Die Stadt glaubt, einen Anspruch auf die Herausgabe des Fernwärmenetzes zu besitzen – und geht vor Gericht. OB Fritz Kuhn (Grüne) agiert mit Zuckerbrot und Peitsche: Er kritisiert und lockt zugleich den Energiekonzern EnBW.
Stuttgart - Das dritte Gerichtsverfahren zwischen der Stadt Stuttgart und der Energie Baden-Württemberg (EnBW) ist beschlossene Sache: Am Mittwoch hat der Verwaltungsausschuss einstimmig entschieden, die EnBW auf die Herausgabe des Fernwärmenetzes zu verklagen; die Zustimmung an diesem Donnerstag im Gemeinderat ist Formsache. Auch wegen des Wassernetzes sowie wegen des Hochspannungs- und Gashochdrucknetzes prozessieren Stadt und EnBW. Beim übrigen Strom- und Gasnetz sind sie seit zwei Jahren Geschäftspartner.
OB Fritz Kuhn (Grüne) ist den Energiekonzern in der Sitzung am Mittwoch hart angegangen und hat ihm zugleich Honig um den Mund geschmiert. Die EnBW sei ein „wichtiger und willkommener“ Teilnehmer an der Energiewende in Stuttgart. Es sei toll, dass die EnBW das Kraftwerk Gaisburg von Kohle auf Gas umstelle. Und die Kooperation in der Netzgesellschaft funktioniere sehr gut, lobte Fritz Kuhn. Doch der Konzern habe wenig in das Stuttgarter Fernwärmenetz investiert. Alle jüngsten Angebote der EnBW zur Kooperation hätten nie die zentrale Frage einer Beteiligung enthalten. Und er glaube auch nicht, so konnte sich der OB eine Spitze nicht verkneifen, dass es eine „marketingtechnische Meisterleistung“ der EnBW gewesen sei, am gleichen Tag die Stadt wegen der Klage zu kritisieren und selbst vor dem Landgericht Bonn zu stehen, um wegen des Atomausstiegs Schadensersatz von Bund und Land zu fordern.
Trotz allem versuchte Kuhn jedoch, den Ball flach zu halten; auch während der Klage könne man weiter über Lösungen reden. „Das ist keine Kampfansage, sondern wir wollen nüchtern klären lassen, ob das Fernwärmenetz uns zusteht“, so der Oberbürgermeister.
CDU wollte offen lassen, wer das Netz künftig betreibt
Die Fraktionen im Verwaltungsausschuss folgten ihm weitgehend. Die Stadt müsse ihre eigenen Ziele verfolgen und könne nicht zulassen, dass ein Monopol entstehe, so CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. Am Jahresende läuft dafür eine Frist aus. Aber es gebe keine vergleichbaren Fälle, Stuttgart betrete juristisches Neuland; insofern hätte Kotz sich gewünscht, man könne diesen Schritt vermeiden. Vor allem wollte sich die CDU nicht jetzt schon festlegen, dass die Stadt nicht nur das Eigentum, sondern auch den Betrieb des Fernwärmenetzes übernehmen soll. Man habe zu wenig technische und buchhalterische Daten, um entscheiden zu können, ob die Stadt diesen Schritt wirklich machen sollte. Kotz setzte eine getrennte Abstimmung durch, doch eine Mehrheit war dafür, gleich Eigentum und Betrieb des Netzes anzustreben.
Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne) sprach davon, man müsse „alte Strukturen aufbrechen“. Hans H. Pfeifer von der SPD sieht die Klage auch als politisches Signal: „Vielleicht wächst dadurch bei der EnBW der Erkenntnisdruck, dass man die Angelegenheit anders regelt.“ Hannes Rockenbauch (SÖS-Linke-Plus) hält es für zwingend, dass die Stadt den Betrieb des Fernwärmenetzes übernehme, schon aus finanziellen Gründen: „Die EnBW verdient Geld damit, sonst würde sie uns das Netz doch überlassen.“ Er glaubt im Übrigen, dass die Stadt unter Zeitdruck stehe: Wenn die Handelsabkommen TTIP und Tisa in Kraft treten, sei eine Rekommunalisierung von Unternehmen nicht mehr möglich.
Bürger kritisieren EnBW und Bundeskartellamt
Auch das Stuttgarter Wasserforum und die Bürgerinitiative „Frischluft für Cannstatt“, die das erfolgreiche Bürgerbegehren für den Rückkauf des Fernwärmenetzes organisiert haben, meldeten sich nochmals zu Wort. Es sei juristisch, politisch und technisch möglich, dass die Landeshauptstadt das Netz übernehme – nur ignoriere die EnBW komplett demokratische Beschlüsse, und selbst das Bundeskartellamt mache „gegen das kommunale Recht auf Selbstbestimmung Stimmung“, so die Bürgerinitiative.
Bürgermeister Michael Föll (CDU) sprach sich auch gegen ein offizielles Konzessionsverfahren aus; das sei seiner Ansicht nach juristisch nicht notwendig – die Stadt habe das Recht, direkt eine „Inhouse-Vergabe“ zu machen; sie könne also unmittelbar bestimmen, wer Eigentum und Betrieb bekomme. OB Kuhn fasste nochmals in wenigen Worten zusammen, warum die Stadt Stuttgart das Netz unbedingt haben will: „Die Frage, wer das Netz besitzt, wie viel investiert und wo es weiterentwickelt wird, ist für die Energiewende von entscheidender Bedeutung.“ Die Stadt habe dabei ihre eigenen Ziele.