Die Fertiggericht-Branche boomt. Die Verbraucher wollen schnell, schmackhaft und zunehmend auch bessere Zutaten essen. Wer auf Zusatzstoffe verzichtet, macht mehr Umsatz. Das will auch Nestlé schaffen.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Stuttgart - Die Empörung auf Twitter schwillt am Mittwoch an, als die Nachricht kursiert, dass Maggi das legendäre Rezept für seine Würze ändere. Also die in der dunkelbraunen Flasche, die sich samt dem mit Soße verklebten roten Verschluss auf Hunderttausenden deutschen Küchen-, Bistro-, Kantinen- und Restauranttischen findet. Jene Flasche auch, die Millionen Deutsche zumindest irgendwann als alleiniges Würzmittel nutzen, das sie wahlweise auf Salatblätter, Braten, Suppen und eine Vielzahl anderer Lebensmittel kippen. „Wie soll ich in Zukunft eine Szechuanente ansetzen? Die schmeckt nur mit Ingwer und Maggi!“, schreibt @Norbinator2403. Und @la_kirana ruft gar zur Selbsthilfe auf: „Auf die Barrikaden! Sie rauben uns ein Stück unserer Kultur!“

 

So schlimm kommt es für die Maggi-Verehrer nicht, denn die Twitter-Meldung beruht offenbar auf einem falsch verstandenen Pressetext von Nestlé, dem Konzern hinter der Marke Maggi. Die Würzmischung der Flasche und ihr Geheimnis blieben gleich, sagt ein Sprecher und versichert: „In der Würze bleibt auch das Glutamat. Das ist für das typische Aroma verantwortlich.“ Aber alle anderen Maggi-Fertiggerichte sollen künftig andere Rezepturen erhalten, unter anderem also Suppen und Soßen aus der Tüte, Ravioli und Linsen aus der Dose und Kartoffelbrei im Karton. „Maggi will in Zukunft auf Inhaltsstoffe verzichten, die kaum jemand kennt, und stattdessen nur noch Zutaten verwenden, die in jedem heimischen Küchenschrank zu finden sind: Gemüse, Kräuter und Gewürze, Getreide und andere nährstoffreiche Inhaltsstoffe“, so die Pressemitteilung. Bis 2020 solle fast das gesamte Maggi-Sortiment umgestellt werden. „Simply good“ ist die Initiative genannt.

Auch Fertigprodukte sollen auf einmal frisch sein

Der Vorstoß ist bemerkenswert, da sich bislang in den meisten Maggi-Produkten viel Chemie findet. Nicht umsonst gehört Nestlé mit seiner Marke Maggi nicht nur zum größten Lebensmittelhersteller weltweit, sondern auch zum größten Industrieunternehmen der Schweiz. Vor allem aber zeigt die Initiative, wie sich der Markt der Fertiggerichte immer stärker zu natürlichen Inhaltsstoffen verändert. „Hier ist in den vergangenen Jahren vor allem die Nachfrage nach Fertiggerichten im Frischesegment, zum Beispiel bei Fertigsalaten, gestiegen“, sagt eine Sprecherin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V. „Die Qualitätsansprüche der Verbraucher steigen auch bei Convenience-Produkten. Für 52 Prozent ist Qualität das entscheidende Einkaufskriterium gegenüber dem Preis.“

„Gesundheit und Nachhaltigkeit sind große Trends“, sagt auch Wolfgang Adlwarth von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg. So konnte die Frosta AG mit ihrer Marke Frosta ihren Umsatz vor allem deshalb deutlich steigern, weil sie auf Zusatzstoffe verzichtete und die Herkunftskennzeichnung transparenter gestaltete, heißt es.

Den Gesundheitstrend will sich auch Nestlé zunutze machen

Auf den Gesundheitstrend springt jetzt Nestlé mit Maggi auf – schließlich machten bei dem Schweizer Konzernriesen Fertiggerichte und Produkte für die Küche rund ein Siebtel des Konzernumsatzes in Höhe von 89,5 Milliarden Franken (82 Milliarden Euro) aus. Dabei verspricht der Konzern doch noch weitere Ingredienzen: Für einige Länder wolle man die Maggi-Produkte „mit wichtigen Nährstoffen wie Eisen, Jod und Vitamin A anreichern“, heißt es. 65 Milliarden Portionen angereicherte Nahrungsmittel verkaufte Nestlé im Jahr 2016. In Westafrika beförderte Maggi täglich über 100 Millionen mit Eisen angereicherte Brühwürfel an 78 Millionen Haushalte. In Indien seien die Masala-Nudeln mit Eisen angereichert, da die Bevölkerung unter Eisenmangel leide.

Wie sinnvoll das tatsächlich ist, ist unter Ernährungswissenschaftlern umstritten. Aber es zeigt, wie die Maggi-Mutter Nestlé weg will vom Image des unsympathischen Riesen, der gerade in Deutschland in den vergangenen Jahren wegen verunreinigten Babymilchpulvers, umweltschädlicher Nespresso-Kapseln oder des Geschäfts mit Wasser in der Kritik stand. Auch die Deutschen sollen häufiger zu den neuen Produkten greifen, die in Tüten, Bechern und Dosen mehr Nachhaltigkeit und Gesundheit versprechen. Denn laut Statista soll der Markt für die Herstellung von Fertiggerichten in Deutschland weiter wachsen. Für dieses Jahr könnte der Umsatz rund 4,4 Milliarden Euro betragen – 4,5 Milliarden sollen es im kommenden Jahr sein. Auch bei den Tiefkühlprodukten, bei denen es sich oft um Fertiggerichte und Pizzen handelt, stieg der Umsatz im vergangenen Jahr um 3,6 Prozent auf 13,1 Milliarden Euro, so der Verband der Tiefkühlwirtschaft in Deutschland. „Kochen ist heute ganz selbstverständlich eine Kombination von fertigen Lebensmitteln und Eigenleistung“, heißt es.

Die Twitter-Nutzerin @la_kirana ist wohl durchaus froh, dass zumindest bei der Maggi-Würze die Eigenleistung auf das Öffnen des Verschlusses und das Schütteln der Flasche beschränkt bleibt. Als sich die Würze-Meldung als falsch entpuppt, twittert sie: „Da fällt mir ein Ringel Lyoner vom Herzen!“