Die Liberalen bezeichnen Baden-Württemberg als ihr Stammland. Doch seit dem Verlust der Regierungsmacht im Südwesten werden sie kaum mehr wahrgenommen. Der Parteitag und die Dreikönigskundgebung sollen den Trend wenden.

Stuttgart - Wie mag es wohl zugehen, wenn sich die FDP-Basis, das unbekannte Wesen, in dieser für die Partei so wenig verheißungsvollen Zeit versammelt? Wahrscheinlich wird ein bisschen gejammert. Bestimmt wird die Steuerlast beklagt: Runter mit den Tarifen!

 

Vielleicht tauscht man sich aus, wo in der Gegend noch ein paar attraktive Grundstücke zu haben sind – wer von uns sitzt im Gemeinderat? Mutmaßlich wird auch die Zukunft des Bundesvorsitzenden verhandelt: Übersteht Philipp Rösler die Niedersachsenwahl – oder müssen jetzt Rainer Brüderle, der alte Haudegen, und Christian Lindner, der Jungintellektuelle aus Nordrhein-Westfalen, ran? So wird es wohl zugehen bei der FDP.

Geht es aber nicht. Nicht beim Kreisverband Tübingen, der sich kurz vor Heiligabend zum Jahresabschluss in einem Gaststättennebenzimmer am Neckarstrand eingefunden hat, nicht zu zahlreich, aber na ja, fast wären es 20 Leute gewesen. Möglicherweise liegt es am Genius loci, sicherlich auch an der Studienvergangenheit der beiden herbeigeilten Abgeordneten – Pascal Kober aus dem Bundestag ist evangelischer Pfarrer, Timm Kern aus dem Landtag ist katholischer Theologe –, dass nichts Geringeres verhandelt wird als die Gottesfrage oder wenigstens die Religionsfrage. Über das „Verhältnis von Kirche und Liberalismus“ wolle man diskutieren. So steht es in der Einladung.

Hübscher Kalauer

Kann man zugleich in der Kirche sein und in der FDP? Kann man, sagen Kober und Kern. Letzterer zieht einen nicht mehr ganz neuen, aber immer noch hübschen Kalauer aus der Kiste, der Kirche und FDP als eng verbunden beschreibt, weil es sich bei beiden um die einzigen Institutionen handle, „die Erfahrung mit der Wiederauferstehung haben“. Der Scherz zeigt an, wie es um die Partei gerade wieder einmal steht: düster. Aber die niederen politischen Alltagssorgen halten die tapferen Tübinger Liberalen nicht davon ab, aufs Ganze zu zielen.

Der bibelfeste Protestant Kober sagt: „In schwieriger Zeit muss man sich der Grundsätze erinnern“, weshalb er „ad fontes“ gehe. Was er dann auch umgehend tut – vom Schöpfungsbericht mit seiner Botschaft der Gottesebenbildlichkeit des Menschen als frühem Zeugnis der Menschenwürde bis hin zu den Paulusbriefen. Der Katholik Kern assistiert. Das Christentum habe „ganz wesentlich zur Emanzipation der Menschheit beigetragen“, befindet er. Emanzipation aber sei schon immer das Anliegen des Liberalismus gewesen. Ein junger Freidemokrat mit Pferdeschwanz dagegen urteilt kurz und bündig, Katholizismus und Liberalismus passten überhaupt nicht zueinander. Liberalismus bedeute Freiheit, der Katholizismus aber fessle die Menschen an die 2000 Jahre alte Doktrin von der Ursünde und der Schlechtigkeit des Menschengeschlechts. Ein Jurastudent widerspricht. Das römische Recht sei auch alt, aber immer noch aktuell.

