Jahrelang hat das Landesbesoldungsamt Steuern unbemerkt doppelt abgeführt. Erst jetzt wurde das entdeckt. Die Folge: von 90 Millionen Euro sind 50 Millionen Euro für das Land wohl verloren.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wegen eines jahrelang unbemerkten Fehlers beim Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) droht Baden-Württemberg 50 Millionen Euro zu verlieren. Wie erst jetzt bekannt wird, hat die Behörde in den Jahren 2008 bis 2014 Lohnsteuer für Beschäftigte doppelt abgeführt. Dadurch wurden insgesamt 91 Millionen Euro zu viel bezahlt, die an den Bund und andere Bundesländer flossen. Nur 38 Millionen davon kann das Land mit Aussicht auf Erfolg zurückfordern, beim Rest gilt dies wegen Verjährungsfristen als fraglich. Ein Sprecher von Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) bestätigte die Informationen unserer Zeitung im Grundsatz; man werde am Donnerstag die Öffentlichkeit informieren.

 

Sitzmann hat zu Wochenbeginn eine unabhängige Expertengruppe eingesetzt. Diese soll die von ihrem Ministerium aufgedeckten Vorgänge beim Landesamt umfassend untersuchen. Zugleich informierte die Ressortchefin die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart und den Landesrechnungshof in Karlsruhe. Bisher gebe es keine Hinweise auf Straftaten, heißt es intern; vielmehr sei von einem Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter und Defiziten bei der Kontrolle auszugehen. Wegen des hohen Betrags wolle man Justiz und Finanzkontrolle aber frühzeitig informieren. Auch der Finanzausschuss des Landtags wurde inzwischen eingeweiht.

Folgenschwerer manueller Eingriff

Erste Hinweise auf Unstimmigkeiten entdeckte das Finanzministerium vor einem halben Jahr beim Aufstellen der sogenannten Vermögensrechnung. Das Besoldungsamt wurde daraufhin mit der Aufarbeitung beauftragt, die zum Jahreswechsel abgeschlossen war. Der Befund: Betroffen seien die Abrechnungen für Mitarbeiter von öffentlichen Einrichtungen, die das LBV als Dienstleister übernimmt. Durch einen manuellen Eingriff seien die Lohnsteuern nicht nur an die jeweils zuständigen Finanzämter, sondern in gleicher Höhe auch an das Finanzamt Stuttgart-Körperschaften abgeführt worden. Der Anlass für diesen Eingriff ist offenbar völlig unklar. Ebenso wenig weiß man, warum die Praxis im Jahr 2014 endete und nicht bereits damals eine Untersuchung eingeleitet wurde. Die Vorgänge fallen damit in die Amtszeit der früheren Finanzminister Willi Stächele (CDU) und Nils Schmid (SPD).

Die Beschäftigten merkten von der Panne nichts, auch bei der Finanzverwaltung fiel der doppelte Geldsegen nicht auf. Von den bis zum Jahr 2011 zu viel gezahlten 53 Millionen Euro flossen nur vier Millionen Euro an den Südwesten zurück; das Gros ging an Bund, andere Länder und Kommunen. Dem Staat insgesamt ist damit zwar kein Schaden entstanden, wohl aber dem Land. Anders als bei den seit 2012 zu viel gezahlten 38 Millionen Euro gilt eine Rückforderung dieses Betrags als wenig aussichtsreich: Ein Steueranspruch verjährt in der Regel nach vier Jahren.