Stadt und SWR trafen sich am Dienstag zum Spitzengespräch. Nun soll ein Gutachter untersuchen, ob man in dem 1956 erbauten Fernsehturm nachträglich die Fluchtwege so gestalten kann, dass sie den heutigen Ansprüchen an den Brandschutz genügen.

Stuttgart - Es ist ein Spitzengespräch im wahrsten Wortsinne gewesen. Vertreter der Stadtverwaltung und des SWR kamen am Dienstag im Fernsehturm zusammen, um über das Brandschutzdilemma des Stuttgarter Wahrzeichens zu diskutieren. Nach der Begehung einigte man sich, dass die Verwaltung dem OB und der Sender dem Intendanten Peter Boudgoust nächste Woche in einem weiteren Gespräch vorschlagen sollen, gemeinsam einen unabhängigen Gutachter zu bestellen. Dieser soll untersuchen, ob man in dem 1956 erbauten Fernsehturm nachträglich die Fluchtwege so gestalten kann, dass sie den heutigen Ansprüchen an den Brandschutz genügen. Der Fernsehturm ist am Gründonnerstag für Besucher geschlossen worden, weil Mitarbeiter des Baurechtsamts darauf aufmerksam gemacht hatten, dass es keinen zweiten Rettungsweg ins Freie gibt. Die Landesbauordnung schreibt seit dem Jahr 1984 vor, dass es zwei baulich voneinander getrennte Fluchtwege geben muss.

 

Der SWR sei davon ausgegangen, dass der aufwendige installierte technische Brandschutz ausreichend sei. Die Vertreter der Stadt – die Baurechtsamtsleiterin Kirsten Rickes, der Feuerwehrchef Frank Knödler, der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer und sein Referent Hermann Karpf – seien nach dem zweistündigen Rundgang erneut zu der Ansicht gekommen, dass der bauliche Brandschutz, sprich die Rettungswege, nicht ausreichend seien. So fasste der Sprecher des OB, Andreas Scharf, das Gespräch zusammen.

„Wir sind willens, eine Lösung zu schaffen“, sagte Siegfried Dannwolf, der Geschäftsführer des Eigentümers SWR Media Services GmbH, nach dem Spitzentreffen. Jedoch stelle sich für den öffentlich-rechtlichen Sender die Frage der Finanzierbarkeit. „Wichtig für uns ist, dass wir nicht in ein Defizit rutschen.“ Wenn die Schaffung der Fluchtwege aber so teuer werden würde, dass der SWR mit dem Betrieb des Turms Verluste machen würde, „dann hoffen wir auf finanzielle Hilfe von der Stadt“.

Das Gespräch auf dem Fernsehturm war ein Teil der von Oberbürgermeister Kuhn angekündigten „offenen und schonungslosen Aufarbeitung der Brandschutzgeschichte“ des Fernsehturms. Über diese Historie ist bislang nur bekannt, dass zumindest die Feuerwehr seit Jahren ein Dokument vorliegen hatte, dem zu entnehmen war, wie es um die Fluchtwegesituation bestellt ist. Aufgrund des Fehlens eines zweiten Fluchtwegs war ein 30 Seiten starkes Einsatzkonzept erarbeitet worden, das genaue Handlungsanweisungen für den Notfall enthält. „Das Risiko war immer schon da“, sagt Frank Knödler, der Chef der Feuerwehr. Geändert habe sich nur „die Risikowahrnehmung“.

Seit 30 Jahren ist also klar, dass der Turm die Anforderungen nicht erfüllt. Das hätte bei den Brandverhütungsschauen, die alle fünf Jahre stattfinden, erkannt werden können, denn laut Unterlagen der Landesfeuerwehrschule müssen dabei auch die Fluchtwege geprüft werden. OB Fritz Kuhn hatte dagegen vergangene Woche betont, es werde dabei nur kontrolliert, ob die vereinbarten Auflagen eingehalten würden.

Brandschutz spielte bisher schon dominierende Rolle

„Die Vertreter der Stadt haben bestätigt, dass wir sehr umfangreiche Maßnahmen zum technischen Brandschutz getroffen haben“, sagte der Geschäftsführer Siegfried Dannwolf nach dem Treffen. Bei allen Gesprächen mit dem Baurechtsamt und der Branddirektion in den vergangenen Jahren habe der Brandschutz eine dominierende Rolle gespielt, sagte er.

Im Fernsehturm sei alles so gestaltet worden, dass es kaum noch brennen könne. Zigaretten und Kerzen waren verboten. Tische und Stühle waren in einem Forschungsinstitut erprobt worden. Alle Kabel in Kanzel und Schacht brennen kaum und sondern keine gefährlichen Dämpfe ab.

Sollte dennoch ein Feuer ausbrechen, so schlägt einer der 320 angebrachten Sensoren Alarm. Ein Löschwassersystem wird ausgelöst, das erst 2011 stark verbessert worden ist. Die beiden Fahrstühle sind so gebaut, dass sie im Brandfall mindestens 30 Minuten weiter betrieben werden können.

Auch bei der 2011 abgeschlossenen Sanierung hätten viele Elemente des Brandschutzes eine Rolle gespielt, sagt Dannwolf. Er kann deshalb nicht verstehen, weshalb zwei Jahre später alles ganz anders interpretiert wird. Fritz Kuhn sieht das anders: „Die damaligen Maßnahmen stehen in keinem Zusammenhang mit der aktuellen Schließung des Turmes“, so der OB.

Nach der Erinnerung von Frank Knödler und Siegfried Dannwolf hat es in den vergangenen 57 Jahren nur ein einziges Mal einen Brand am Fernsehturm gegeben: In einem Technikschrank im Erdgeschoss sei an einem Kabel ein Schwelbrand ausgebrochen, der aber von selbst ausgegangen war, bevor die Feuerwehr eintraf. Dagegen musste der Fernsehturm tatsächlich schon einmal evakuiert werden, allerdings nicht wegen eines Brandes: Beim Sturm Lothar, am 26. Dezember 1999, hat der Turm so geschwankt, dass die Aufzüge nicht mehr benützt werden konnten. Die Besucher einer Single-Party wurden über die bestehende Treppe nach unten geführt.

Stefan Kaufmann, der Chef der Stuttgarter CDU, hat am Ostermontag von einem „Kommunikationsdesaster“ des grünen Oberbürgermeisters gesprochen. Dass Gastronomen und Beschäftigte im Fernsehturm erst aus den Medien von der Schließung erfahren hätten, sei nicht hinnehmbar: „Schutz von Leib und Leben muss in der Tat im Vordergrund stehen. Dennoch müssen sich der OB und die Verwaltungsspitze fragen lassen, ob eine derart überstürzte Schließung wirklich notwendig war“, so Kaufmann. Er mahnte erneut ein unabhängiges Gutachten an. „Das ist kommunikativ nicht glücklich gelaufen“, rügt auch der City-Manager und stellvertretende SPD-Fraktionschef Hans Pfeifer den OB für dessen Vorgehen.