Deutschlands dreckigste Kreuzung war 2015 noch ein bisschen dreckiger als im Vorjahr. Am Neckartor wurden bis Weihnachten 70 Tage mit zu hohen Feinstaubwerten gezählt. Noch gravierender ist der Anstieg beim Stickoxid.

Stuttgart - Der vor einem Jahr in Stuttgart angekommene blaue Brief der EU-Kommission wegen zu hoher Feinstaubwerte hat nichts genützt: Im vergangenen Jahr sind die Schadstoffkonzentrationen am Neckartor im Vergleich zum Vorjahr wieder gestiegen. Bereits vor Weihnachten – bis zum 21. Dezember 2015 – hatten die Sensoren der Messstation an Deutschlands schmutzigster Kreuzung nach Angaben der Landesanstalt für Umweltmessungen (LUBW) bereits an 70 Tagen (2014: 64) Werte von mehr als 50 Mikrogramm je Kubikmeter Luft registriert.

 

Das für alle zuständigen Behörden gesetzlich verpflichtende Limit, das am Neckartor seit elf Jahren weit überschritten wird, liegt bei lediglich 35 Tagen. Vor allem im letzten Monat des vergangenen Jahres stiegen die Feinstaubwerte, beflügelt durch starken Einkaufsverkehr vor Weihnachten, besonders stark: Vom 8. bis zum 21. Dezember lag der Ausstoß am Neckartor an neun Tagen über dem Grenzwert.

Auch mehr Stickoxid registriert

Doch damit nicht genug: Auch beim Stickstoffdioxid (NO2) hat sich die Belastung am Neckartor im vergangenen Jahr wieder drastisch erhöht: Im vergangenen Jahr wurde der Stundengrenzwert von 200 Mikrogramm je Kubikmeter Luft 61 mal gerissen. Im Jahr 2014 war das lediglich 36 mal der Fall gewesen. Zulässig sind 18 Überschreitungen pro Jahr. Beim Stickoxid dürfte auch der noch nicht ganz genau feststehende Stuttgarter Jahresmittelwert mit rund 80 Mikrogramm um das Doppelte über dem zulässigen Pegel liegen. Dass Stickoxide die Gesundheit der Bürger nicht nur am Neckartor gefährden, haben erst jüngst (wie berichtet) Messungen der Deutschen Umwelthilfe an der Schillerstraße und vor einem Kindergarten an der Schwarenbergstraße gezeigt.

Die unerfreuliche Entwicklung in Sachen Schadstoffe ist für das Stuttgarter Klima- und Umweltbündnis (KUS) ein klares Indiz dafür, dass das beim Feinstaubalarm für Autofahrer geltende Freiwilligkeitsprinzip nicht ausreicht. „Das können wir nur mit Unverständnis und Erstaunen zur Kenntnis nehmen“, betont Manfred Niess, einer der Sprecher des Bündnisses. Bei der Feinstaub-Selbstkontrolle sei von Stadt und Land offenbar nicht einmal eine Erfolgskontrolle vorgesehen.

Umweltschützer fordern tagesaktuelle Schadstoffwerte

Dieser Alarm kann in der Landeshauptstadt seit dem 11. Januar 2016 ausgelöst werden, wenn der Deutsche Wetterdienst für mindestens zwei aufeinanderfolgende Tage ein „stark eingeschränktes Austauschvermögen der Atmosphäre“ erwartet. Dann sollen Pendler freiwillig auf das Auto verzichten und mit Bus und Bahn zur Arbeit in die Stadt fahren,

Statt „fragwürdigem Aktionismus vor der Landtagswahl am 13. März“ fordert KUS wirksame Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte. „Es müssen wissenschaftlich gesicherte Schadstoffwerte tagesaktuell veröffentlicht werden“, so Niess. Das habe das Land dem Klimabündnis und anderen Initiativen bei der Bürgerbeteiligung zum Feinstaubalarm zugesagt. Dieses Versprechen werde aber nicht eingehalten. Statt dessen sei eine „prophetische Erwartung“ des Wetterdienstes der Maßstab für den Feinstaubalarm.

„Keine Frage, die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide sind überschritten“, sagt Ulrich Reuter, Leiter der Abteilung Klimatologie im Rathaus. Bis 2010 habe man die Werte noch Jahr für Jahr erheblich senken können. Inzwischen werde es allerdings immer schwieriger, zusätzliche Verbesserungen zu erreichen. „Dabei spielt das Wetter eine große Rolle“, so Reuter. Der Fachmann erwartet in diesem Jahr „acht bis zehn Feinstaubalarme“. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigten, dass deren Dauer zwischen zwei und neun Tagen liegen könne.