Frank Schäffler könnte die Regierung stürzen. Seinetwegen stimmen die Liberalen über die Eurorettung ab. Seine Fans wollen eine andere FDP - oder eine neue Partei.

Stuttgart - Neulich wagte Guido Westerwelle sich in die "Höhle des Löwen". Nach Ostwestfalen-Lippe. In Rheda-Wiedenbrück stellte der Außenminister bei einer Diskussionsrunde jenes Raubtier, das der FDP-Führung, ja sogar Kanzlerin Angela Merkel die Macht entreißen könnte. Im Umfeld von FDP-Chef Philipp Rösler werfen sie mit apokalyptischen Bildern nur so um sich, wenn sie von diesem Löwen sprechen. Seine Heimat Ostwestfalen nennen sie das "Epizentrum" eines Bebens. Wegen ihm stünde die "Kernschmelze der Weltwirtschaft" bevor, warnt Generalsekretär Christian Lindner. Als würde das Ende nahen.

 

Der Löwe, der die Erde beben und die Weltwirtschaft schmelzen lässt, reicht etwas Gebäck und Café Crème. Er trägt heute eine braune Cordhose und eine braune Krawatte. Dazu ein hellblaues Hemd mit feinen, weißen Längsstreifen. Das schon recht graue Haar auf dem rundlichen Gesicht ist kurz geschnitten, nach links gekämmt, ohne Scheitel. Eigentlich sieht dieser Löwe gar nicht aus wie ein Löwe, sondern wie der Vertreter eines Finanzdienstleisters, was nicht verwundert, weil er das bis 2010 ja auch war. Der Löwe trägt Prada als Brille und kann sprechen. Am liebsten redet er über den Euro, nicht so gern über sich selbst. Der Löwe heißt Frank Schäffler. Er wird bald 43 Jahre alt, ist verheiratet, Vater zweier kleiner Kinder und freut sich auf Weihnachten. Vor ihm haben sie in der Führung der FDP Angst - zu Recht.

Denn Schäffler hat genügend Mitglieder der FDP davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, über den Eurokurs der Partei abzustimmen. Rein formal kämpft er gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Es geht dabei aber nicht nur um unvorstellbar viel Geld. Es geht auch um die Zukunft des Euro und der Koalition - und letztlich um die Existenz der FDP. Wenn Schäffler gewinnt, dann ist Rösler, der einen Gegenantrag des Vorstands verantwortet, so gut wie schachmatt. Denn wie sollte der FDP-Chef und Vizekanzler mit einem Votum noch handeln können, das ihm in Partei und Koalition eine Kehrtwende diktiert? Eine Linie, die er kompromisslos bekämpft hat? Einen Kurs, der Deutschland in Europa lähmen würde?

Ein Marktradikaler mit Vorliebe für Briefmarken

Es war Schäffler nicht in die Wiege gelegt, Geschichte schreiben zu können. In seinem Geburtsort Wäschenbeuren, am Fuße des Hohenstaufen, riecht die Luft im Dezember 1968 nicht nach Revolution. Eher nach Briegeln aus der Bäckerei, nach leckeren Brötchen, mit Salz und Kümmel bestreut. An die erinnert er sich als Erstes, wenn man ihn nach der Kindheit in Baden-Württemberg fragt. Er neigt zu Hamsterkäufen, wenn es ihn in die alte Heimat verschlägt. "Die steck ich in den Backofen. Das ist das Schönste", sagt Schäffler.

Behütet wächst er auf. Den Lebensstandard der Familie beschreibt er mit drei Worten: "Eigenheim und so." Vater Geschäftsführer, Mutter Hausfrau. Als er zehn ist, trennen sich die Eltern, die Mutter zieht mit ihm nach Ostwestfalen, nach Bad Salzuflen. Er macht eine Lehre - sicher ist sicher - zum Industriekaufmann. Danach studiert er an der Fachhochschule Betriebswirtschaft, in Paderborn und Bielefeld.

Wäschenbeuren, Bad Salzuflen, Paderborn, Bielefeld - Schäfflers Welt bleibt stets überschaubar, solide, mit einem kalkulierbaren Risiko, für das er jederzeit in Haftung gehen könnte. Er will nie zu groß werden, um scheitern zu dürfen. Anders als die Zocker an den Finanzmärkten, die Milliarden verspielen und dann, so sieht er es, die Steuerzahler erpressen, weil sie angeblich "too big to fail" sind. Er ist ein bescheidener Mann, wohlerzogen, im besten Sinne. Er trägt seine alte runde Nickelbrille mit den kleinen Gläsern 15 Jahre lang, bis ihm seine Frau in ihrer Not einen Gutschein für ein neues Modell schenkt. Wenn Schäffler von sich spricht, dann bastelt er aus seinem Lebenslauf nicht, so wie andere seiner Art, ein politisches Manifest. Er erzählt lieber von einer Briefmarke für drei Mark fünfzig.

