Die Sommerferien dauern in Russland drei Monate. Den Eltern hilft da nur die moderne Kinderlandverschickung ins Sommerlager. Eine Tradition zwischen Kunst und Kalaschnikow.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau - Maja bockt. Gerade noch hatte sie mit den anderen Kindern in einem Kimono-Kostüm auf der Bühne gestanden. Nun aber, als die Probe im kleinen Moskauer Kindertheater Funny Bell zu Ende ist und die Vorstellung vor Eltern, Großeltern, Geschwistern beginnen soll, zieht sich die Vierjährige zurück. „Ich will einfach nur bei der Mama sitzen.“ Die Welt russischer Sommerlager kann anstrengend sein.

 

Drei Monate dauern die Sommerferien in Russland. „Genial!“, rufen die Kinder. „Zum Verzweifeln“, sagen die Eltern – und schicken ihre Sprösslinge ins Sommercamp. Es gibt dort Sprachkurse, Paddelkurse, Ballettkurse und sogar Militärübungen – im Park nebenan oder auch im Ausland, eine Woche nur oder gleich mehrere Monate. Die einen lernen den Umgang mit der Kamera, die anderen mit einer Kalaschnikow. Und selbst die Kleinsten werden von Ende Mai bis Anfang September betreut.

Ein wenig Sowjetkultur schwingt mit

Umsonst ist der Spaß nicht. Eine Woche im Moskauer Funny Bell kostet umgerechnet knapp 250 Euro. Die Kinder bekommen viermal zu essen, schlafen über Mittag, sind draußen in der Natur und proben – die einen ihr Theaterstück, die anderen eine italienische Zirkusaufführung. Es ist heiß in den Räumen, das Programm ist dicht. Die Stimmung aber ist gut. „Wir haben zu Hause nicht das Geld, um woanders hinzufahren. In den Park hier muss ich nicht lange laufen. Außerdem schmeckt die Pizza gut“, sagt die elfjährige Ljuba.

Diese Form der Betreuung ist eine Fortsetzung sowjetischer Pionierlager, auch die Direktorin des Theaters Funny Bell verbrachte ihre Ferien mit den Pionieren – und flog zweimal raus. „Ich wollte mit ein paar Freundinnen mit einem Laken über dem Kopf nachts andere Kinder erschrecken“, sagt Swetlana Sokolowa. Das kam bei ihren Betreuern nicht gut an. Sokolowa will in ihrem Theater andere Werte vermitteln: keinen Drill, keinen Zwang zum Glück, sondern „einfach nur Freundschaften ohne Hierarchien“.

In der sowjetischen Propaganda wurden Kinder als Träger der sozialistischen Utopie betrachtet. Die Pionierlager sollten die „glückliche Kindheit“ als Teil der sowjetischen Kultur vermitteln. Als „Mutter aller Pionierlager“ gilt bis heute das Artek auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Sobald die Renovierung im Jahr 2020 abgeschlossen ist, soll das Lager bis zu 40 000 Kinder aufnehmen – und sie zu „selbstbewussten und nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft erziehen“, wie es der dortige Direktor formuliert. Auch in der Provinz sind die Pionierlager gefragt. Sie sind günstig und für viele, die nicht in den Urlaub fahren können, die Rettung.

„Ich muss mich ausruhen“

„Wir haben zwei Kinder, die sollen auch im Sommer etwas lernen, sich weiterentwickeln. Mein Mann und ich können schließlich nicht die ganze Zeit freinehmen“, sagt die 35-jährige Anastassija Nowikowa nach der Vorstellung im Funny-Bell-Kindertheater. Ihr sechsjähriger Sohn Luka ist bereits zum zweiten Mal hier und hat ein abwechslungsreiches Sommerprogramm vor sich: Theaterwoche, Großeltern-Datscha, Familienurlaub, wieder Theaterwoche mit der Schwester, ein anderes Sommerlager. „Man muss die Kleinen ja beschäftigen“, sagt Anastassija Nowikowa. Nur Luka wirkt etwas erschöpft: „Ich muss mich ausruhen.“