Sind die Retter im Mittelmeer Helden oder Gesetzesbrecher? FDP-Vize Wolfgang Kubicki meint: Mitunter beides. Es stehe niemandem zu, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Wenn Retter die Fluchtroute selbst bestimmen wollten, würden sie selbst zu Schleppern.

Berlin - Sind die Retter im Mittelmeer Helden oder Gesetzesbrecher? FDP-Vize Wolfgang Kubicki meint: Mitunter beides. Es stehe niemandem zu, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen.

 
Herr Kubicki, hat sich der Kapitän des Flüchtlingsschiffs „Lifeline“ das Bundesverdienstkreuz verdient, weil er Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet hat – oder muss er hinter Gitter, weil er dabei gegen internationales Recht verstieß?
Menschlich finde ich es toll, dass die Lifeline Menschen aus Seenot befreit hat. Andererseits gibt es juristisch ausreichend Verdachtsmomente, dass sich der Kapitän an deutschem und internationalem Recht vergangen hat. Und das muss Konsequenzen haben. Die Wahrheit liegt zwischen den von ihnen beschriebenen Polen.
Sind die Retter der Hilfsorganisationen Teil der Lösung oder Teil des Problems?
Beides. Einerseits sind sie Teil des Problems. Denn wenn die Schlepper, die Menschen mit seeuntüchtigen Schiffen aufs Meer bringen, sich darauf verlassen können, dass Retter dort die Flüchtlinge aufnehmen, wird man diesen Kriminellen das Handwerk nicht legen. Andererseits ist es natürlich eine Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen. Deshalb verbieten sich einfache Antworten. Aber ich würde schon dafür plädieren, dass sich Hilfsorganisationen darüber Gedanken machen, ob sie nicht schon längst Teil des Geschäftsplans skrupelloser Schlepper geworden sind.
Sollen die Rettungsschiffe im Hafen bleiben?
Natürlich nicht. Denn sonst würde man sehenden Auges hinnehmen, dass Menschen ertrinken – eine unerträgliche Vorstellung.
Was raten Sie den Hilfsorganisationen?
Ich rate dazu, mit den staatlichen Stellen in Europa, aber auch in Libyen, Tunesien, Marokko und anderen Küstenländern zusammenzuarbeiten. Denn nur mit gemeinsamen Operationen kann man verhindern, dass Menschen in Lebensgefahr kommen.
Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch hat, nach allem was man weiß, genau dies versucht – tagelang ohne Erfolg.
In diesem konkreten Fall bin ich nicht kundig genug, um mir ein abschließendes Urteil erlauben zu können. Aber ich habe vernommen, dass der Kapitän die Übernahme der Geretteten durch die libysche Küstenwache abgelehnt hat. Wer das tut, der will nicht nur retten, der will auch schleppen. Denn der Sinn der Rettung besteht darin, die Flüchtlinge vor dem Tod zu bewahren, nicht, sie nach Europa zu bringen. Deshalb ist in dem Prozess, der in Valletta gerade stattfindet, zu klären, ob Reisch sich der Anweisung staatlicher Institutionen in Libyen zu Unrecht widersetzt hat. Dafür müsste er die Konsequenzen tragen, bei allem menschlichen Verständnis.
Kann man Libyen ernsthaft als gefestigten Staat begreifen?
Immerhin arbeiten wir mit den libyschen Behörden zusammen. Und wir rüsten die libysche Küstenwache aus. Es obliegt jedenfalls nicht dem Kapitän der Lifeline, selbst zu entscheiden, ob er die Überstellung an die libysche Küstenwache für eine sinnvolle Maßnahme hält. Wir können uns alle rechtlichen Regelungen sparen, wenn wir aus humanitären oder sonstigen Gründen Menschen erlauben, sich ihre eigenen Gesetze zu schaffen.
Wie kann man rechtsstaatlich garantierte Ordnung in der Migrationspolitik und Humanität zusammenbringen?
Ich kann da keinen Widerspruch erkennen. In einem demokratischen Gemeinwesen ist die Grundlage des Zusammenlebens die rechtsstaatliche Ordnung. Wenn wir erlauben würden, dass Menschen aus noch so ehrenhaften Gründen die Gesetze nicht mehr beachten müssen und ihnen das Recht in die eigenen Hände legen, dann würden andere, die Böses im Schilde führen, ebenfalls nach eigenen Gesetzen handeln. Gerade weil die Stimmung in der Bevölkerung so aufgeheizt ist, brauchen wir dringend ein Einwanderungsgesetzbuch, damit endlich jeder weiß, woran er ist. Es wäre kein Problem, noch mehrere Hunderttausend Menschen ins Land zu lassen, wenn der Zuzug legal, geordnet und nach klaren Kriterien erfolgen würde.
Der kleinste gemeinsame Nenner in diesem zerstrittenen Europa ist das Bestreben, die Außengrenzen abzudichten. Folgt eine solche Politik noch dem Leitbild humanitären Handelns?
Es geht nicht darum, Europa abzuschotten. Außerdem fordern ja sogar unsere Freunde von den Grünen, dass die Außengrenzen besser geschützt werden, damit die Binnengrenzen offen bleiben können. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Zuwanderung hängt nun mal davon ab, dass illegale Zuwanderung nach Europa vermieden und Menschen, die hier keine Zukunft haben, an den Außengrenzen zurückgewiesen werden können. Ich will aber alle beruhigen, die fürchten, ich würde Europa einmauern wollen. In dieser Gemeinschaft leben über 500 Millionen Menschen und wir würden locker damit fertig, jedes Jahr ein bis zwei Millionen Menschen aufzunehmen. Das allerdings muss geordnet erfolgen, nach einem klaren Verteilungsschlüssel, auf der Grundlage eines gemeinsamen Asylrechtes, mit fairer Kostenverteilung. Wenn das nicht gelingt, scheitert Europa. Und dann wird erst recht wenig von dem übrig bleiben, was wir unter Humanität verstehen.