Auf dem Postwertzeichen sind die Externsteine abgebildet, ein Naturdenkmal im Teutoburger Wald. 1989 reicht Schäffler als Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen eine Petition im Landtag Nordrhein-Westfalens ein, um das Motiv bei der Bundespost durchzusetzen. Er will es auf 100-Pfennig-Marken für Standardbriefe sehen. Es reicht nur fürs Päckchenporto. Franz Josef Strauß setzt auf der Hunderter die Wallfahrtskapelle in Altötting durch. Schäffler ist trotzdem stolz. Viel Feind, viel Ehr.

Mit so einem lässt sich schlecht regieren

Einer wie er hat nicht das taktische Talent eines Daniel Bahr, nicht die Härte eines Guido Westerwelle und auch nicht das Charisma eines Christian Lindner. Ihm ist das egal. Er hat seine Rolle gefunden. Vielleicht ja nur bis zum 16. Dezember, dem Tag, an dem das Ergebnis des Mitgliederentscheids bekannt wird. Aber so lange werden die da oben Angst haben. So lange wird er Löwe bleiben. Und wenn er siegt? Wenn die Großtaktiker stürzen? Dann will er bleiben, was er ist. FDP-Mitglied und Abgeordneter. "Nicht zu hoch hängen, das Ganze", sagt er. Als ob das dann noch möglich wäre.

 Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie ihn in der Fraktion mit Posten versorgt hätten. Aber schon bald nach seinem Einzug in den Bundestag 2005 eckte er an. Er verehrt Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises, österreichische Wissenschaftler, die sich der reinen Lehre des Marktes verpflichtet fühlten. Ein pragmatischer Weg wird für Schäffler schnell zum sozialistischen Experiment oder, wie der Euro, zur Planwirtschaft.

Mit so einem lässt sich schlecht regieren. Also wurde er nach der Regierungsübernahme, obwohl er mehr wollte, nur Obmann im Finanzausschuss. Und auch das gab er im Mai 2010 auf, aus Protest gegen den Eurokurs der Koalition. In der FDP-Führung atmeten sie auf. Sie hielten Schäffler für einen Spinner, der das klamme Griechenland aufgefordert hatte, Inseln zu verkaufen. Sie unterschätzten ihn. Ab da fühlte sich Schäffler nämlich frei, laut zu sagen, was er denkt. Er ist gegen Rettungsschirme, für die Privatisierung der Währung, gegen jeden staatlichen Eingriff in den Markt. Seine Sturheit machte ihn interessant. Die Marke war geprägt. Schäffler war fortan der Eurorebell. Ein Revoluzzer mit Vorliebe für Briegel und Briefmarken.

Schäffler als Prophet eines libertären Zeitalters

Für jene, die schon immer gegen den Euro waren, wurde er zur Ikone. Ein Verehrer aus Bern schaltete eine persönliche Erklärung Schäfflers im Bundestag als halbseitige Anzeige in der "Neuen Zürcher Zeitung". Sie hängt gerahmt in Schäfflers Bundestagsbüro. Er ist stolz darauf. So wie es ihm schmeichelt, dass 54 Wirtschaftsprofessoren ihn stützen. Ohne den Beifall, sagt er, hätte er nicht durchgehalten. Man kann verstehen, dass er auf jeden setzt, der ihm zujubelt. Aber klug ist das nicht.

Denn im Internet bereiten Anhänger Schäfflers einer marktradikalen Bewegung den Boden. Für sie ist Schäffler der Prophet eines libertären Zeitalters. Sie verwechseln, wie andere radikale Bewegungen, Kritik mit Zensur. Hinter jedem Widerwort vermuten sie eine Verschwörung, mindestens aber einen Philipp Rösler, der die Medien lenkt und korrumpiert und so die Masse manipuliert. Wer so denkt, siedelt sich im Untergrund an, der fühlt sich als Freiheitskämpfer, der wähnt sich im Krieg. Im Netz glauben sie, die Waffen zu finden, die sie wehrhaft machen: Facebook, Twitter, Blogs. Mit Schäffler haben sie einen Anführer gefunden. Er ist der Feldmarschall der Netzkrieger, die den Euro als Quell allen Übels bekämpfen. Sie wollen eine andere FDP - oder eine neue Partei.

