.17 Uhr erschien Nagelsmann auf dem Vereinsgelände an der Säbener Straße. Er wollte, vor dem Wiesn-Besuch und der Länderspielpause, möglichst viele Krisengespräche führen. Passend zur Parole, die Salihamidzic ausgegeben hatte: „Was wir gezeigt haben, reicht nicht. Wir alle sind jetzt gefragt.“ Und schnelle Antworten nötig.

Unwucht im Kader

Die Chancenverwertung ist miserabel. Daran sind alle Stürmer beteiligt, ein Name aber fällt besonders oft. Sadio Mané wartet schon fünf Spiele auf einen Treffer, vergab auch in Augsburg eine Megamöglichkeit. Dem Senegalesen, der vom FC Liverpool kam, fehlt es an Leichtigkeit, Selbstvertrauen, Spielverständnis. In dieser Form ist er weit davon entfernt, Torjäger Robert Lewandowski (zum FC Barcelona) ersetzen zu können. Was zum nächsten Problem führt: Die neue, flexible Spielanlage in der Offensive ist bereits wieder entschlüsselt, der FC Bayern hat in Eric Maxim Choupo-Moting aber nur noch einen gelernten Mittelstürmer im Kader. Den besten Beleg für dessen Unwucht lieferte in Augsburg Manuel Neuer – der Torhüter war in der Endphase bei zwei Kopfbällen im FCA-Strafraum auffälligster Bayern-Angreifer, den zweiten Versuch parierte Rafal Gikiewicz überragend. Auf die Frage, ob Lewandowski nicht durch einen anderen klassischen Neuner hätte ersetzt werden müssen, reagierte Nagelsmann genervt: „Sage ich nein, heißt es, er erkennt das Problem nicht. Sage ich ja, sagen alle, er vermisst Lewandowski. Ist doch wurst, was ich antworte.“

Thomas Tuchel hätte Zeit

Logisch, dass sich Diskussionen auf diese Art nicht einfangen lassen. Im Gegenteil. Nagelsmann hat die Debatte, ob er in der Lage ist, das FCB-Starensemble zu führen und hinter sich zu einen, noch befeuert. Das ist nicht ungefährlich, zumal es in Thomas Tuchel einen prominenten Kollegen gibt, der nach seiner Entlassung beim FC Chelsea zu haben wäre. Das eine oder andere Boulevardmedium hat dessen Namen schon gespielt. FCB-Vorstandsboss Oliver Kahn („Natürlich sind wir alle übel gelaunt“) konnte dem Wiesn-Besuch deshalb doch noch Positives abgewinnen: die Chance, Nagelsmann zu stützen. „Wir beschäftigen uns jetzt nicht mit irgendwelchen anderen Trainern“, sagte Kahn, „wir sind von Julian total überzeugt.“

Sprach’s und machte sich auf den Weg ins Bierzelt. Den Frust runterspülen.