Sonne und Spaß bei vollem Gehalt. Das Leben als Animateur scheint paradiesisch. Doch beim Casting wird klar: Spaß haben eher die anderen.

Stuttgart - Kathi möchte an den Strand, deshalb hat sie einen schwarzen Blazer angezogen. „Ich finde, der wirkt seriös“, sagt sie, lächelt etwas unsicher und zupft nervös an ihrem Ärmel herum. Sie zieht einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und schaut sich prüfend darin an: „Scheiße, ich habe ja rote Flecken im Gesicht, das kommt bestimmt nicht gut.“

 

Kathi ist nervös, außerdem hat sie wenig geschlafen. Sie ist früh aufgestanden, um den ersten Zug von Balingen nach Stuttgart zu nehmen. Jetzt sitzt sie in einem in die Jahre gekommenen Backpacker-Hotel, ihrer ersten Station auf dem Weg ans Meer. Denn hier findet ein Casting statt, speziell für junge Animateure, die an spanischen Pools oder an kanarischen Stränden arbeiten wollen.

Ein Riesengeschäft: der Bedarf der Reiseveranstalter an professionellen Pausenclowns ist groß, mehrere Tausend Stellen gibt es während jeder Urlaubssaison zu besetzen. Allein der Touristikkonzern Tui beschäftigt Tausend von ihnen pro Jahr. Auch ein kleinerer Reiseveranstalter wie Alltours benötigt in der Hochsaison 300 Menschen. Sie arbeiten den Sommer durch, werden meist im Mittelmeerraum eingesetzt. Die Kandidaten müssen mindestens drei Monate zur Verfügung stehen, die Hälfte von ihnen bleibt sogar länger als ein halbes Jahr. Denn auch im Winter werden Animateure benötigt.

Vor dem Studium muss was Aufregendes passieren

Meistens springen Abiturienten und Studenten Anfang 20 ein, die nach Abenteuern unter südlicher Sommersonne suchen, sich mit wenig Geld zufriedengeben und auch darüber hinaus kaum Ansprüche stellen – so wie Kathi. „Ich kriege Geld für gute Laune, das ist doch super“, flüstert sie verschwörerisch und bekommt vor lauter Aufregung noch mehr rote Flecken.

Kathi ist 19 Jahre alt, hat gerade Abitur gemacht und keine Ahnung, was jetzt kommen soll. Ein Studium wahrscheinlich, das machen ja alle. Aber davor muss noch etwas anderes passieren, etwas Aufregendes. „Das ist immerhin der erste Sommer im echten Leben“, sagt sie. Der darf nicht im Freibad oder beim Familienurlaub verschwendet werden, sondern soll alles bieten: Strand, Sonne, Spaß, Freiheit.

Wer die große Freiheit sucht, muss sich an Dominik wenden. Er ist ein kleiner, gedrungener Mann Mitte 30 und hat seine schwarzen Haare mit Mühe so gekämmt, dass sie die beginnende Glatze verdecken. Dominik veranstaltet das Casting, hat Kathi in der Hotel-lobby aufgesammelt und sie zu fünf weiteren Bewerbern in einen Kellerraum gebracht. Hier sollen sie beweisen, dass sie Gästegeplänkel und Kinderminidisco beherrschen – auch, wenn Sonne, Strand und frische Luft hier unten weiter entfernt sind als je zuvor.

Der Job ist anstrengend

Die Wände des Kellers sind in einem schmutzigen Braun gestrichen, mehrere alte Holztische stehen herum. Es riecht ein wenig muffig und knackt, wenn Wasser durch die in der Wand verlegten Rohre fließt. Aber das kann einem wie Dominik nicht die Stimmung verderben. Er war selbst lange Jahre Animateur, er kennt sich mit Stimmungstötern aus und besitzt die passenden Gegenmittel: Aus seinem Laptop dröhnt Lou Bega mit „Mambo No. 5“, an die Wand projiziert er Fotos von lachenden, durchtrainierten Menschen, die im Meer planschen.

„Hallo, alle“, sagt Dominik, klappt den Kragen seines kurzärmligen Hemds noch ein bisschen höher und lächelt routiniert in die Runde: „Sind wir denn schon volljährig?“ Alle nicken. Das gefällt Dominik, dann können die ausgewählten Kandidaten direkt den Vertrag unterschreiben, und es droht keine anstrengende Rücksprache mit irgendwelchen Eltern. Die wundern sich nämlich immer über die langen Arbeitszeiten und den geringen Lohn, aber das ist klar, die sind halt schon zu alt und verstehen nicht, dass Dominik eben keine Jobs zu vergeben hat, sondern Abenteuer.