Der Deutungskampf wogt

So wogt der Deutungskampf hin und her, mit Ernst und mit Eifer, aber doch streng diskursiv. Parteien sind oft interessanter und bunter, als dies in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Doch die Verunsicherung der Liberalen zu Beginn des Bundestagswahljahres ist groß. „Wir machen die richtige Politik, aber sie kommt nicht rüber“, klagt in Tübingen der Bundestagsabgeordnete Kober. Sein Landtagskollege Kern zieht eine neue Parallele zwischen katholischer Kirche und FDP. Beide befänden sich in einer schwierigen Situation; das habe mit fehlender Glaubwürdigkeit zu tun. Der Tübinger Kreisvorsitzende Sascha Schmidt sagt mit ganz unchristlicher Verzweiflung in der Stimme, 2012 sei ein „in Teilen sportliches Jahr“ gewesen. „2013 wird auch nicht einfacher.“

Das hat sich die FDP freilich selbst zuzuschreiben. Der Partei fehlt es an Köpfen, an einem stabilen Milieu und an Antworten auf die großen Fragen der Zeit. Um mit Letzterem zu beginnen: das Grundsatzprogramm, das sich die Landes-FDP vor drei Jahren gab, liest sich als Manifest gegen die Dämonen des 20. Jahrhunderts, als Absage an Totalitarismen jeglicher Provenienz. Kollektivismus, Autoritarismus und Staatsgläubigkeit werden verdammt. Es ist eine kleine Geschichtskunde – ehrbar, aber auch wohlfeil. Die aktuellen Auswüchse des Finanzkapitalismus hingegen werden ignoriert. Die Finanzkrise ist kein Thema, für die Liberalen ist sie eine Staatsschuldenkrise.

Der Landespartei fehlen auch die Köpfe. Landeschefin Birgit Homburger ist nicht erst seit dem Parteitag in Villingen-Schwenningen angeschlagen. Dass sie den Ex-Wirtschaftsminister Walter Döring nur unter Rückstellung eigener Ambitionen als Spitzenmann für die Bundestagswahl verhindern konnte, illuminiert ihre schwindende Autorität. Mit Bundesminister Dirk Niebel führt nun ein Mann den Landesverband in die Wahl, den die meisten Baden-Württemberger kaum kennen. Und Hans-Ulrich Rülke, der Chef der Landtagsfraktion, findet mit seiner zynischen Rhetorik auch nicht in die Herzen der Wähler.

FDP hat kein sicheres Milieu

Schwerer noch wiegt, dass die FDP jenseits von Teilen des selbstständigen Mittelstands über kein sicheres Milieu verfügt, aus dem ihr Kraft zuwüchse. Und selbst dort kann sie sich der Zustimmung nicht mehr sicher sein. In Baden-Württemberg steckt die FDP in der strategischen Falle: Seit Jahrzehnten setzt sie ausschließlich auf die CDU als Bündnispartner. Daran haben sich die freidemokratischen Wähler so sehr gewöhnt, dass inzwischen bei jeder auch nur andeutungsvollen Diskussion über eine Ampel der Liebesentzug droht. Die Landes-CDU wiederum glaubt immer weniger an das Wiedererstarken ihres angestammten Partners – und zieht daraus die Konsequenzen. „Wir werden jetzt jeden Grünen umarmen, den wir finden“, sagte jüngst ein führendes Mitglied der CDU-Landtagsfraktion.

Liberale Glaubensstärke kann in diesen Zeiten nicht schaden. Man kann es aber auch so sagen wie ein Tübinger Freidemokrat, der sich als gebürtiger Krimtatar entpuppt und als Muslim die Debatte über Kirche und Liberalismus eher entspannt verfolgt. Er sagt: „Die FDP hat es nicht verdient, so tief zu sinken.“

Die FDP unter Druck

Meinungstrend: „Wenig Sympathien für Schwarz-Grün“ vermeldete Allensbach-Chefin Renate Köcher zum Jahresausklang. Nur fünf Prozent der Bevölkerung sehen demnach in einem Zusammengehen von CDU und Grünen bei der Bundestagswahl ihre Wunschkoalition. Die FDP als Stammkoalitionär der CDU mag das beruhigen. Andererseits: 46 Prozent der Unionsanhänger benennen die SPD als die Partei, die ihnen nach der Union am liebsten ist.Nur 31 Prozent sagen, es sei die FDP. Das lässt an eine Große Koalition denken. Bei den Meinungsforschern von Allensbach klebt die FDP bei der Sonntagsfrage nach leichter Erholung bei nur vier Prozent.

Turbulenzen: Im Landesverband Baden-Württemberg gab es beim Parteitag in Villingen-Schwenningen Turbulenzen. Der Ex-FDP-Landeschef Walter Döring versuchte ein Comeback, scheiterte aber in einer parteiinternen Schlammschlacht. Spitzenkandidat für die Bundestagswahl ist nun Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel.