Der ZOB am Hauptbahnhof ist geschlossen, um Platz für Stuttgart 21 zu machen. Die Fernbusse starten nun in Obertürkheim oder Zuffenhausen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)
Stuttgart - Rot-weiße Bauzäune versperren die Einfahrt zum Zentralen Busbahnhof am Hauptbahnhof. Die Bussteige sind verwaist. Über den "ZOB"-Schildern kleben farbige Kreuze aus Signalband. Eigentlich hätte den zehn Männern und Frauen dämmern können, dass hier etwas nicht stimmt. Doch nicht die unauffälligen Hinweiszettel, sondern ein Fahrradfahrer hat sie gerade darauf aufmerksam gemacht, dass sie am falschen Ort auf ihren Bus nach Polen warten. Jetzt herrscht helle Aufregung. "Was sollen wir machen", fragt Alexandra Adamniak, ein 23-jähriges Au-pair-Mädchen aus Bad Urach. In fünf Minuten fährt ihr Bus ab.

Seit Donnerstag, sechs Uhr morgens ist der ZOB am Hauptbahnhof geschlossen, um Platz für Stuttgart 21 zu machen. Nachdem Vaihingen als Alternativstandort ausgeschieden war, machen die Fernbusse - wie berichtet - ab sofort in Obertürkheim oder Zuffenhausen Station.

Am ehemaligen ZOB schaut Zygmunt Sowa ungläubig auf sein Rückfahrticket: "Obertürkheim" steht da tatsächlich geschrieben. Mit seiner Frau Eryka ist der 70-Jährige vor einer Woche am Hauptbahnhof angekommen, die beiden haben ihre Nichte Laura besucht. Sie sind gar nicht auf die Idee gekommen, dass ihr Bus woanders wieder abfahren könnte. Als plötzlich doch ein Bus vor ihrer Nase hält, ist er schon erleichtert: doch der hektische Busfahrer ("zwei Minuten, dann fahre ich weiter nach Obertürkheim") liest weder die Namen des Ehepaares noch des Au-pair-Mädchens vor. Haben sie also ihren Bus verpasst?

Vielen Passagieren ist die Neuerung noch nicht bekannt


Die neuen Standorte, so hat es der Gemeinderat beschlossen, sollen ein fünfjähriges Provisorium sein. Allein der Reiseveranstalter Touring hat nach eigenen Angaben 10.000 Flyer verteilt, doch offenbar ist vielen der oft ausländischen Passagiere, die seit Jahren dieselben Strecken fahren, die Neuerung noch nicht bekannt.

Auch unter den Taxifahrern haben sich die neuen Adressen offenbar noch nicht komplett herumgesprochen. "Sagen Sie, wurde der Busbahnhof verlegt?", fragt ein Fahrer am Hauptbahnhof. "Die Stadt Stuttgart hat die Busunternehmen schon im September informiert, die Kundeninformation ist nicht Aufgabe der Stadt", sagt ein Mitarbeiter des Tiefbauamtes, der immer wieder an diesem Tag am Hauptbahnhof vorbeischaut, um verwirrte Menschen an den richtigen Bahnhof zu schicken - meistens nach Obertürkheim.

Am neuen Fernomnibusbahnhof (FOB) in Obertürkheim herrscht dichtes Gedränge auf dem Platz. Einige Hundert Menschen mit Reisetaschen, Koffern, Plastiktüten. "Toilette", fragt eine Frau einen Mitarbeiter von Touring. Der Mann weist entschuldigend auf die vier Dixi-Klos an der Seite. Der geplante Toilettencontainer ist bislang nicht installiert. Das Handy des Touring-Büroleiters klingelt pausenlos. Der Telefonanschluss funktioniert noch nicht, deshalb landen alle Anrufe bei ihm.

"Mir tun vor allem die alten Leute leid"


Rund 30 Busse fahren allein am Donnerstag zwischen 13 und 21.15 Uhr von den zehn Haltestellen ab, die meisten gehen um 16 Uhr in Richtung Balkan. Beziehungsweise, sollen abfahren: es herrscht Stau auf der Autobahn 8, die Busse haben Verspätung, viele Passagiere sind unruhig. Es beginnt zu regnen und es gibt nur zwei Unterstellmöglichkeiten. Petra Mesaric ergattert mit ihrem acht Monate alten Sohn einen geschützten Platz. Die 23-Jährige will nach Kroatien über Ostern. Sie hat aus der Zeitung von dem neuen FOB gehört und den Busbahnhof auch poblemlos gefunden. Doch sie weiß, dass viele Passagiere ihre Tickets erst spontan am Abreisetag vor Ort kaufen. Vor allem Bauarbeiter, heißt es bei Touring, würden oft kommen, ohne vorher zu reservieren.

"Mir tun vor allem die alten Leute leid", sagt ein Mitarbeiter am Ticketschalter des FOB. "Hier ist kein Taxistand und keine einzige Telefonzelle." Bei der Rückreise vom Balkan würden die Busse um 2.30 Uhr nachts in Stuttgart halten. "Sie können sich hier nirgends unterstellen und die erste S-Bahn fährt Stunden später", regt sich der Mann im Verkaufshäuschen auf.

Die polnischen Passagiere vom ehemaligen ZOB hatten übrigens doch noch Glück: Die Frankfurter Zentrale ihres Busunternehmens hat sie mit ihrem Fahrer verbunden. Er hat sie vom Hauptbahnhof abgeholt - "ausnahmsweise".