Viele Möglichkeiten, das Land und die Leute außerhalb des Ferienresorts kennenzulernen, hat ein Animateur allerdings nicht. Der Job ist anstrengend. Die Arbeitszeit beginnt um 9 Uhr morgens und geht bis ungefähr Mitternacht – je nachdem, was anliegt und in welchem Hotel oder Club man eingesetzt ist. Einen Tag pro Woche ist frei, aber auch dann sollte der Animateur im Hotel für die Gäste noch ansprechbar sein.

Die Animateure müssen den Flug selbst bezahlen

Dafür gibt es zwischen 600 und 800 Euro Nettolohn im Monat, das jeweilige Einkommen ist abhängig von Anstellungsdauer und Vorkenntnissen. Das heißt: mit einer pädagogischen Ausbildung oder einer Sporttrainerlizenz verdient man mehr als der Gelegenheitsjobber ohne Qualifikationen für den Einsatz. Kost und Logis sind inbegriffen, gute Arbeitgeber spendieren auch eine kostenlose An- und Abreise.

Dominiks Animateure müssen den Flug selbst bezahlen. Zu Beginn will er jeden Bewerber Englisch sprechen hören, nur eine kurze Selbstvorstellung, keine große Sache. Der Job ist schließlich international und Englisch Pflicht. Kathi zuckt an ihrem Platz zusammen. Sie hat Abitur, aber keine Ahnung, was „Abitur“ auf Englisch heißt. Sie zupft ihren schwarzen Blazer zurecht, steht auf und sagt: „I have my Abitur“, und dann erzählt sie, dass sie gern Volleyball spielt, auch am Strand, dass sie Menschen mag und einfach gern mal raus will aus allem, und ihr Freund hat sich vor drei Wochen von ihr getrennt, deshalb hält sie sowieso nichts mehr hier, aber der wird dann schon merken, was ihm fehlt, wenn sie erst weg ist. Sie stoppt, vielleicht hat sie zu viel gesagt. Das ist ihr erstes Vorstellungsgespräch überhaupt, sie hat keine Erfahrung, wie ehrlich man da sein darf.

Dominik macht sich lächelnd Notizen auf einem Block, er nickt zwischendrin wohlwollend. Er kennt das alles schon. Tausendmal gehört, sagt das Nicken. „Thank you, Kathi“, sagt er und nickt. Dann kommt die nächste Kandidatin dran und dann die nächste Aufgabe. „Zwei Minuten Kreativität“, wünscht er sich. Die Kandidaten sollen jetzt mal einfach etwas machen, was genau ist egal, Hauptsache „kreativ“.

„Ich habe sowieso kein Schamgefühl“

Kathi gibt alles: Sie streckt die Zunge heraus, lässt die Hüften kreisen, kreischt. Zwischendrin muss sie immer wieder laut lachen. Aber sie reißt sich zusammen, sie will den Job doch so sehr, und wenn sie den Idioten geben muss, um in die Sonne zu kommen, dann macht sie das. „Ich habe sowieso kein Schamgefühl“, sagt sie und färbt sich wieder rot.

Währenddessen hat Dominik seinen Block vollgeschrieben mit Notizen zu Kathis Tanzstil. Vielleicht hat er auch nur Strichmännchen gemalt, aber zumindest hat er jetzt genug gesehen. Er bedankt sich und bittet Kathi schließlich mit wichtiger Stimme „zum Abschlussgespräch“. Dann gibt er sein Urteil ab: „Mir hat das gefallen.“ Kathi seufzt erleichtert auf: „Ehrlich?“ – „Klar“, sagt Dominik gönnerhaft, „freust du dich?“ „Ich freu mich“, echot Kathi und schüttelt Dominik hektisch die Hand.

Sie unterschreibt für ein halbes Jahr. In zehn Tagen wird sie nach Gran Canaria fliegen, um dort deutsche Touristen gut zu unterhalten, fünfzehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. „Ich verpasse sogar meinen eigenen Abiball dafür“, sagt Kathi. Aber das nimmt sie in dem Fall gern in Kauf. „Ich wollte das ja so“, sagt sie, „ich bin ja erwachsen und kann selber entscheiden.“