Tausende Menschen säumen die Straßen, Schattenplätze sind bei sommerlichem Wetter begehrt. Statt Wein wird viel Wasser getrunken. Die Zahl der Besucher am verlängerten Wochenende erreicht mit rund 300 000 einen neuen Höchstwert.

Fellbach - Schorsch und Nicko sind richtig coole Gesellen. Die beiden weißen Percheron-Pferde stehen völlig gelassen vor dem Garbenwagen, den sie gleich durch Fellbachs Straßen ziehen sollen. Peter Müller ist mit seinen französischen Kaltblütern seit 15 Jahren beim Fellbacher Herbst dabei, Schorsch und Nicko sind zuverlässig, und mutig klettert der Wengerternachwuchs auf den hoch beladenen Wagen. Die jungen Damen und Herren von der Landjugend, die während des Umzugs dort oben sitzen und dem Publikum zuprosten dürfen, haben einen relativ einfachen Job.

 

Nicht Wein, sondern Wasser ist bei Traum-Sommerwetter ein begehrtes Gut

Deutlich schweißtreibender ist die Arbeit ihrer vier Kollegen, die die 110 Kilogramm schwere Pracht-Traube durch die Straßen tragen. Alle paar hundert Meter wechseln sich die jungen Männer ab. Nicht Wein, sondern Wasser ist bei Traum-Sommerwetter ein begehrtes Gut. Auch Weinprinzessin Anja Off sichert sich vor dem Start des Umzugs an der neuen Kelter ein paar Fläschchen mit dem kühlen Nass. Schließlich ist es mit über 25 Grad sommerlich warm, und schon vor dem Start des traditionellen Umzugs mit seinen 58 Fußtruppen und Wagen ist Schatten das Thema des Tages.

Denn dieses Jahr säumen Menschen in Sommerbekleidung die Straßen. Wer doch die neue Herbstgarderobe ausführen wollte, ärgert sich: „Viel zu heiß, unter dieser dunklen Jacke bin ich nass geschwitzt“, sagt ein Besucher. Die Kinder machten es richtig: „Eis!“ erklingt öfter der Ruf nach einer Portion der leckeren Köstlichkeit.

Der Verkauf von neuem Wein läuft schon vor Beginn des Festumzugs bestens. Nachdem der Geschäftsführer der Fellbacher Weingärtner, Friedrich Benz, die Ehrengäste und zahlreichen Bürger an der Kelter begrüßt hat, donnern auch schon die drei Bollerschüsse durch die Luft.

Erschrocken halten sich kleine Mädchen die Ohren zu. Bevor Oberbürgermeisterin Gabriele Zull die traditionellen Worte „nun bringt den Wagen in die Stadt, der Wein und Frucht geladen hat ... lasst uns den Herbst begrüßen!“ spricht, hält der Pfarrer der evangelisch-methodistischen Gemeinde, Pastor Jochen Röhrl, die Ansprache zum Erntedank. Als viel zu selbstverständlich nehme man die meisten Dinge hin – selbst den diesjährigen Ernteseegen schätze man fast als ganz normale Gabe, sagt er. Doch sei es „jedes Jahr ein neues Wunder, wenn alles wächst und gedeiht.“

Die Spielmannszüge und Musikkapellen hauen auf die Pauke

Die Stadtkapelle stimmt „Nun danket alle Gott“ an, und der Zug mit den fast 60 Gruppen setzt sich in Bewegung. Die Zuschauer staunen über die Fuß- und Wagengruppen der Schulen und Vereine, die das Herbstmotto „Die ganze Welt wird digital, der Fellbacher Herbst bleibt analog – und real!“ phantasievoll umgesetzt haben. Die Spielmannszüge und Musikkapellen hauen auf die Pauke und Waiblingens Oberbürgermeister Hesky führt seine Stadtkapelle gar persönlich an. Die Klappradfreunde aus Schmiden klingeln sich auf ihren ulkigen kleinen Zweirädern durch die Straßen, hier gibt es Taekwondo-Vorführungen, dort tanzen die Menschen der Kulturvereine ausländischer Mitbürger auf der Straße. Obwohl eine Gruppe aufgreift, man fühle sich ohne Internet geradezu in die Steinzeit zurück versetzt, ist man sich in Fellbach einig: Trotz Digitalisierung dürfen die alten Werte nicht verloren gehen.

Gerhard Bürkert kommentiert von seinem Hochsitz an der Lutherkirche den Umzug und zeigt wie immer viel Sinn für Humor: „Hier kommt noch eine wunderschöne Kutsche, die wir mit Applaus begrüßen, aber sie steht nicht auf meiner Liste“, sagt er beispielsweise.

„So eine strahlender und heißer Tag, dieser Herbst wird wohl in die Geschichte eingehen“, meint ein Zuschauer. Gewiss auch bei den Wengertern – so makellos perfekte Trauben wie dieses Jahr gibt es sonst nur im Märchen.