Der Marktführer bei Fernbussen, Mein Fernbus Flixbus, expandiert weiter. Bei der Bahn rechnet man mit Umsatzeinbußen von bis zu 350 Millionen Euro. Ein internes Papier zeigt, wie genau der Staatskonzern den Konkurrenten beobachtet.

Berlin - Flixtrain, Flixcar, Flixcharter, Flixfly – der Marktführer bei Fernbussen, Mein Fernbus Flixbus (MFF), könnte bald versuchen, in weiteren Verkehrsmärkten seinen Erfolg zu wiederholen. Das geht aus vertraulichen Papieren der Deutschen Bahn (DB) hervor, die dieser Zeitung vorliegen. Die DB-Spitze verfolgt demnach den Kurs des Wettbewerbers mit Argusaugen und erwartet zudem, dass MFF bis Ende 2017 an der Börse vorfährt, um frisches Kapital zu tanken.

 

MFF antwortet auf konkrete Nachfragen nur ausweichend. Man sei „solide finanziert“ und mit den Investoren „sehr zufrieden“, erklärt ein MFF-Sprecher. Derzeit gebe es keine Finanzierungsdebatte. Weitere Vertriebskooperationen werde es „sicherlich“ geben, so der Sprecher weiter, „konkrete Pläne stehen aktuell nicht unmittelbar vor der Umsetzung“.

In Österreich und Tschechien bereits im Bahngeschäft

Der Einstieg des Fernbusbetreibers ins Bahngeschäft ist jedoch schon vollzogen. In diesem Jahr wird MFF zusammen mit privaten Fernzugbetreibern in Österreich und Tschechien erstmals Züge in Konkurrenz zu den dortigen Staatsbahnen fahren. „Irgendwann wird es grüne Züge auch in Deutschland geben“, hat Mein Fernbus-Gründer Torben Greve in einem „Capital“-Interview betont. Greve war früher ein leitender DB-Manager im Fernverkehr. Vor einem Jahr hatten Mein Fernbus (Berlin) und Flixbus (München) ihre Fusion und weitere Expansion in Europa angekündigt, die unter anderem vom US-Investor General Atlantic finanziert werden soll.

MFF beherrscht nun 71 Prozent des deutschen Fernbusmarkts, die Nummer zwei Postbus (elf Prozent) und die beiden DB-Busbetriebe (IC Bus und Berlin Linienbus BLB, zusammen neun Prozent) folgen mit sehr weitem Abstand (Stand August 2015, Basis: Buskilometer).

1000 Busse in Europa bis Ende März

Bis Ende März will MFF mit 1000 Bussen in Europa unterwegs sein. Allein mit den neuen Liniennetzen in Frankreich und Italien habe man 500 neue Direktverbindungen geschaffen, betont der MFF-Sprecher. Mittlerweile kooperiere man mit mehr als 200 regionalen Busunternehmen in 16 Ländern und habe „mehrere Tausend gut bezahlte Arbeitsplätze“ geschaffen. Das sei „eine echte Erfolgsstory“. Die Fusion sei erfolgreich, und auch für dieses Jahr habe man hochgesteckte Ziele und „extrem viel vor“, so der Sprecher.

Branchengerüchte, wonach die MeinFernbus-Gründer das Unternehmen vielleicht schon bald verlassen, werden entschieden dementiert. „Alle Gründer“ würden den weiteren Weg auch in Zukunft gemeinsam beschreiten, so der MFF-Sprecher. In internen Papieren des – offensichtlich gut informierten – Konkurrenten DB dagegen heißt es, dass es bei MFF intern Interessenkonflikte wegen der Expansionsstrategie gegeben habe, ebenso wegen der künftigen Markenbezeichnung, die schon bald nur noch „Flixbus“ lauten könnte statt des sperrigen jetzigen Namens. Und weiter: der Eindruck einer feindlichen Übernahme habe die Belegschaft von Mein Fernbus verunsichert, zumal der Investor die Fusion „mit dem Ziel aggressiven Wachstums“ forciert habe. Mitarbeiter seien deshalb zur Konkurrenz übergelaufen.

Bahn rechnet mit 350 Millionen Euro Einbußen pro Jahr

Die Deutsche Bahn befürchtet viel höhere Umsatzverluste bei ihren Fernzügen durch Fernbusse als bisher zugegeben. Bis 2020 kalkuliert der Staatskonzern mit Erlöseinbußen von 300 bis 350 Millionen Euro pro Jahr, geht aus vertraulichen Unterlagen der DB Fernverkehr hervor, die dieser Zeitung vorliegen. Im Schnitt gehe der DB pro Kunde ein Nettoumsatz von 35 Euro im Fernverkehr und von 23 Euro im Regionalverkehr verloren, heißt es darin.

Nach einer Forsa-Umfrage, die bei der DB unter Verschluss liegt, hätte jeder zweite Fernbus-Reisende, der zwischen Januar und August 2015 unterwegs war, ein Bahnticket gekauft, wenn die Bundesregierung die neuen Verkehrsangebote auf der Straße nicht zugelassen hätte. Nur 23 Prozent wären mit dem Auto gereist, knapp 14 Prozent per Mitfahrgelegenheit und rund 7 Prozent mit dem Flieger. Nur jeder zwanzigste hätte ohne Fernbus auf die Reise verzichtet. Die Fernbusse bekommen also die mit Abstand meisten Kunden von der Schiene.

Die DB-Spitze erwartet, dass sich der Siegeszug der Fernbusse noch einige Jahre fortsetzt. Allein 2015 habe sich die Zahl der Fahrgäste auf 24 Millionen verdoppelt, werde 2016 dann 29 Millionen und bis 2020 auf 32 Millionen steigen. Der Umsatz aller Anbieter werde dieses Jahr von 390 auf 470 Millionen klettern und bis 2020 sogar auf 620 Millionen Euro. Damit würde die Branche ihren Erlös seit der Liberalisierung Anfang 2013 mehr als verfünffachen und fast ein Sechstel des heutigen DB-Umsatzes im Fernverkehr erreichen.

Die Bahn will viel mehr Busse fahren

Programm
Das starke Marktwachstum und die Tiefpreise der Fernbusse setzen nicht nur dem Schienenverkehr der DB zu. Der Konzern kann auch mit seinen eigenen Busunternehmen IC Bus und Berlin Linienbus (BLB) bislang nicht wie erhofft profitieren. Der Marktanteil sinke trotz Ausweitung der Angebote, heißt es in internen Unterlagen. Das soll sich ändern. Besonders für die bisher verlustreiche BLB plant die DB den Unterlagen zufolge starkes Wachstum und eine Vervierfachung des Angebots. Die DB-Tochter soll dabei weitgehend unabhängig vom Konzern und im „Niedrigpreissegment“ agieren, mit Schwerpunkt auf den innerdeutschen Verkehr und eventuell auch mit Partnern. Der Umsatz der BLB soll sich schon bis 2017 auf 37 Millionen Euro mehr als verdreifachen und bis 2020 auf 43 Millionen klettern.

Schienenverkehr
In der Politik wird dieser Kurs allerdings teils skeptisch beäugt, weil er zu Lasten des ohnehin stark unter wirtschaftlichem Druck stehenden Schienenverkehrs gehen könnte. Viele DB-Fernzüge sind schon jetzt unzureichend ausgelastet und fahren unterhalb der Gewinnschwelle. Jeder zusätzliche Fernbus – egal ob von der DB oder Konkurrenten – verschärft tendenziell dieses Problem und erschwert den Erhalt der Infrastruktur, der aus Steuergeldern und Trassen-Einnahmen bezahlt wird.