Ein altes Gesetz zum Schutz der Bahn verhindert auf Strecken innerhalb Deutschlands Konkurrenz auf der Straße. Bis jetzt.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Herr Gotowala schwitzt in seinem Container. Über 30 Grad hat es an diesem Nachmittag in Obertürkheim. Wie im Brutkasten fühlt man sich auf dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Stuttgart, den man im Zuge der Umbauten am Hauptbahnhof in die Peripherie, in ein gesichtsloses, graues Industriegebiet der Vorstadt verlegt hat. Die oberen Knöpfe seines Hemdes sind geöffnet, und er schimpft. Ein junger Mann hat gerade eine Flasche Wasser gekauft - und beim Hinausgehen die Tür zu Herrn Gotowalas Reich offen gelassen. Die Hitze dringt in den Raum, in dem es Bustickets und Getränke gibt. So geht das schon den ganzen Tag. Tür auf, Kunde rein, Kunde raus, Tür bleibt auf. Er schüttelt den Kopf. "Haben die Leute zu Hause keine Türen?"

 

Wenn man Herrn Gotowala ärgern möchte, lässt man entweder die Glastür offen, oder man wirft die Worte "Deutsche Bahn" in den kleinen Raum, an dessen Wand eine große Europakarte hängt und allerlei Werbebroschüren für günstige Fahrten in Orte werben, deren exakte geografische Verrohrung im Bereich der Millionenfrage bei Günther Jauch liegt. Der Weg in die weite Welt hinaus führt über Sigmund Gotowala. Der Weg nach Köln oder München oder Rostock über den Hauptbahnhof. Oder über den Flughafen. Und schuld ist nur die Deutsche Bahn. Herr Gotowala würde gerne auch Deutschland verbinden, doch er darf nicht. Wegen diesem Uraltgesetz von anno dazumal. Er schimpft wieder, diesmal auf die Bahn und den Protektionismus des Staatskonzerns. "Deutschland ist so ein progressives Land, aber das ist wie in der DDR. Die Bahn als VEB." Und wer zahlt die Zeche? "Der kleine Mann, die ärmeren Leute."

Deutschland ist ein Entwicklungsland in Sachen Busverkehr

Es fährt kein Bus nach Irgendwo.

Deutschland ist ein Entwicklungsland in Sachen Busverkehr. Eine Diaspora im Herzen Europas, wenn es darum geht, innerhalb der BRD von A nach B zu kommen. Die ganze Welt ist ein Dorf geworden im Zuge der Globalisierung. Deutschland ist ein gallisches Dorf. Man kann von Deutschland aus den ganzen Kontinent mit dem Bus bereisen, nur Deutschland kaum. Während in den USA etwa der Greyhound-Bus Teil des mobilen Alltags ist und auch die europäischen Nachbarn über ein Netz aus nationalen Buslinien verfügen, ist dies hierzulande von Staats wegen verboten. Noch.

Das Monopol der Bahn wurde ein ums andere Mal gerichtlich bestätigt

Dass dem so ist, liegt an einem Gesetz aus dem vorigen Jahrtausend, aus den 1930er Jahren. Im bis heute geltenden Personenbeförderungsgesetz wurde die Eisenbahn unter Artenschutz gestellt. Seit jener Zeit wird eine Buslinie bisher nach Paragraf 13.2 nur genehmigt, wenn sie eine Strecke bedient, auf der kein anderes Verkehrsmittel verkehrt; wenn sie eine klar kürzere Fahrzeit als bestehende Verkehrsmittel aufweist; wenn sie zu Zeiten verkehrt, zu denen keine Verbindung besteht; und wenn sie wesentlich preiswerter ist. Das alles zusammen übrigens, wohlgemerkt

In der Realität wurde so denn auch keine nationale Linie zugelassen, stattdessen das Monopol der Bahn ein ums andere Mal gerichtlich bestätigt. Der Gigant hat mit allen Mitteln gegen Konkurrenten und Bestrebungen für eine Liberalisierung der Straße angekämpft. Die DB argumentiert, dass eine Neuordnung zu einer Kannibalisierung führen könnte und weniger rentable Zugverbindungen vielleicht eingestellt werden müssten, so dass der Kunde unterm Strich dann schlechter fahren würde. Der Bund wiederum hatte lange kein Interesse, den Staatskonzern und dessen vor allem aus Steuergeldern finanzierte milliardenteure Infrastruktur mit privater Konkurrenz unter Druck zu setzen.

