Das Messgerät hat Wiebke Freese aus China, die dicke Luft untersucht sie bei sich vor Ort in Oberaichen, einem Stadtteil von Leinfelden-Echterdingen. Die Mathematikerin tut das jeden Tag, und zwar aus einem pragmatischen Grund.

Oberaichen - Wiebke Freese fährt am liebsten mit dem Rad zur Arbeit nach Stuttgart. Doch die 46-jährige Mathematikerin hat das in den vergangenen Monaten nicht gemacht. Nicht etwa, weil es ihr zu kalt oder der Weg von 20 Kilometer pro Strecke zu lang gewesen wäre. Es lag schlichtweg an der schlechten Luft, dass die Mathematikerin aus Oberaichen morgens in die S-Bahn stieg und sich nicht auf den Fahrradsattel setzte. Denn in der Luft gab es zu viele Feinstaubpartikel, und zwar nicht nur im Stuttgarter Kessel, sondern auch schon auf der Gemarkung von Leinfelden-Echterdingen. Freese weiß das, weil sie seit Monaten in Oberaichen Feinstaub in der Luft misst.

 

An diesem Mittag sitzt sie dort in einem Restaurant und berichtet von den Werten. „Wenn ich Feinstaubwerte von 60 oder 70 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen habe, bin ich mit der Bahn gefahren. Das war in diesem Jahr bisher immer so“, erzählt sie. Für Feinstaub gilt ein Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, der nicht öfter als 35-mal im Jahr überschritten werden darf. Freese ist für das Thema Feinstaub sensibilisiert. „Die Partikel sammeln sich in der Lunge, und die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass man im Schnitt zehn Monate früher stirbt, wenn man oft Feinstaub ausgesetzt war.“ Darum solle man das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Feinstaubpartikel könnten schließlich Herz- und Kreislauferkrankungen auslösen.

Teil eines Netzwerkes von Bürgern, die selbst messen

Oberaichen ist bisher nicht dafür bekannt, dass dort die Werte überschritten werden. Freese vermutet, dass dies mit Holzöfen zu tun hat. „Es gibt hier in Oberaichen einige alte Gehöfte, in denen die Heizung mit Holz betrieben wird.“ Und sie hat den Eindruck, dass immer mehr Leute Holzheizungen einbauen lassen.

Vor Freese auf dem Tisch steht derweil ein mobiles Feinstaubmessgerät mit chinesischen Schriftzeichen. Sie hat es sich für 160 Euro aus China schicken lassen. Freese drückt auf einen Knopf und schaltet es ein. Dann gibt sie Entwarnung: „Die Feinstaubwerte hier drin sind nicht erhöht.“ Was zunächst komisch klingt, weil ja innen keine Autos fahren, ist offenbar gar nicht so ungewöhnlich. „Ich schaue auch aufs Gerät, bevor ich lüfte. Denn wenn die Fenster auf sind, steigen die Werte im Raum ganz schnell an.“ Dazu hat Freese ein Messgerät auf dem Balkon fest montiert, das sie selbst zusammengebaut hat. Die Teile haben gut 30 Euro gekostet. Sie hat sie dann selbst montiert und miteinander verkabelt. „Das Zusammenbauen hat Spaß gemacht.“

Freese ist Teil eines Netzwerkes von Bürgern in Stuttgart und der Region, die Feinstaub messen und andere darüber informieren, wie die Luftqualität in der Region ist. Das funktioniert so: „Jedes der Geräte sendet die Messdaten über WLAN auf eine Karte im Internet.“ So wird daraus ein Sechseck, das auf der Homepage www.luftdaten.info angezeigt wird. Der Messsensor ihres Balkons ist darauf seit Januar zu sehen.

Nicht mal am Neckartor so hohe Werte gemessen

Eva Noller, die Erste Bürgermeisterin von Leinfelden-Echterdingen, kennt das Programm. „Es ist nützlich, wenn sich die Bürger damit befassen. Sie sind ja auch Experten vor Ort“, sagt sie. Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) misst derzeit lediglich in Echterdingen auch die Feinstaubwerte. Auf die von Freese mitunter gemessenen Werte von mehr als 100 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Januar angesprochen, sagt Noller, dass so hohe Werte nicht mal am Neckartor gemessen wurden. Sie hat eine Erklärung dafür: „Im Januar gab es eine frostige Wetterlage mit kalten Winden aus Osten, die Feinstaub mit sich getragen haben. Durch diese Partikel ist ja früher auch der Lößboden auf den Fildern entstanden.“ Aber auch die Komfortkamine könnten eine Rolle spielen, zumal diese in Stuttgart während des Feinstaubalarms ausbleiben sollten. Die Stadt selbst werde das Thema weiter beobachten. Tätig werden müsste dann die LUBW.

Für Wiebke Freese gibt es indes einen Lichtstreif am Horizont: Die Feinstaubsaison endet im April. Dann kann sie wieder nach Stuttgart radeln. „Für mich ist das auf dem Weg zur Arbeit ideal. Ich bewege mich, und es bringt mir gleichzeitig Erholung.“

Feinstaub selber messen

Das Messgerät
Die Teile für das Feinstaubmessgerät müssen die Interessenten selber kaufen und montieren. Es sind aber nur wenige Teile nötig, die in etwa 30 Euro kosten. Das Gerät besteht aus einem Feinstaubsensor, einem Fühler für die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit sowie einem Computer-Prozessor mit WLAN-Modul. Die Technik wird zum Wetterschutz in ein Rohr montiert.

Die Karte
Die etwa 300 in Stuttgart und der Region verteilten Geräte senden Daten über das Internet an die Homepage www.luftdaten.info. Dort erscheint pro Gerät ein farbiges Sechseck, das auf einen Blick die Luftqualität anzeigt. Wer es detaillierter möchte, kann darauf klicken und sich die exakten Werte anzeigen lassen. Auf den Fildern gibt es Messgeräte in Oberaichen, Musberg, Echterdingen und Bernhausen. Die Internetseite wird von OK Lab Stuttgart betrieben, die mit dem Projekt Transparenz, offene Daten und Bürgerwissenschaft fördern möchte.

Der Workshop
Die Aktivisten vom OK Lab Stuttgart helfen Interessierten jeden zweiten Dienstag im Monat ab 19 Uhr beim Bau der Feinstaubmessgeräte im Shackspace, Ulmer Straße 255 in Stuttgart.