Von Kritikern wird Felix Kubin als einer der besten deutschen Musiker gefeiert. Der Mann, den kaum einer kennt, nennt als musikalische Referenz eine Symphonie für Fabriksirenen und Flugzeugmotoren. Vor seinem Auftritt samt Big Band am Freitag in Esslingen hat er erstmal die Vegetation gestutzt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Esslingen - Felix Kubin ist einer dieser Musiker, die locker ein größeres Publikum erreichen könnten - wenn mal einer auf die richtige Marketingmasche käme oder irgendjemand Bekanntes eine Lanze für ihn brechen würde. Dabei arbeitet Kubin gar nicht mal im Abseits der Pop-Öffentlichkeit: So widmet die aktuelle Spex dem Mann ein mehrseitiges Feature, und im Magazin "Wire" ist er auf der Titelseite zu sehen. Musikalisch ist Kubin mit den verschiedensten Projekten unterwegs, und diese Projekte passen in die verschiedensten Schubladen: elektronische Musik, neue Musik, Jazz und "auch so Sequencer-Sachen" sind darunter, wie Kubin am Freitag nach dem Auftritt mit seiner zehnköpfigen Big Band im Komma in Esslingen erzählt - nachzuhören auf seinem aktuellen Album "Zemsta Plutona".

 

Ein interessanter Typ also, dessen Musik sich nicht nur wegen der sporadischen deutschen Texte "deutsch" anfühlt. Vielleicht liegt es darin, dass eines der Pressebilder Kubin zeigt wie in einer Szene aus einem Zwanziger-Jahre-Stummfilm und in anderen wie ein Raumfahrer mit stechendem Blick und einem Anzug, der an "Raumschiff Enterprise" erinnert? Oder an Werke der deutschen Nachkriegs-Avantgarde wie das Triadische Ballett, das in der Bauhaus-Schule erdacht wurde und 1922 in Stuttgart uraufgeführt wurde? Ebenfalls aus diesem Jahr stammt eine von Arseni Awraamow zur russischen Oktoberrevolution geschriebene Symphonie für Fabriksirenen, Nebelhörner, Artilleriefeuer und Flugzeugmotoren, auf die sich Kubin in einem Interview mit der "Berliner Zeitung" beruft. Krass!

Jedenfalls nimmt Felix Kubins Musik diesen "aufgeräumten", wohlgeordneten Ansatz auf; sie klingt ein wenig wie Theater- oder Hörspiel-Musik, hat also etwas Experimentelles und knüpft gleichzeitig an Bekanntes an. Diese Musik hat eine gewisse Kühle, ohne bewusst so rüberkommen zu wollen. Diese Musik ist fein geschichtet, man hört viele elektronische Instrumente und ist von der Vielzahl der Klangquellen fürs Erste überfordert.

Genau so ist es auch in Esslingen, wo Kubin mit der Warschauer "Big Band" Mitch & Mitch gastiert und verscheidenste Synthesizer, ein Bläser-Trio, Percussion, ein Vibraphon, zwei Gitarren, ein Bass und andere Instrumente mehr ein extrem vielschichtiges Klang-Ganzes ergeben, das sich so gar nicht greifen lässt. Das Ohr hält sich dann an banalen Dingen wie dem Schlagzeugrhythmus oder dem Basslauf fest. Die lehnen sich an der Tanzmusik der Dreißiger bis Fünfziger an: Swing und Boogie zum Beispiel. Weil das, was kunstfertig darübergeschichtet wurde, ziemlich gut gemacht ist und das Ganze auch ziemlich groovt, tanzt bald das ganze Komma auf diese schräge Tanzmusik. Kubin steht in der Mitte, spielt Orgel oder Analog-Synthesizer und lacht ziemlich viel - der Mann hat Spaß an dem, was er macht. Man könnte Kubin für einen Nerd halten, in jedem Fall ist er ein guter Entertainer.

Die Vegetation raisert

Erst im Zugabenblock klärt sich, warum der Bereich vor der Bühne mit so vielen Ästen dekoriert ist: Der Bandbus kam nicht zum Komma durch, also wurde kurzerhand die Vegetation gestutzt. Um dem Grünzeug noch eine letzte Bestimmung zu geben, wurde es als Deko benutzt. Hat aber gepasst. Und dass die reisende Band mit dem Esslinger Baumbewuchs so kurzen Prozess macht, erklärt sich vielleicht mit ihrem Tourplan und der daraus resultierenden Zeitnot: noch am Donnerstag hatte die Band im französischen Tours gespielt; das liegt so auf halber Strecke zwischen Paris und Bordeaux. Am Freitag dann in Esslingen und am Samstag treten Kubin und Mitch & Mitch in Rotterdam auf - zwischen den Städten liegen knapp 900 respektive 600 Kilometer.

Echte Überzeugungstäter also. So wie im Komma in Esslingen, wo man sich einen solchen Act einfach mal geleistet hat - nach einem Auftritt im Rahmen des Éclat-Festivals 2011, da aber mit ganz anderem Schwerpunkt

Dieser Versuch einer Konzertkritik zeigt, dass sich Felix Kubins Musik nur schwer in Worte fassen lässt. Wer sie jetzt hören will, sollte dieses Video ansehen. So ungefähr war's am Freitag im Komma. Man darf hoffen, dass Kubin bald wiederkommt.