Es geht bei der Frage auch um Sozialisierung von Mobilität

Verbraucherschützer wettern seit Jahren gegen die Schutzklausel, da der potenzielle Kunde dadurch genötigt werde, die Bahn, das Flugzeug oder eben gleich den eigenen Pkw zu nutzen. Es geht bei der Frage auch um Sozialisierung von Mobilität. Busse sind vor allem für jene interessant, denen der Zug zu teuer ist. "Als hätte der Gesetzgeber den Markteintritt von Pepsi-Cola mit dem Argument verhindert, es gebe ja schon Coca-Cola", hat der "Spiegel" einmal geschrieben.

Das Ehepaar Kruger steht am Busbahnhof am Funkturm in Berlin. Das bundesweite Drehkreuz. 63.000 An- und Abfahrten, circa 3,2 Millionen Fahrgäste pro Jahr. Ein charmefreies Areal mit kostenpflichtigen Toiletten, einem Kaffeeautomaten, mehr als 20 Haltestellen und einer kleinen Empfangshalle mit gelben Plastikschalensitzen und allerlei Lockangeboten an der Wand: Dresden ab neun Euro, Hannover elf Euro, München 33 Euro. Berlin hat einen Sonderstatus, der noch aus der deutschen Teilung resultiert: Es darf mit Fernbussen angefahren werden. Dank entsprechender Zukäufe hat die Bahn sich dadurch ein Busimperium aufgebaut. Mit ihrer 65-prozentigen Beteiligung an der Berlin-Linien-Bus und Bayernexpress ist die DB Fernverkehr der größte Anbieter auf Deutschlands Straßen.

Gut war die Fahrt, und vor allem billig

Im Minutentakt spucken riesige Gefährte Menschen aus: Studenten, Gastarbeiter, Rentner, aus Polen, Russland, Frankreich. Und aus Bayern. An Haltestelle 21 wird das Paar schon erwartet, Freunde haben einen Sektempfang für die Gäste vorbereitet. Stehtisch, Orangensaft und etwas Gebäck für den Besuch aus dem Süden. Gut war die Fahrt, und vor allem: billig. 80 Euro pro Person, hin und zurück. Aber lang. Gut sieben Stunden dauert die Tour. Wobei Busse auch nicht mehr das sind, was sie mal waren. Wlan, Bordtoilette, gewisse Beinfreiheit, bequeme Sitze. Was bleibt, ist Tempo 100 auf Autobahnen. Aber Herr Kruger schwärmt. "Wir Rentner haben ja Zeit", sagt er. Und überhaupt sei das alles auch viel einfacher. Nicht so kompliziert wie auf dem Flughafen oder am Bahnhof oder im Zug. Kein Umsteigen oder Hektik, alles ist klein und übersichtlich. "Vorne links sitzt einer, und wenn ich 'ne Frage habe, geh ich vor. Es sollte viel mehr Busse geben."

Das wird so kommen. Die Freigabe ist Konsens in Berlin. Das Personenbeförderungsgesetz wird nach 80 Jahren ein Update bekommen. Am vergangenen Mittwoch hat das Kabinett der Liberalisierung zugestimmt und den Weg frei gemacht für die neue Ordnung auf der Straße. Damit diese tatsächlich in Kraft tritt, muss die Gesetzesänderung nun noch vom Bundestag und dem Bundesrat abgesegnet werden, wobei dort die SPD jetzt Widerstand angekündigt hat; sie fürchtet durch die Billigbomber auf Rädern eine Verschlechterung des Schienenangebots in Randlagen.

Im Grunde mögen die Grünen die Bahn

Anton Hofreiter ist Vorsitzender des Verkehrsausschuss im Bundestag. Anton Hofreiter ist ein Grüner und hat im Verkehrsausschuss Winfried Hermann beerbt. Im Grunde mögen die Grünen die Bahn, oder besser vielleicht in diesen Tagen, sie mögen Eisenbahnen. Anton Hofreiter will mehr Busse auf deutschen Straßen, und im ersten Moment klingt das, als wollte die CSU die Kopftuchpflicht einführen. Ausgerechnet die dogmatischen Autogegner?

"Warum sollten wir dagegen sein?", fragt Anton Hofreiter: "Der Kunde profitiert, da mit dem Bus endlich eine sozialverträgliche Mobilität im Fernverkehr ermöglicht wird." Der Bahn werde das kaum schaden, da die Konkurrenz für den Bus nicht der Zug sei. "Sondern das Auto." Mehr Busse beschleunigen nicht den Verkehrsinfarkt, sondern lindern ihn. Das ist die Theorie. Und im Vergleich der Verkehrsmittel hat der Bus auf die Personenzahl umgerechnet den niedrigsten CO2-Ausstoß.

