Parteichef Rösler und Spitzenkandidat Brüderle wollen eine moderate Öffnung, müssen aber auf dem Parteitag in Nürnberg mit heftigem Gegenwind rechnen.

Berlin - Die FDP wappnet sich an diesem Wochenende für den Bundestagswahlkampf. In Nürnberg beschließen die Delegierten auf einem Parteitag, mit welchen Positionen man um Wähler werben will. Spannend wird die Auseinandersetzung über Mindestlöhne. Fast die gesamte FDP-Führung will hier eine behutsame Öffnung, weg von dem kategorischen Nein, das, so sagen die Befürworter einer Öffnung, mit dem eigenen Handeln ohnehin nicht mehr viel zu tun habe. Denn die FDP habe in Regierungsverantwortung bereits Mindestlöhne für Millionen von Menschen auf den Weg gebracht, etwa in der Pflegebranche. Deshalb sei es nur konsequent, die Programmatik dem Regierungshandeln anzupassen.

 

Es ist keineswegs ausgemacht, dass dies eine Mehrheit der Delegierten überzeugt. Wie sensibel in der Parteispitze das Thema eingeschätzt wird, zeigt allein die Wortwahl. Ein Mindestlohn darf nämlich in der FDP nicht Mindestlohn heißen, weil allein schon der Begriff bei Vertretern der reinen liberalen Lehre die Alarmglocken schrillen lässt. Deshalb nennt die FDP ihren Mindestlohn Lohnuntergrenze, um mit dieser sprachlichen Differenzierung klar zu stellen, dass es da schon noch Unterschiede zu den Modellen speziell im rot-grünen Lager gibt. Die FDP, so Parteichef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle unisono, lehne weiterhin flächendeckende Mindestlöhne, die von der Politik gesetzlich festgelegt werden, kategorisch ab.

Bei den liberalen Chefstrategen setzt man stattdessen – ähnlich wie bei der Union – auf branchenspezifische, regional angepasste Mindestlöhne, die, wenn möglich, von den Tarifpartnern ausgehandelt und dann von der Politik für allgemein verbindlich erklärt werden müssen. In jenen Fällen, in denen die Tarifpartner zu schwach sind, könnte nach Ansicht der FDP-Führung eine Kommission zum Zuge kommen, über deren Besetzung in der Partei sicher noch zu diskutieren sein wird. Dazu müsste das Mindestarbeitsbedingungengesetz weiterentwickelt werden. Die FDP will – mit einigen Modifizierungen – damit programmatisch tatsächlich im wesentlichen das billigen, was im Grundsatz bereits möglich ist und auch von Schwarz-Gelb angewandt wurde.

Parteispitze rechnet mit knappem Ergebnis

Auch wenn in dieser Frage mit Rösler, Brüderle, NRW-Chef Christian Lindner und dem früheren FDP-Chef Guido Westerwelle einflussreiche Fürsprecher auftreten, so macht sich doch in der Parteiführung keiner etwas vor. Man rechnet mit einem knappen Ergebnis. Die Delegierten der FDP gelten in Grundsatzfragen als selbstbewusst. Sachsens Landesvorsitzender Holger Zastrow, so die Einschätzung in Berlin, habe seinen überraschenden Erfolg bei der Wiederwahl zum stellvertretenden Parteichef gewiss nicht der überschaubaren Delegiertenzahl ostdeutscher Landesverbände zu verdanken, sondern seinem beherzten Eintreten gegen jede Lockerung der FDP-Haltung zum Mindestlohn. Unter anderem Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil und der eloquente Juli-Chef Lasse Becker stehen ihm da zur Seite.

Viel wird davon abhängen, wie geschlossen Brüderle und Rösler agieren. Seit den Führungsturbulenzen im Januar und der vorgezogenen Wiederwahl Röslers zum Parteichef im März agiert das Spitzenduo ohne wahrnehmbare Differenzen. Rösler setzt deshalb ebenso wie Spitzenkandidat Brüderle in der Mindestlohndebatte darauf, dass auch den kritischen Delegierten daran gelegen sein dürfte, das derzeitige Bild innerparteilicher Friedfertigkeit nicht zu ramponieren – wo doch die Fortführung der schwarz-gelben Regierung laut Umfragen gar nicht mehr so unwahrscheinlich ist.