Viele Passanten verfolgen den Abriss des Gebäudes nahe dem Fellbacher Stadtmuseum. Was machte das frühere Traditionshaus für Eisenwaren und Hausrat aus?
Der Bagger beißt Stück für Stück vom Dach ab, es kracht und staubt – und immer wieder bleiben Passanten stehen und schauen zu, wie das Gebäude nach und nach zu Schutt wird. Den Abriss des Gebäudekomplexes, prominent im Herzen von Fellbach neben dem Stadtmuseum gelegen, verfolgen seit einigen Tagen viele – und sie lassen Erinnerungen hochkommen.
Eine Familie mit zwei Kindern schaut gebannt auf das Haus, das nach und nach in Stücke zerlegt wird. Eine Frau macht Fotos, sie kann sich noch genau erinnern, wie sie mit ihren Eltern in dem ehemaligen Traditionshaus zusammen einkaufen ging. „Ich bin in Fellbach aufgewachsen, da kannte man das Geschäft“, sagt sie. „Wir gehen zum Kaltenbach“, dieser Spruch ist dabei immer wieder zu hören. Und dieser drückt aus, dass das Geschäft in der Hinteren Straße 28 eine Institution in Fellbach gewesen ist.
„Eisenwaren und Hausrat“ steht auf der großen Einkaufstüte, die Ingrid Kaltenbach für das Treffen mit unserer Zeitung herausgesucht hat. Ihr Opa Otto Kaltenbach hat das Geschäft viele Jahre geführt. Sie hat sich gemeinsam mit ihrer Mutter Gisela auf Spurensuche nach der Historie gemacht und in alten Unterlagen geblättert. Wer auf den ersten Blick denkt, dass das Eckhaus mit dem großen Schaufenster, das in den vergangenen Jahren vom „Lieblingsstück“ – einem kleinen inhabergeführten Fachgeschäft in der Hinteren Straße – als Werbefläche genutzt wurde, das ehemalige Geschäftshaus war, liegt übrigens falsch. Es sei immer als Wohnhaus genutzt worden, erzählt die Familie Kaltenbach. Bis vor zwei Jahren lebte Gisela Kaltenbach selbst noch in dem Haus mit der langen Geschichte.
Gisela Kaltenbach hat mit ihrer Schwester Vereinsgeschichte geschrieben
Die Fellbacherin ist vielen als sportliche Größe im SV Fellbach – auch im hohen Alter – bekannt. Mit 92 Jahren hatte sie ihr 59. Sportabzeichen im Jahr 2023 absolviert. Gisela Kaltenbach und ihre Schwester Edith Seibold von der Turnabteilung sind die wohl sportlichsten Zwillinge des SV Fellbach. Die beiden haben Vereinsgeschichte geschrieben. Das Eckhaus stammt aus dem Jahr 1897 und wurde von dem Schlossermeister Mergenthaler gebaut. 1901 hat August Schmid das Haus gekauft und dort einen Anbau errichtet – in diesem Anbau wurde dann ein Geschäft für Kolonialwaren eingerichtet. 1939 hatte dann Otto Kaltenbach das Haus gemietet und sein Geschäft eröffnet. Während dieser in den Krieg eingezogen wurde, hatte Karlheinz Kaltenbach, der Vater von Ingrid Kaltenbach, das Unternehmen geführt, wie aus den Unterlagen der Familie hervorgeht. Er hatte dort auch seine Lehre absolviert.
Ein Großbrand zerstörte das Lager, ein Rauchpilz stand über Fellbach
Ingrid Kaltenbach kann sich noch an ein dramatisches Ereignis erinnern: „Es gab einen Rauchpilz über Fellbach, es war an einem 2. Januar Anfang der 70er Jahre“, erzählt sie. Ein Großbrand im Lager des Geschäftes, einer umgebauten Scheune, war ausgebrochen. „Wir waren an diesem Tag zum Skifahren unterwegs“, erinnert sich Ingrid Kaltenbach, „mein Vater ist dann sofort wieder umgedreht.“ Der Schaden war groß, alles sei ausgebrannt gewesen – und zu allem Unglück sei das Lager besonders gefüllt gewesen, da in diesem Jahr die Filiale in Schmiden eröffnet werden sollte. Viele Artikel aus Plastik hätten Feuer gefangen, wie etwa Wäschekörbe oder Wannen von den Haushaltswaren.
Man konnte dort noch Schrauben einzeln kaufen
„Doch sehr bekannt war das Geschäft für Eisenwaren und Material für Handwerker“, sagt Ingrid Kaltenbach. Eine der Besonderheiten: Man konnte dort noch Schrauben einzeln kaufen. Als der Vermieter August Schmid verstorben war, verkauften dessen Erben das Gebäude Hintere Straße 28 und das zurückgesetzte Haus 28/1 Anfang der 70er Jahre an Karlheinz Kaltenbach. Gisela Kaltenbach ist in das Eckhaus 1959 eingezogen – die 94-Jährige wohnte dort nun bis vor zwei Jahren.
„Wir gehen zum Kaltenbach“ – der Spruch erinnert an die Institution
Das „Eisenwaren und Hausrat“-Geschäft wurde 1983 aufgegeben, als Karlheinz Kaltenbach in den Ruhestand gegangen war. Bereits zu diesen Zeiten sei der Strukturwandel durch die Eröffnung von großen Baumärkten spürbar gewesen, erinnert sich die Familie.
„Wir gehen zum Kaltenbach“, dieser Spruch sei wohl auch dadurch entstanden, da ihr Vater handwerklich sehr geschickt und kommunikativ gewesen sei. Der Vater, der auch engagiert in der Werbegemeinschaft Entenbrünnele gewesen sei, sei als eine Persönlichkeit im Einzelhandel geschätzt worden. Er hatte die Fachschule des deutschen Eisenwaren- und Hausratshandels in Wuppertal absolviert. In der Blütezeit hatte das Unternehmen drei Filialen - auch eine in der Fellbacher Bahnhofstraße 140.
An gleicher Stelle entsteht ein dreigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus
Zeitweise war das Geschäft dann als Pilates-Studio und von einer Bausparkasse genutzt worden. Dieser Tage erfolgt der Abriss nun vollends. An derselben Stelle wird ein dreigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit Dachgeschoss und einem Carport entstehen. Im Erdgeschoss sind Gewerbeflächen, in den darüberliegenden Geschossen drei Wohnungen vorgesehen. Der Neubau wurde im vergangenen Jahr von der Stadt genehmigt. Für die Gewerbefläche von rund 80 Quadratmetern werden noch Mieter gesucht. Deren Bedürfnisse könnten dann in der Planung der Fläche berücksichtigt werden, sagt die Familie Kaltenbach.