Nein, die sofortige Schließung des Fernsehturms ist kein verfrühter Aprilscherz: Das Stuttgarter Wahrzeichen hat keinen Rettungsweg ins Freie. Ob nachgerüstet werden kann, ist unklar.

Stuttgart - Der neue Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hat mit sofortiger Wirkung die Schließung des Fernsehturms auf unbestimmte Zeit angeordnet. Das gelte schon von diesem Donnerstag an, nur noch Techniker dürften ihn betreten. „Bei einem Brand würde der Fernsehturm zu einer lebensbedrohenden Falle für die Besucher“, sagte er bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz, deren Inhalt er bis Sitzungsbeginn geheim halten wollte. Eine Evakuierung würde, sofern überhaupt möglich, mindestens eine Stunde dauern, so Kuhn.

 

„Ich bin in engem Kontakt mit dem Intendanten des Südwestrundfunks, Peter Boudgoust“, sagte der OB. Beim SWR gab man sich aber überrascht. Die kurzfristige Schließung aus Sicherheitsgründen „trifft uns völlig unvorbereitet“, sagte Siegfried Dannwolf, der Geschäftsführer der SWR Media Services GmbH, die den Fernsehturm betreibt. Er erinnerte daran, dass der Brandschutz im Zuge der millionenschweren Turmsanierung erst 2011 auf den neuesten Stand gebracht worden sei – eine aus heutiger Sicht überflüssige Investition. Der Fall könnte deshalb juristisch relevant werden.

„Diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen“

Es mangele bereits am „ersten Fluchtweg“, sagt der Chef der Stuttgarter Feuerwehr, Frank Knödler. „Stellen Sie sich vor, es stirbt auch nur ein Mensch, weil wir beide Augen zugedrückt hätten. Diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen“, sagte Knödler „nach einer schlaflosen Nacht.“ Ob der Turm überhaupt jemals wieder für Besucher geöffnet werden kann, ist derzeit ungewiss. Um den Brandschutzvorschriften zu genügen, müsste wenigstens das Treppenhaus im Schacht eingehaust werden – auf 200 Meter Höhe. Die kaum mannsbreite Fluchttreppe ist eigentlich dem technischen Personal vorbehalten. Der Eingang ist nichts für Übergewichtige, die Treppen ebenso wenig.

Schon 1998 hatten Feuerwehr, Stadt und Vertreter des SWR das Fluchtthema erörtert, waren aber trotz des Fehlens zweier unabhängiger Rettungswege zum Schluss gekommen, der Turm sei sicher. Der 1999 verstorbene Erbauer Fritz Leonhardt habe, so Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD), einst eingeräumt, mit dem Brandschutz sei es nicht weit her. An Fluchtwege habe man beim Bau Mitte der 1950er Jahre nicht gedacht.

„Das ist der erste wirklich schwierige Tag für mich als Oberbürgermeister. Aber ich konnte nicht anders handeln, denn der Turm darf nicht zu einer Todesfalle für bis zu 200 Menschen werden“, sagte Fritz Kuhn. Er habe sich von den Fachleuten des Baurechtsamts und der Feuerwehr überzeugen lassen, dass der Fernsehturm „eine lebensbedrohliche Falle“ darstelle. Warum der fehlende Fluchtweg erst im 57. Jahr nach dem Turmbau Konsequenzen nach sich zieht, begründete der Rathauschef mit der „Neubewertung des Brandschutzes und des Sicherheitsrisikos“. Er deutete an, dass mittlerweile strenger auf die Einhaltung der sehr viel enger gefassten Richtlinien geachtet würde.

Das Bauwerk soll baldmöglichst wieder nutzbar sein

Konkret hatte das im Turm spielende „Theater über den Wolken“ offenbar eine neue Genehmigung beantragt, die eine Brandschau zur Folge hatte. Diese ist alle fünf Jahre vorgeschrieben, allerdings wird wohl nur darauf geachtet, dass die Vorschriften der Baugenehmigung eingehalten werden. Nun aber, so die Baurechtsamtsleiterin Kirsten Rickes, hätten Mitarbeiter ihrer Behörde, die mit dem Turm bisher nichts zu tun gehabt hätten, genau hingeschaut, wobei ihnen das Fehlen der Fluchtwege aufgefallen sei. Am Montag habe man zusammengesessen und die Auswertung erörtert, so Kuhn. Mit Bezug auf den Paragrafen 58, Absatz 6 der Landesbauordnung sah er sich gezwungen, wegen „Gefahr im Verzug die Benutzung der baulichen Anlage zu untersagen“. Er verwies auf Entscheidungen anderer Kommunen, ihre Türme zu schließen oder umzubauen (siehe „Das gleiche Problem an anderen Orten“). Der Bahnhofsturm sei unproblematisch, weil er über zwei Treppenhäuser verfüge.

Er werde mit dem Betreiber Lösungen suchen, „die die aktuellen Bedenken außer Kraft setzen“. Der SWR kündigte an, „zu prüfen, wie wir die für uns neuen und nicht absehbaren Auflagen erfüllen können und ob ein wirtschaftlicher Betrieb überhaupt noch möglich ist“. Das Ziel sei es, „das einzigartige Bauwerk sobald als möglich wieder voll nutzbar zu machen“. Man hoffe auf ein konstruktives Mitwirken der Stadt.

„Heute ist doch nicht der 1. April“

Dem Sender fehlt nach eigenen Angaben die Stellungnahme der Branddirektion. Zuvor war der SWR davon ausgegangen, dass es keine gravierenden Bedenken gebe – nach einer Begehung des Turms habe die Stellungnahme der Brandschutzdirektion zwar noch ausgestanden, es habe aber bis gestern kein Hinweis auf gravierende Bedenken gegeben.

Auch die Betreiber der Gastronomie im Fernsehturm wurden von der Schließung völlig überrascht. Sie waren von der Stuttgarter Zeitung informiert worden. Marc Mettler, Personalleiter des Restaurants Unten und des Cafés Oben sagt: „Das ist für uns natürlich der betriebswirtschaftliche Super-GAU direkt vor dem Ostergeschäft.“ Vor allem das Café-Geschäft sei wichtig. Das Restaurant im Eingangsbereich des Fernsehturms solle weiter betrieben werden. Die Informationspolitik bezeichnete er als „kurios“, offiziell wisse er noch gar nichts. So erging es auch dem Turm-Personal. „Heute ist doch nicht der 1. April“, sagte ein Fahrstuhlführer. Über den voraussichtlichen Verlust seines Arbeitsplatzes wollte er verständlicherweise nicht von Dritten unterrichtet werden.

„Für uns ist das ein Riesenproblem“, sagt auch Manfred Langner, der Intendant der Schauspielbühnen. Das „Theater über den Wolken“ habe sechs ausverkaufte Vorstellungen der schwäbischen Lesung „Was d’Leut so rausschwätzet“, „die wir jetzt verlegen müssen“– der nächste Termin wäre der kommende Dienstag gewesen. Zwei Vorstellungen werden nun ersatzweise in der Komödie im Marquardt stattfinden, am 21. und 22. April. „Für uns kam das aus heiterem Himmel“, sagt Langner.