München muss gegen Atlético Madrid Gas geben – und einen 0:1-Rückstand in der Champions League aufholen. Dabei dürfte der Ästhet Guardiola auf Spielers setzen, die nicht seine große Wertschätzung genießen.

München - Thomas Müller erachtete diesen Hinweis als wichtig, natürlich auch, weil ihm die erste Gelegenheit zum Nachweis verweigert worden war. „Ich habe eine besondere Beziehung zum Verein. Ich bin keiner, der sich in den großen Spielen versteckt – und ein Hasenfuß ist“, sagte er also, um rasch anzufügen: „Aber wir brauchen die Diskussion nicht weiterzuführen. Es geht darum, dass wir als Mannschaft, als Verein das Spiel gewinnen.“

 

Natürlich geht es im Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen Atlético Madrid an diesem Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) vor allem darum. Die 0:1-Niederlage aus der ersten Verabredung in Madrid vor sechs Tagen muss der FC Bayern durch einen Sieg mit zwei Toren Vorsprung wettmachen, damit es etwas wird mit dem erhofften Einzug ins Endspiel am 28. Mai in Mailand. Dann gegen Real Madrid oder Manchester City, die am Mittwoch nach ihrem 0:0 von vor einer Woche um die zweite Finalzulassung ringen werden.

Es geht bei den Münchnern aber auch um die Frage, in welchem Klima sich Trainer Pep Guardiola nach seinen drei Amtsjahren aus München verabschieden wird. „Durch das ganz große Tor“, wie es der ehemalige Vereinspräsident Uli Hoeneß zuletzt hoffnungsfroh in Aussicht gestellt hatte, wofür mindestens das Finale, besser aber das Triple erreicht werden muss. Oder doch mit einem eher lauwarmen Händedruck, den sich „Der Spiegel“ gerade als „Blumen. Danke. Servus.“ vorgestellt hat.

Guardiolas wichtigstes Spiel seiner München-Zeit

Dass die Bewertung seines gesamten Schaffens beim FC Bayern nun beinahe allein vom Ausgang dieses Halbfinals mit dem stilistischen Gegenentwurf Atlético abhängig gemacht wird, ist an sich schon kurios. Aber so richtig grotesk wird die Ausgangslage erst dadurch, dass es in Guardiolas wohl wichtigstem Spiel seiner gesamten Münchner Zeit vor allem auf jene Spielertypen ankommen dürfte, die in der Wertschätzung des Trainers eine eher nachrangige Rolle einnehmen. Das ist die Ironie des Pep-Schicksals, bevor er sich aufmacht, um bei Manchester City seinen Ballbesitzstil zu lehren, bei dem er am liebsten mit elf feinfüßigen Mittelfeldspielern passen, passen, passen lassen würde, bis das letzte Zuspiel das Tornetz als Adressaten findet.

Schon im Hinspiel bei Atlético war dies ja Teil von Guardiolas Begründung, warum Müller 70 Minuten lang zuschauen musste. Er habe mehr Mittelfeldspieler aufbieten wollen, ließ der Katalane damals wissen, weshalb sich Thiago Alcántara und Xabi Alonso im Zentrum der Startelf einfanden, zusammen mit Arturo Vidal. Nun wird Guardiola Thiago oder, was wahrscheinlicher ist, Alonso auf die Bank setzen müssen, um Platz für Müller zu schaffen.

Den torgefährlichen, mitreißenden und ideenreichen Offensivpartner von Robert Lewandowski erneut außen vor zu lassen, kann Guardiola eigentlich nicht ernsthaft erwägen. Obwohl Müller mit seinen eher unorthodoxen Qualitäten keiner jener Spielertypen ist, die der Trainer besonders schätzt. Das gilt ebenso für Vidal, der zwar eindeutig als Mittelfeldspieler einzustufen ist, aber wegen seines eher instinktlastigen und vor allem rauflustigen Stils als einer jener Sorte, die der Ästhet Guardiola nicht bevorzugt.

Neuer ist kein Passverteiler

Weil auch der Torwart Manuel Neuer eindeutig kein passender Ballverteiler ist, nimmt er schon per se eine eher nachrangige Rolle in der Wertschätzung des Trainers ein. Doch auch auf Neuer wird es nun besonders ankommen, bei den Kontern von Atlético, die Vidal mutmaßlich als Wellenbrecher vor der Abwehr besser ausbremsen soll als das in der Hinspielformation gelungen war, oder beim Scheitern in der Königsklasse von 2014 gegen Real Madrid sowie 2015 gegen den FC Barcelona.

Womöglich kommt sogar Jérôme Boateng eine herausgehobene Bedeutung zu, obwohl er erst am Samstag beim 1:1 gegen Mönchengladbach sein Comeback nach mehr als drei Monaten Verletzungspause gegeben hat. Und dann ist da ja noch Franck Ribéry, einer jener Flügelflitzer, die Guardiola anfangs auch nicht so wichtig fand, der nun aber trotz Rückenbeschwerden forderte: „Ich muss spielen.“

Doch vor allem auf die Achse Müller-Vidal-Boateng- Neuer und auf die Qualitäten Wucht und Wille, die auch Ribéry auszeichnen, könnte es nun besonders ankommen. Von einer Achse, die gar nicht nach ästhetischem Guardiola-Fußball klingt.