Ein Teil der Schmerstraße ist sanierungsreif. Um die einstige Geschäftsmeile ranken sich viele Geschichten und Anekdoten.

Fellbach - Unübersehbar sind einige Gebäude in der Schmerstraße und in der Umgebung sanierungsreif oder gar dem Abbruch geweiht – wie das Haus an der Einmündung der Lindenstraße in die Hintere Straße, das bereits verschwunden ist. Wenige Schritte weiter haben sich am Samstagnachmittag rund 30 Teilnehmer zu einer Straßenführung mit dem Fellbacher Wengerter Gerhard Aldinger getroffen. In der Veranstaltung der Kulturgemeinschaft Fellbach ging es um die Schmerstraße, die zentrale Geschäfts- und Handwerkerstraße in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, heute ein Nebensträßle mit Park- platzproblemen, weshalb das dort ansässige Weingut Aldinger vor Jahren die Gelegenheit beim Schopf ergriff und eines der alten Häuser gekauft und abgerissen hat. „Das sind jetzt die teuersten Parkplätze in Fellbach“, witzelte Gerhard Aldinger.

 

Überwiegend überalterte Bausubstanz findet sich in der Nachbarschaft, wo sich die Häuschen aneinander lehnen – nicht wie an der Vorderen Straße, wo die „Herrabaura“, die reichen Bauern, ihre repräsentativen Häuser und Höfe errichteten. An den Lippen von Gerhard Aldinger hängen die Leute, wenn er launig und mit vielen Anekdoten gespickt erzählt aus seiner Jugendzeit im Oberdorf. Vom Seifensieder Bauerle, dessen Haus die Stadt Fellbach erworben hat und nun verkaufen will an jemand, der es saniert. Oder vom Wagner Neef, ein Original wie der Seifensieder; die beiden trafen sich jeden Morgen auf der Kreuzung, auf Schaufel oder Besen gestützt, und gingen die Neuigkeiten durch.

Auf Abbruch steht das Haus, das einst das Rebstöckle beherbergte, eine von fünf Gaststätten in der Schmerstraße. Dann gab es noch Kübler und Küfer, Metzger, Schlosser, einen Installateur, drei Gemischtwarenhandlungen, mehrere Bäcker, ein Fuhrunternehmen, einen Leichenbesorger, Tuchmacher, Uhrmacher, Schuhmacher, Sattler, Schmied, Ofenbauer und den „Hosen Grotz“, der geradezu berühmt wurde, als er eines Tages an seinem Geschäft eine Notiz anbrachte: „Mein Hosenladen“, so stand da, sei wegen einer Familienfeier geschlossen.

Der letzte verbliebene Laden in der Schmerstraße

Der Laden der Brüder Schnaitmann war der erste, in dem es nach dem Krieg Eis gab, erinnerte sich Manfred Heß, der Vorsitzende der Kulturgemeinschaft, der auch in der Gegend aufgewachsen ist. Als die Gruppe vor der Bäckerei Saur stand, kam Edda Saur heraus: „Wir sind der letzte verbliebene Laden in der Schmerstraße“, sagt sie. Natürlich sagt sie’s auf Schwäbisch. Das Gemeindehaus am Anfang der Straße beherbergte nacheinander Feuerwehr, Sonntagsschule, das Eichamt, die Post und eine Freibank. Gleich gegenüber war eine öffentliche Waage. Ein paar Schritte weiter wohnte der „Biraboom-Aldinger“, aber das gehört schon zur Vorderen Straße.

Das Thema Wein gehört dazu

Wer mit dem Seniorchef des Weinguts Aldinger durch die Schmerstraße spaziert, kommt natürlich um das Thema Wein nicht herum – was die Teilnehmer der Führung besonders erfreute, weil es in flüssiger Form daherkam. Chef im Betrieb ist Gert Aldinger, mittlerweile die „Sandwich-Generation“ im Weingut, weil neben seinem Vater auch seine beiden Söhne mitmischen im 30-Hektar-Familienbetrieb. Er führte durch die Kelter und Kelleranlagen und schenkte ein vom Besten. Ein Riesling Großes Gewächs, ein Merlot mit drei Sternen, das leistet man sich nicht alle Tage.

Der Inhalt im Glas zählt zum höchsten Weinadel in Württemberg und darüber hinaus. Auch das gehört zur Schmerstraße dazu.