Der eigenwillige Sportreporter Marcel Reif ist attackiert worden. Das wirft ein schräges Licht auf die Fußballszene, in der kritiklose Beobachtung mittlerweile weitgehend zur Geschäftsgrundlage gehört.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Und dann saß der Sky-Fußballkommentator Marcel Reif im Auto auf dem Weg ins Stadion, und die Leute auf dem Weg rüttelten von draußen dran. Und dann ging er zur Kabine, und die Leute ließen volle Bierbecher hinunter hageln. Und dann saß er in der Kabine, und die Leute hauten auf die Scheiben. In Dortmund am vergangenen Samstag und in Dresden, wo der BVB unter der Woche das Pokalspiel auswärts hatte. Das ist neu jetzt, und man kommt ins Grübeln.

 

Abneigungen von Teilen des Dortmunder Publikums gegenüber dem heute 64-jährigen Reif datieren zurück in die neunziger Jahre. Damals arbeitete Reif für RTL und kommentierte die Champions-League-Spiele von Borussia Dortmund. Einmal bat er, gerne sarkastisch formulierend, den damaligen Trainer Ottmar Hitzfeld, sich bitte fürs zuvor gezeigte Spiel zu entschuldigen, wenn er, Reif, im Gegenzug verspreche, eben dieses Spiel gleich wieder zu vergessen. Daraufhin sah er sich bei den folgenden Heimspielen mit Sprechchören konfrontiert: „Schwuler, schwuler Marcel Reif“. Tausendfach gesungen.

Das entbehrte sachlich jeder Grundlage, wie auch jetzt, auf einem anderen Niveau, die mittlerweile mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgenommene Bemerkung des Dortmunder Trainers Jürgen Klopp: „Marcel Reif findet in seinem Leben sowieso nichts mehr witzig.“

Der Batman-Jubel: „Für solchen Quatsch bin ich zu alt“

Nicht witzig gefunden hatte Reif, dass sich Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus nach dem ersten Tor gegen den FC Schalke 04 mit bereit gelegtem Batman-Kopfschmuck zeigten. Im Original hieß der Reif’sche Kurzkommentar: „Für solchen Quatsch bin ich zu alt.“ Das war in der Sache deutlich, aber selbstironisch war es auch.

Marcel Reif – seit anderthalb Jahren übrigens Schweizer Staatsbürger – hatte in der Sportberichterstattung schon immer eine seltsam schillernde Außenseiterrolle. In Polen geboren als Sohn eines Juden und einer katholischen Mutter ging er mit den Eltern über Tel Aviv nach Kaiserslautern, spielte sehr ordentlich Fußball (beim 1. FC, dem seine Leidenschaft als Fan bis heute gilt, nicht dem FC Bayern) und kam in Mainz beim ZDF-Fernsehen – ein eher seltener Weg – über die Politik zum „Sport-Spiegel“.

Dort passierte das Gegenteil der heute meist üblichen Sportberichterstattung: Man sah oft Zerrbilder des Metiers, die jetzt durchweg geschönt werden. Reif kommentierte damals drastischer als heute im Stadion. Als Fußballreporter konservierte er wiederum einen eigenen Ton: er konnte immer noch grundbegeistert sein von der Schönheit des Sports und abgrundtief angeödet von ästhetischer Verflachung. Abständiger als der Fußball-WM-Kommentator Reif 2002 den Namen „Ziege“ (Christian, DFB-Spieler, hernach Vizeweltmeister) aussprach, ging es kaum.

Der Sport braucht mehr denn je gute, faire Beobachter

Reif (über)kultivierte seine Ausnahmestellung jedoch auch – äußerlich bis hin zum Einstecktuch und der Cohiba danach. Schließlich wusste er – als vergleichsweise astronomisch bezahlter Chefreporter, Grimmepreisträger und Mann der Werbung zugleich – jenseits des Reporterplatzes manchmal nicht mehr recht zu unterscheiden, wohin er gehörte. War er jetzt doch mehr Gesellschaftslöwe respektive Freund von Franz (Beckenbauer) und dessen Passt-schon-Prosa oder immer noch intelligent-intellektueller Analytiker der Geschehnisse auf dem Platz?

Vermutlich endet gerade einfach die Zeit von Reif und einigen seiner Kollegen, die sich in der Selbsteinschätzung schon auch häufig sehr wichtig genommen haben: die großen Fußballvereine organisieren immer beflissener eine Eigenberichterstattung wie zum Beispiel ihr eigenes Net-Radio selbst (in Dortmund ohrenbetäubend einseitig befeuert von Norbert Dickel, Ex-Spieler und Stadionsprecher), oder gleich ein Club-Fernsehen (Vorbild: Real Madrid), das von einem objektivierenden Ansatz nichts mehr wissen will. Dabei braucht der Sport mehr denn je gute, faire Beobachter. Gerade, wenn man ihnen die Sicht nehmen will.