Dieter Ertel hat vier Jahrzehnte Fernsehgeschichte erlebt und war einer der ersten Förderer des bekannten Humoristen.

Riedenberg - Das Glück kam per Zeitungsanzeige. 22 Jahre jung war Dieter Ertel damals, ein waschechter Hamburger Jung, mit ein paar Semestern Studium in der Tasche. Man schrieb das Jahr 1949, und die Neue Deutsche Wochenschau – seinerzeit die erste Kino-Wochenschau nach dem Krieg – suchte einen Mitarbeiter. 120 junge Burschen bewarben sich. „Aus irgendwelchen schicksalhaften Gründen hat man mich genommen“, erzählt Ertel. Und das, obwohl der junge Mann bis zu diesem Zeitpunkt lediglich einige Artikel für eine Studentenzeitung geschrieben hatte. Ertel blieb, schrieb Texte für die Sendung und bekam fortan 100 Mark im Monat.

 

Das war der Beginn einer wunderbaren Karriere beim Fernsehen, die den Hamburger mehr als 40 Jahre durch Stationen in der ganzen Republik führte. Heute ist Dieter Ertel 85 Jahre alt; seit mehr als zehn Jahren lebt er zusammen mit seiner Frau Hildegard im Riedenberger Wohnstift Augustinum. An seine großen Zeiten hinter den Kameras erinnert er sich gerne zurück.

Ertel war erst beim „Spiegel“, dann beim damaligen SDR

Denn bei der Wochenschau, bei der Ertel erst den Sport übernahm und später alle Texte schrieb, ist es nicht geblieben. Über eine Bekanntschaft seines Chefs mit Rudolf Augstein kam Ertel zum „Spiegel“ als Sportredakteur, wo er unter anderem über den mehrfachen Olympiasieger im Springreiten, Hans Günter Winkler, schrieb.

Bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin freilich hielt es den aufstrebenden Journalisten nicht lange. „Fernsehen war das aufregende neue Medium, das wollte ich unbedingt machen“, erzählt er. Ideale Bedingungen dafür fand Dieter Ertel beim damaligen Süddeutschen Rundfunk (SDR) in Stuttgart. „Da gab es gute, aufgeschlossene und intelligente Leute“, sagt er über die damaligen Fernsehmacher, die später als „Genietruppe“ in die Geschichte eingingen und zu denen unter anderem auch Martin Walser gehörte. Also siedelte Ertel 1955 mit Sack und Pack nach Ludwigsburg über.

Vom Dokumentarfilmer zum Loriot-Förderer

Zunächst wurde der Neue damit betraut, die Tagesschau zusammenzustellen. Als er später eine kritische Dokumentation über einen Boxkampf in Stuttgart drehte, wurde Martin Walser auf den Nachwuchsjournalisten aufmerksam – und betraute ihn mit der Aufgabe, fortan die Reihe „Zeichen der Zeit“ zu leiten. Für Ertel war das eine gewaltige Umstellung: „Während die Storys für die Wochenschau noch möglichst heiter sein sollten, führte die Linie des SDR dazu, Zeitkritik zu üben.“

Dennoch kam der Humor bei Ertel nicht zu kurz. Aus seinem Faible für Comic-Zeichnungen entwickelte sich die Reihe „Cartoon“, in der sich Karikaturisten dem Fernsehpublikum vorstellten. Ertel selbst brachte es die Bekanntschaft mit einem damals noch weitgehend unbekannten Zeichner ein, der später Deutschlands bekanntester Humorist werden sollte: Vicco von Bülow alias Loriot. „Wir brauchten damals einen Redakteur, um ‚Cartoon‘ zu leiten. Ich kannte Loriot von seinen Zeichnungen und aus Nebenrollen im Film. Also habe ich ihn in seinem Haus am Starnberger See besucht und bei ihm angefragt“, erzählt Ertel.

Ertel verband eine gute Freundschaft mit dem Humoristen

Der sagte nach einer kurzen Bedenkzeit zu und bekam einen Raum im Keller des SDR – mit einem Sofa darin, das zum Markenzeichen in seinen Sendungen wurde. Schnell kam der Erfolg, und Loriot wurde einem breiten Publikum bekannt.

Mit Dieter Ertel verband den 2011 verstorbenen Künstler zeitlebens eine gute Freundschaft. „Wir sind immer blendend miteinander ausgekommen“, sagt Ertel. Mitunter war der Sketch-Autor, den Ertel als stets heiteren, hoch professionellen und dabei ausgesucht höflichen und gebildeten Gesprächspartner beschreibt, bei dem Journalisten und dessen Frau zu Gast zum Essen. „Wir haben uns gebogen vor Lachen, selbst wenn es um ernste Themen ging. Loriot war ein glänzender Unterhalter“, beschreibt Hildegard Ertel die Treffen.

Ertel entwickelte die Talkshow „3 nach 9“

Sechs Jahre lang dauerte die Zusammenarbeit beim SDR, dann wechselte Dieter Ertel 1974 als Fernsehdirektor zu Radio Bremen. Loriot folgte dem Freund mit der Begründung: „Wenn mich ein Bremer fragen würde, wer das denn sei, dieser Dieter Ertel, und ich müsste mich kurz fassen, dann würde ich sagen: ein Glücksfall.“

An seinem neuen Wirkungsort entwickelte Ertel unter anderem die Sendung „3 nach 9“, die 1976 mit dem Adolf-Grimme-Preis in Bronze ausgezeichnet wurde. Die gibt es immer noch, inzwischen gilt sie als dienstälteste deutsche Talkshow. Ertel holte Showgrößen wie Rudi Carrell oder den österreichischen Pianisten Alfred Brendel in seine Sendungen und bleib lange bei der ARD als Koordinator für die Unterhaltung zuständig. Nach einem kurzen Zwischenstopp beim Westdeutschen Rundfunk im Jahr 1979 beschloss Dieter Ertel seine Karriere schließlich von 1980 bis 1988 beim Südwestfunk in Baden-Baden.

Am Fernsehen heute gefallen ihm die vielen Krimis nicht

Dass es ihn und seine Frau letztlich nach Riedenberg verschlagen hat, liegt zum einen daran, dass die Ertels sich das Augustinum bewusst als Alterssitz ausgesucht haben. Zum anderen an der Liebe des Ehepaares zum Schwarzwald, wo die beiden seit den 70er Jahren ein Ferienhaus besitzen. „Wir sind also in Baden-Württemberg schon lange verankert“, sagt Dieter Ertel.

Wenn er heute den Fernseher einschaltet, sieht der 85-Jährige viele Veränderungen, die ihm nicht unbedingt gefallen. Zum Beispiel „die regelrechte Überschwemmung mit Kriminalfilmen, die früher undenkbar und so auch nicht gewollt gewesen wäre“. Auch das Fehlen von Dokumentationen zur besten Sendezeit fällt dem erfahrenen Fernsehmann schmerzlich auf. Vor allem eine Sache aber vermisst Dieter Ertel am deutschen Fernsehen, die ihm keiner ersetzen kann: „Es gibt einfach keinen Loriot mehr.“