Dank der Fußball-Europameisterschaft und Olympia könnten die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF am Jahresende bei den Zuschauerzahlen die Nase vorn haben. Die private Konkurrenz bleibt gelassen.

Stuttgart - Brütende Hitze liegt über dem Land. Die Menschen suchen Zuflucht in Freibädern und schattigen Biergärten. Unter dem veränderten Freizeitverhalten leidet vor allem eine Beschäftigung, der die Deutschen neben Schlaf und Arbeit die meiste Lebenszeit widmen: das Fernsehen. Die durchschnittliche TV-Nutzung sinkt im Sommer um fast eine Stunde. Das Abendprogramm erreicht ohnehin weniger Menschen: Im Winter liegt die Zahl aller TV-Zuschauer in der Zeit zwischen 20 und 21 Uhr, der Stunde mit den höchsten Einschaltzahlen, bei insgesamt knapp 35 Millionen. Im Sommer verschiebt sich der Spitzenwert um eine Stunde nach hinten, aber selbst dann sitzen weniger als 30 Millionen Menschen vor den Fernsehern.

 

Es sei denn, es ist Europameisterschaft. ARD und ZDF machen in diesen Tagen traumhafte Quoten. Das Vorrunden-Endspiel zwischen Deutschland und Dänemark (ARD) hatte offiziell knapp 28 Millionen Zuschauer, aber im Grunde ist diese Zahl viel zu niedrig, weil viele Millionen den Fußballkrimi in Kneipen oder auf Fanmeilen und bei anderen öffentlichen Vorführungen gesehen haben. Auch Spiele ohne deutsche Beteiligung kommen regelmäßig auf zweistellige Millionenzahlen.

In London finden die Höhepunkte zur besten Sendezeit statt

Mit entsprechend guter Laune werden die Verantwortlichen bei ARD und ZDF in diesen Tagen die Quotenübersichten studieren, denn normalerweise ist gegen RTL kein Kraut gewachsen. Allein sportliche Großveranstaltungen können den beiden öffentlich-rechtlichen Systemen noch dazu verhelfen, dem Dauermarktführer die Spitzenposition streitig zu machen; nicht bei Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren, die für Privatsender allein selig machend sind, aber immerhin beim Gesamtpublikum. In diesem Jahr stehen die Chancen besonders gut, denn vier Wochen nach dem Ende der „Euro 2012“ beginnen die Olympischen Spiele. Dass sie in London stattfinden, macht sie nicht nur wegen der geografischen Nähe so reizvoll: Anders als 2008 in Peking werden die olympischen Höhepunkte zur besten deutschen Sendezeit übertragen.

Ohnehin ist es zu keiner Zeit im Jahr derart leicht, Topquoten zu erzielen, denn im Sommer fahren alle Sender nur noch mit Standgas. Die Monate Juni bis August bieten eine überlebenswichtige Entlastung der Etats, denn Wiederholungen sind naturgemäß deutlich preiswerter als Erstausstrahlungen. Bei kommerziellen Sendern amortisieren sich eigenproduzierte Fernsehfilme in der Regel erst bei der zweiten oder dritten Ausstrahlung; es sei denn, es ist Europameisterschaft. 74,2 Prozent aller TV-Zuschauer haben im Ersten das Spiel gegen die Dänen gesehen. Die Konkurrenzsender mussten sich die restlichen 25,8 Prozent teilen; bei zwei Dutzend Voll- und Spartenprogrammen bleibt da im Einzelnen nicht viel übrig.

Die Quote wird teuer bezahlt

Hinterfragen aber darf und soll man das Quotenspektakel trotzdem, zumal das Verfallsdatum solcher Ereignisse identisch mit dem Ausstrahlungsdatum ist: Im Gegensatz zu Filmen, Serien oder Dokumentationen werden Fußballspiele in der Regel nicht wiederholt. Kritiker wenden zudem ein, der Erfolg für ARD und ZDF sei gekauft und mit angeblich 110 Millionen Euro auch teuer bezahlt; schließlich werden die Übertragungen der Fußballspiele vom Veranstalter Uefa produziert. Der Beitrag der Sender reduziert sich auf die Kommentare der Reporter in den Stadien. Und die Partien sind ja nur die eine Seite der Medaille.

Die Kehrseite ist das mitunter ausufernde Rahmenprogramm; seit dem Ende der Vorrunde ist es doppelt so lang wie die jeweilige Übertragung. Diese Rundumberichterstattung hat ebenfalls stolze Zuschauerzahlen, und das zu Recht, wie der ZDF-Sprecher Alexander Stock findet: „Eine gute Sportberichterstattung ist immer auch eine redaktionelle und produktionstechnische Leistung.“ Auch ARD-Programmdirektor Volker Herres freut sich über die „großartige Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen vor Ort“.

RTL bleibt zuversichtlich

Allerdings kennt die Quote nur Schwarz oder Weiß, eins oder null. Ist sie hoch, muss die Sendung gut gewesen sein. ARD und ZDF können sich also nur rein quantitativ bestätigt fühlen. Trotzdem räumt Herres freimütig ein, die eindrucksvollen Zuschauerzahlen verursachten so etwas wie Glücksgefühle: „Natürlich freue ich mich sowohl als Programmdirektor wie auch als bekennender Fußballfan über die Begeisterung des Publikums.“ Stocks Reaktion fällt dagegen etwas unterkühlt aus, obwohl das deutsche Vorrundenspiel gegen Holland nur unwesentlich weniger Zuschauer hatte als die Partie gegen Dänemark: „Jeder Fernsehmacher freut sich, wenn seine Programme auf großen Zuspruch stoßen.“ Beide Sendervertreter weisen allerdings von sich, am Ende des Jahres um jeden Preis die Nase vorn haben zu wollen. „Marktführerschaft war und ist kein Ziel des ZDF“, betont Stock. Auch für Herres ist dieses Ziel „nicht so wichtig wie ein Programm, das für Quote und Qualität steht“. Tatsächlich tun beide gut daran, kleine Brötchen zu backen, denn beim Konkurrenten RTL ist man trotz der herausragenden EM-Zahlen guter Dinge, auch das Jahr 2012 wieder als Klassenbester zu beenden – beim Kernpublikum sowieso, aber auch in der Statistik „Zuschauer ab 3 Jahre“.

Jan Peter Lacher, der RTL-Bereichsleiter Programmplanung, räumt zwar ein, in diesen Tagen nach Spielen der deutschen Mannschaft beim morgendlichen Studium der Zuschauerzahlen schlucken zu müssen, doch abends sei er in erster Linie Fan und freue sich über den Erfolg des Teams. Mit der Vorrunde und den Doppelspieltagen hat die Konkurrenz zudem das Schlimmste überstanden. Lacher ist sogar zuversichtlich, trotz EM auch den Juni dank der guten Zahlen an den Nachmittagen und am Vorabend als Marktführer in der Kernzielgruppe zu beenden: „Bis zum Anstoß lagen wir an jedem Spieltag vorn.“