Helmut Zierl feiert im Alten Schauspielhaus in Stuttgart als Willy Loman im „Tod eines Handlungsreisenden“ Premiere. Im Interview spricht er über einen Präsidenten, der den amerikanischen Traum zerstört, und die Gefahr von Schubladen.

Stuttgart - Wenn man den Fernseher einschaltet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, Helmut Zierl zu sehen. Meistens als Sunnyboy und Sympathieträger, manchmal auch als Mörder. Jetzt spielt der 62-jährige Darsteller im Alten Schauspielhaus in Stuttgart den mit Lebenslügen beladenden Willy Loman, die Hauptfigur in Arthur Millers Drama „Tod eines Handlungsreisenden“.

 
Herr Zierl, Sie sind im deutschen Fernsehen seit mehr als vierzig Jahren gut im Geschäft – warum spielen Sie wieder Theater?
Ich war bis 1982 Ensemblemitglied im Thalia-Theater in Hamburg und bin mit einem großen Krach gegangen. Damals dachte ich: Theater? Nie wieder! Dann habe ich es 2005 noch einmal versucht und gemerkt, das ist nicht mehr meins. Wenn man zwanzig Jahre lang nur gedreht und Mikrofon und Großaufnahme als Mittel zu schätzen gelernt hat, erscheint einem dieser Bühnenton, bei dem man so überdeutlich sprechen muss, befremdlich. Aber dann hat mir Joachim Landgraf, der Tourneetheater macht, ein tolles Stück geschickt, „Die Wahrheit“ . . .
. . . mit dem Sie im vergangenen Sommer auch in Stuttgart in der Komödie im Marquardt zu sehen waren.
Ja, insgesamt haben wir das Stück deutschlandweit 250 mal gespielt.
Und Sie sind wieder auf den Geschmack gekommen.
Total. Vier Jahre lang waren wir jeden Winter mit diesem Stück unterwegs. Dann bot Joachim Landgraf mir ein Stück von Moritz Rinke an, „Wir lieben und wir wissen nichts“, intellektuell und trotzdem komödiantisch. Damit hatte er mich wieder an der Angel. Danach wollte ich eigentlich erst mal mit dem Theater pausieren, denn nichts ist gefährlicher für einen Schauspieler als die Schublade: Ach, der dreht nicht mehr, den brauchen wir nicht mehr zu fragen. Doch dann hat mich der Landgraf doch wieder überzeugt.
Jetzt spielen Sie Willy Loman im „Tod eines Handlungsreisenden“, einen Vertreter für Damenunterwäsche.
Das Stück hat mich nie los gelassen: Ich habe damals in der Schauspielschule den Biff vorgesprochen, Lomans Sohn, eine ideale Vorsprechrolle. Willy Loman ist im Stück 63, ich werde in diesem Jahr genauso alt. Es gibt in jedem Alter Rollen, die genau auf einen zugeschnitten sind, die passen. Diese Rolle ist jetzt ein Meilenstein. Und das Alte Schauspielhaus ist ein großartiges Theater mit einer tollen Akustik.
Dort müssen Sie jetzt an vielen Abenden eine lange Strecke spielen – als Hauptfigur.
Beim „Handlungsreisenden“ sind es mehr als hundert Seiten Text. Ich habe immer ein Riesenlampenfieber und einen mörderischen Respekt vor jedem Auftritt. Jedes gesprochene Wort, jeder Versprecher ist draußen, und dieser Willy Loman schwebt in vielen Sphären. Aber wenn es gelingt, dann ist das virtuos. Ich muss da jetzt durch.
Willy Loman verliert seinen Job und sieht als letzten Ausweg nur noch den Selbstmord. Welche Aktualität besitzt dieses knapp siebzig Jahre alte Drama für Sie?
Als das Stück 1948 in Amerika entstanden ist, herrschte eine große Rezession. „Die Konkurrenz ist mörderisch“, „der Wettbewerb ist Wahnsinn“ – das sind Sätze, die Loman spricht. Dieser wahnsinnige Wettbewerb hat sich über die letzten siebzig Jahre hinweg im Grunde genommen verselbstständigt, weltweit. Die Leistungsgesellschaft, die Wettbewerbsgesellschaft prägt uns.
„Der Tod eines Handlungsreisenden“ ist auch eine bittere Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, dass jeder alles erreichen kann, wenn er sich nur genug anstrengt.
Und jetzt hat Amerika einen Präsidenten, der diesen amerikanischen Traum zerstört, indem er Mauern baut und Religionsgemeinschaften ausschließt. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – von wegen. Es ist ein Skandal, dass Trump, der sich nur mit Milliardären umgibt, dieses Riesenland regieren soll. Der hat doch überhaupt keinen Kontakt zur Basis.