Eine 59-Jährige wartet in der gemeinsamen Wohnung auf ihren Ehemann. In der einen Hand hat sie eine Kaffeekanne, in der anderen ein Messer. Sie sticht zu – und steht jetzt wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Stuttgart

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Fellbach/Stuttgart - Am Montag nach Fronleichnam hätte sie noch einmal zur Kontrolle ins Zentrum für Psychiatrie in Winnenden gemusst. Dann wäre sie entlassen worden. Doch stattdessen stach sie am 18. Juni dieses Jahres auf ihren Ehemann ein – jetzt steht eine 59-jährige Fellbacherin wegen versuchten Mordes vor dem Stuttgarter Landgericht. Ihr winkt die Unterbringung in einer Psychiatrie, da die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass die Frau eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Sie leidet offenbar seit vielen Jahren an einer schizoaffektiven Psychose – mal weniger, dann wieder mehr.

 

Die Frau ruft „möge Gott mir verzeihen“ – und sticht zu

Laut der Anklage hatte die Frau an jenen Sonntagmorgen auf dem Sofa im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung gewartet. In der einen Hand eine Kaffeekanne, in der anderen, hinter einem Kissen verborgen, ein 15 Zentimeter langes Küchenmesser. Als ihr Ehemann aus dem Schlafzimmer kam, gingen beide aufeinander zu. „Der Geschädigte rechnete mit einer Umarmung, nicht mit einem Angriff“, so die Staatsanwältin. Mit den Worten „Möge Gott mir verzeihen“ stach die Frau jedoch auf ihren Mann ein – nur durch dessen reflexartige Bewegung blieb es bei drei kleineren Verletzungen.

Er konnte seiner Frau das Messer entwinden und ins Bad flüchten. Warum er die Tür dann wieder öffnete, weiß er heute selbst nicht mehr – „vielleicht, um der Polizei die Tür aufzumachen“, sagte er vor Gericht aus. Da sei plötzlich seine Frau wieder neben ihm gestanden – sie hatte sich ein zweites, noch größeres Messer besorgt und stach ihm damit in den Arm.

Hatte die psychisch kranke Frau Angst vor einer Misshandlung?

An diesen zweiten Angriff kann sich die Frau nicht mehr erinnern – wohl aber an das Eintreffen der Polizei: „Ich dachte, mein Mann hätte den Krankenwagen gerufen, doch es kam die Polizei. Die haben sich so bös verhalten, da konnte ich gar nicht anders, als mich zu melden.“ Die 59-Jährige soll aber so heftig reagiert haben, dass drei Beamte nötig waren, um ihr Handschellen und Kabelbinder anzulegen.

Die Angeklagte zeigte sich in der Verhandlung gesprächig, erzählte viele Details aus ihrer Kindheit, konnte sich scheinbar genau an vieles erinnern. Doch bei genauerem Nachhaken taten sich immer wieder Widersprüche auf: Erst sprach sie von einer glücklichen Kindheit, dann sagte sie, sie habe als Teenager versucht, sich umzubringen, nachdem ihr Freund sie verlassen habe.

Gegenüber Ärzten hatte die Frau erzählt, ihre Eltern hätten sich erhängt, ihr Bruder sei bei einem Unfall gestorben – Unwahrheiten, die wohl ihrer Krankheit zuzuschreiben sind. Ihre 33-jährige Ehe mit dem Geschädigten beschrieb sie unächst als glücklich – um dann aber vorzubringen, er habe sie öfters misshandelt. Am Abend vor dem Messerangriff habe ihr Mann ihr mit einer ledernen Fliegenklatsche Angst eingejagt. Sie habe sich deswegen mit einem Messer gewappnet und die Nacht aus Furcht auf dem Sofa verbracht.

Ehemann: „Wenn es soweit ist, werde ich zum Berserker“

Zweimal, das räumte ihr Gatte ein, habe er seiner Frau wehgetan. „Einmal wollte sie sich mit einem Messer umbringen, da habe ich sie festgehalten, um sie vor sich selbst zu schützen.“ Und beim anderen Mal, ein paar Wochen vor der Eskalation, habe er sie „halt am Hals g’hoba, aber nicht zugedrückt.“ Ihm sei die ganze Situation zu viel geworden, seine Frau habe ihn auch oft beleidigt: „Es braucht lange, um mich wütend zu machen. Aber wenn es so weit ist, werde ich zum Berserker.“ Am Abend zuvor habe er aber nur nach Fliegen geschlagen und nicht einmal in die Richtung seiner Frau.

Ihr Mann darf sie in der Psychiatrie nicht besuchen, angeblich will er die Scheidung. Trotzdem sagte die 59-Jährige in ihrer Vernehmung: „Wenn ihm etwas passiert wäre, gäbe es nur noch Dunkelheit und Tränen für mich. Ich bereue nichts mehr als den Morgen, als dieses Unglück passiert ist.“ Als sie dann die Gelegenheit bekam, von Angesicht zu Angesicht mit ihrem Mann zu reden, formulierte sie dies anders: „Ich wünsch’ dir was, komm gut heim.“