Ihre Sprache ist radikal. Auf der Internetplattform "eigentümlich frei", für die Schäffler als Kolumnist arbeitet, wird er verehrt. Die Dokumentation seiner persönlichen Erklärung ist dort versehen mit der Einleitung: "Frank Schäffler auf den Spuren von Otto Wels. Eine einsame FDP-Stimme gegen das fiskale Ermächtigungsgesetz und eine Rede, die einst in den Geschichtsbüchern stehen wird." Otto Wels war jener Sozialdemokrat, der 1933 im Reichstag, die Nazischergen der SA vor Augen, den Widerstand gegen das Ermächtigungsgesetz begründete. Unter Schäfflers gut 4000 Facebook-Freunden sind einige dabei, die Fotomontagen posten. Eine zeigt Angela Merkel grinsend in SS-Uniform vor dem Tor des Vernichtungslagers Auschwitz. Darüber der Schriftzug: "Euro macht frei". Man findet so was schnell, wenn man es finden will.

Aggressive Stimmung als Treibmittel

Will Schäffler das? Oder toleriert er die Auswüchse als legitime Waffe im ungleichen Kampf gegen den Apparat der Partei? Er sagt, er könne nicht dafür haftbar gemacht werden, wenn ihm die Falschen auf die Schulter klopfen. Die Unterstützer "planen Aktionen, ohne dass sie diese mit mir absprechen". Er müsse sich ja nicht alles zu eigen machen.

So einfach ist das nicht. Und das nicht nur, weil Schäffler die Entgleisungen im Netz unkommentiert lässt. Er selbst liefert den Hinweis, dass er die aggressive Stimmung als Treibmittel nutzt. Im Interviewblog "30 years" sagt Schäffler, das Internet ermögliche ihm "so eine Guerillamethode. Es sei eine tolle Sache", dass man auf diese Weise "die Machtfülle der herkömmlichen Medien, des Establishments, der Partei einfach umgehen kann".

Nicht nur dieses Interview nährt den Verdacht, dass Schäffler sich als gemäßigter, politischer Arm dieser Szene freier Radikaler versteht. Denn einer der Netzhardliner heißt Daniel Fallenstein. Er ist ein enger Mitarbeiter Schäfflers, in dessen Bundestagsbüro verantwortlich für den Newsletter und die Homepage. Fallenstein verkauft die Marke Schäffler im weltweiten Netz - und nicht nur das.

Diesmal geht es um Billionen

Er gibt "blink", ein "Magazin für freies Denken", im Internet heraus. Gemeinsam mit Aaron Koenig, einem Mann mit beachtlicher Vita. Erst hatte Koenig bei den Piraten angeheuert. Die verließ er und gründete 2010 gemeinsam mit anderen eine neue Partei: "Die Freiheit". Angeführt von dem Islamkritiker und Ex-CDU-Mitglied René Stadtkewitz, der den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders verehrt. Mit Koenig hat Schäfflers Mitarbeiter auch ein Video gedreht, das auf Youtube zu besichtigen ist. Es heißt "Euroshima". Textzeile: "Panik in der Hauptstadt der EUdSSR..." Es ist eine Art Untergrundhymne für Schäfflers Guerillabewegung.

"Das tolerier' ich", sagt Schäffler. Koenig und Fallenstein seien nun mal befreundet. Fallenstein habe bei ihm einen Halbtagsjob, "den anderen halben Tag darf er machen, was er will". Der Koenig, der sei ja auch "kein Unmensch und kein Rechtsradikaler". Mit den "Sektierern" der Partei "Die Freiheit" habe er aber nichts zu tun, versichert Schäffler, erst recht nicht mit deren islamkritischen Positionen.

Vielleicht will Schäffler ja nur nicht wahrhaben, dass ausgerechnet er zum Spekulationsobjekt von Zockern geworden ist. Politspielern, die ein Risiko eingehen, für das sie niemals haften können. Diesmal geht es nicht um eine Briefmarke für drei Mark fünfzig. Diesmal geht es um Billionen, eine Währung, eine Regierung, eine Partei. "Nicht zu hoch hängen", sagt Schäffler. Als wolle er sich mit solchen Sprüchen betäuben. Damit er das irrwitzige Risiko nicht spürt, das er, der Freund einer überschaubaren Welt, eingegangen ist.

Die Basis entscheidet

Euro-Rettungsschirm Mitte 2013 soll der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) greifen. Er soll die provisorischen Beschlüsse zur Eurorettung ablösen und steht für ein Bündel von Maßnahmen zur Stabilisierung Not leidender Euroländer. Bis zu 500 Milliarden Euro sollen aufgebracht werden.

Quorum Die Initiatoren des FDP-Mitgliederentscheids wollen den ESM verhindern. Damit die Abstimmung gültig ist, müssen sich 21.500 der rund 64.000 Mitglieder beteiligen. Unklar ist, ob das Quorum erreicht wird. Die Basis kann bis zum 13. Dezember Stimmzettel einsenden. Der Parteivorstand hat einen Gegenantrag zur Abstimmung gestellt, mit der die Regierungsfähigkeit der Partei gewahrt bleiben soll. Am 16. Dezember wird das Ergebnis erwartet.