Der Bus als Verkehrsmittel der Zukunft

Man kann heute ein Billett nach, sagen wir, Dänemark kaufen und bereits in Hamburg aussteigen. Von Fall zu Fall ist das immer noch billiger. Herr Gotowala schaut zu seinem Kollegen rüber, der an der Theke lehnt und einen Kaffee trinkt. Er zwinkert. "Verdammt heiß heute, nicht?" Der Kollege nickt grinsend. Er darf dies niemandem empfehlen, und er wird es niemandem empfehlen, gleichwohl weiß jeder in der Branche, dass dies zwar nicht die Regel ist, aber mancher Sparfuchs schon selbst auf die Idee gekommen ist. "Niemand kann ja daran gehindert werden auszusteigen, wenn er sagt, dass er leider vergessen hat, die Kaffeemaschine auszuschalten."

Es klingt wie ein Anachronismus. Eine Entschleunigung des Verkehrs. Der Bus als Verkehrsmittel der Zukunft. Er hat den Charme von gestern, irgendwie ein Relikt aus alten Zeiten der Mobilität. Man denkt vor allem an Kaffeefahrten für Rentner und Landgasthöfe, wo selbigen überteuerte Heizdecken verkauft werden sollen, oder man denkt an Klassenfahrten in engen Bussen, vielleicht auch an Abi-Touren nach Lloret de Mar oder neuerdings Kroatien. Vielleicht denkt man auch noch an den "Schienenersatzverkehr" der Bahn.

860 Kilometer von Bozen nach Berlin

Aber der Bus ist krisensicher, er ist nicht schnell, aber billig, und praktisch - außer durch Staus - nicht aufzuhalten. Als der Flugverkehr von Vulkanasche aus Island lahmgelegt war, wurde der Bus unversehens zu einem medialen Star. Weil nämlich Kanzlerin Angela Merkel samt Entourage am Boden festsaß, stieg die Delegation auf den Bus um. 860 Kilometer von Bozen nach Berlin, nach sieben Stunden kam "Merkel Tours" in der Hauptstadt an. Beste PR für die Omnibuslobby.

Mit "Wir verbinden Europa", wirbt die Deutsche Touring, einer der Big Player der Busse. Von 80 Orten in Deutschland kann man 700 Destinationen in 32 Ländern erreichen. Und man kann von Mannheim nach Hamburg fahren. Mehr konnte man dem Gesetzgeber bisher nicht abringen. Bei dem Busunternehmen mit Sitz in Frankfurt steht man in den Startlöchern. Dort rechnet man damit, dass von Frühjahr 2012 an der Verkehr frei gegeben ist. Sie wollen dann alle Großstädte miteinander vernetzen, Dutzende neue Linien mit günstigen Preisen und ansprechenden Abfahrtszeiten ins Programm aufnehmen, um noch attraktiver für, zum Beispiel, Wochenendpendler zu werden. Man geht von einem zusätzlichen Volumen von mehren Hundert Millionen Euro in der Branche aus.

Wer von Stuttgart nach Berlin möchte, kann dies seit März dieses Jahres. Immerhin. Der Bayernexpress (Bex), in Besitz der Bahn, bietet mittlerweile die Strecke an. Der Weg in die Hauptstadt führt über Hof. Ein Ticket nach Hof für 22 Euro, ein zweites Ticket dann von Hof nach Berlin für 32 Euro. Macht 54 Euro und zwei Tickets. Absurd, sagt Herr Gotowala am Ticketschalter, aber so seien eben die Gesetze. Noch.

Der Markt ist in Bewegung

Prozess: Einen ersten Rückschlag musste die Deutsche Bahn schon dieses Jahr hinnehmen. Drei junge Unternehmer kamen auf die Idee, eine Art Bus-Fahrgemeinschaft ins Leben zu rufen, das Internetportal „deinbus.de“. Finden dort genügend Mitreisende zusammen, wird beispielsweise ein Bus von Köln nach Hamburg gechartert – eine Idee, die schnell Zuspruch fand. Da es keinen festen Fahrplan gibt, konnte das geltende Gesetz umgangen werden. Die Bahn wollte sich der Konkurrenz per Gericht entledigen – unterlag jedoch.

Bahn: Entgegen den Erwartungen will die Bahn nicht stärker in das Busgeschäft einsteigen. „Aufgrund der zu erwartenden Wettbewerbssituation“ habe man beschlossen, dass sich die Bahn auf ihr Kerngeschäft konzentrieren wolle. Man nehme daher Abstand von „Investitionen in einem unsicheren Marktsegment“.